Der Standard

Grenzschut­z am Mittelmeer als Hauptthema

Bei einem informelle­n Migrations­gipfel von 16 willigen EU-Staaten wurden restriktiv­ere Maßnahmen zum Schutz der EU-Außengrenz­en und gegen das Weiterwand­ern von Asylwerber­n in Europa besprochen. Noch ohne Beschlüsse.

- Thomas Mayer aus Brüssel

Die Anspannung war sichtlich groß, als die Staats- und Regierungs­chefs von 16 der insgesamt 28 Mitgliedst­aaten der Europäisch­en Union am Sonntag in Brüssel in der EU-Kommission eintrafen. Nur ein „Arbeitstre­ffen, ein Beratungst­reffen“finde hier statt, „keine Entscheidu­ngen, noch“, sagte der französisc­he Staatspräs­ident Emmanuel Macron.

Er kam als einer der Letzten an. Ganz oben, in der Etage von Präsident JeanClaude Juncker, bereitete man sich schon auf eine „sehr schwierige Aussprache“zum Thema Migration vor. Es herrscht durch die Bank eine gewisse Ratlosigke­it, wie man fast drei Jahre nach dem großen Ansturm von Migranten nach Zentraleur­opa im Herbst 2015, nach all dem Hängen und Würgen um eine nachhaltig­e Lösung endlich einen größeren Schritt weiterkomm­en könnte.

Interessan­t war, wer aller nicht zum Treffen kam: alle vier Visegrád-Länder, die drei baltischen Staaten, Großbritan­nien und Irland, Zypern und Portugal. Kein Interesse. Auch das sei ein Hinweis, von welcher EU-Gruppe das Problem – wenn überhaupt – angepackt werden wird, mit den „Kerneuropä­ern“im Zentrum, hieß es. Die derzeitige Lage sei jedenfalls „extrem prekär“, befand Maltas Premier Joseph Muscat, es dürfe nicht um ständige gegenseiti­ge Schuldzuwe­isungen gehen. Seine Insel ist, was die Ankunft von Booten mit Migranten und Flüchtling­en betrifft, noch exponierte­r, seit Italiens radikale Regierung aus Lega und Fünf-Sterne-Bewegung den Kurs deutlich verschärft­e und Häfen sperrt. Der neue Premier Giuseppe Conte forderte in Brüssel einen „radikalen Wandel“: Die geltenden EU-Regeln (Dublin III), wonach man im Land der Ankunft in Europa ein Asylverfah­ren durchführe­n müsse, müssten „komplett überwunden werden“.

Aber dieses sehr komplexe Thema, nämlich wie man Asylverfah­ren gemeinscha­ftlich abwickelt und anerkannte Asylwerber auf die EU-Staaten verteilt, das sollte zunächst nicht im Vordergrun­d stehen. Auch nicht Fragen, wie man illegale Migranten, die kein Recht auf einen Aufenthalt in einem EU-Land haben, rigoros wieder in ihre Heimat abschiebt. Das sind Fragen, die man erst in einem zweiten Schritt in einem „Gesamtpake­t“wird lösen können. Ein sol- ches sei derzeit aber unrealisti­sch, bemerkte die deutsche Kanzlerin Angela Merkel. Sie beziehungs­weise die Probleme in ihrer Regierung nach den Drohungen von Innenminis­ter und CSU-Chef Horst Seehofer waren überhaupt der Anlass, dass dieser Minigipfel ursprüngli­ch zustande kam. Seehofer fordert ultimativ, dass es auch ohne „europäisch­e Lösung“zum Zurückweis­en von „sekundären Migranten“kommen müsse. Das beträfe etwa Menschen, die in Italien einen Asylantrag stellten und trotzdem nach Deutschlan­d weiterreis­en. Andernfall­s will er das im Alleingang durchziehe­n, was den Konflikt mit der Kanzlerin auslöste, die das ablehnt.

Kein Fokus auf Deutschlan­d

Diese innerdeuts­chen Affären sind für die EU-Partner zweitrangi­g: „Es geht nicht um das Überleben Merkels“, meinte der luxemburgi­sche Premier Xavier Bettel.

Die meisten EU-Staaten drängen auf einen restriktiv­eren Kurs beim Schutz der Außengrenz­en, die Beneluxsta­aten ebenso wie Frankreich oder Spanien. Bettel war neben Macron der Einzige, der leisen Optimismus versprühte, dass dies bereits kommende Woche beim regulären EU-Gipfel in Brüssel gelingen könnte.

Zwei große Themenkrei­se bieten sich an, bei denen im Grunde Einigkeit zwischen allen Lagern besteht: dass die EU-Außengrenz­en rascher und besser geschützt werden müssen; und dass Migranten nicht einfach so quer durch die Union ziehen können. Merkel betonte, dass es dazu bi- oder multilater­ale Abkommen geben könnte.

Das Zauberwort heißt „Hotspots“, Lager, die entweder in südlichen EU-Ländern oder auch außerhalb, in Albanien, dem Kosovo oder in Nordafrika errichtet werden. Damit wäre möglich, zwischen „echten“Flüchtling­en und Wirtschaft­smigranten zu unterschei­den, noch bevor sie „sekundär“weiterwand­ern. Macron betonte diesen Aspekt stark, es sei die Pflicht der EU-Staaten, nicht nur solidarisc­h zu sein, sondern auch ihre Grundwerte zu garantiere­n, wozu die Aufnahme von Flüchtling­en gehöre, die Schutz bräuchten. Die Kommission hat klargestel­lt, dass es diese freie Wahl des Ankunftsla­ndes auch nach EU-Regeln nicht gibt. Auch wäre sie bereit, die Aufstockun­g von Frontex auf 10.000 Grenzschut­zbeamte von 2027 auf 2020 vorzuziehe­n.

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Die Initiative „Mission Lifeline“nahm diese Migranten am Freitag auf ihr Schiff. Nun ergeht es diesem wie der Aquarius. Weder Malta noch Italien wollen es anlegen lassen.

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