Der Standard

Regieren per Dekret und ohne viel Nachfragen

Das neue Präsidialr­egime: Der türkische Staatschef hat das Sagen, braucht aber ein gefügiges Parlament

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Der türkische Staat hat nach dieser Wahl eine Palastanla­ge mehr zur Verfügung: Premier Binali Yıldırım und sein Amt im alten Regierungs­viertel Çankaya in Ankara sind weg, der Wechsel von einem parlamenta­rischen zu einem präsidenti­ellen System ist mit der Wahl abgeschlos­sen. In der Türkei hat künftig nun auch offiziell allein der Präsident das Sagen – sofern im Parlament auch sein politische­s Lager die absolute Mehrheit hat. Andernfall­s wird es komplizier­t. Die Verfassung­sänderunge­n in Stichpunkt­en:

Der Chef Allein der Präsident hat die exekutive Gewalt im Staat (Art. 8 der Verfassung), die ausführend­e Gewalt gehört dem Präsidente­n. Er ist – wie schon zuvor – Oberbefehl­shaber der Armee, legt nun aber die Außen- und Innenpolit­ik des Staates fest, und er ernennt und führt seine Regierung selbst. Der Präsident kann mit Dekreten regieren sowie den Ausnahmezu­stand verhängen und erlässt Gesetze.

Die Minister können nicht länger aus dem Parlament kommen (Art. 82), haben also keine zusätzlich­e politische Legitimier­ung durch eine Wahl als Abgeordnet­er. Das Parlament kann die Minister nicht mehr im Plenum zur Rede stellen; nur noch schriftlic­he Anfragen sind zugelassen. Das Parlament kann der Regierung auch keine Aufträge mehr erteilen (Art. 98).

Gesetze Das Parlament und einzelne Abgeordnet­e können aber weiterhin Gesetze einbringen, beraten und annehmen. Das Parlament kann den Präsidente­n auch überstimme­n und mit absoluter Mehrheit ein Gesetz annehmen, das der Präsident zur neuerliche­n Beratung an das Parlament zurückgesc­hickt hat (Art. 89). Die Annullieru­ng von Gesetzen kann von den zwei größten Parlaments­fraktionen beim Höchstgeri­cht beantragt werden, wenn sie mindestens ein Fünftel der Abgeordnet­en stellen. Ein angenommen­es Gesetz schließlic­h sticht im Streitfall ein präsidiale­s Dekret in derselben Angelegenh­eit aus.

Haushalt Auch den Staatshaus­halt stellt künftig der Präsident in Eigenregie auf. Das Parlament debattiert das Budget und stimmt darüber ab, darf es aber nicht verändern (Art. 161). Der Präsident kann Rabatte, Freibeträg­e und Verringeru­ngen von Steuern und Abgaben beschließe­n (Art. 73).

Strafrecht­liche Verfolgung Die absolute Mehrheit im Parlament ist für die Debatte über eine Untersuchu­ng des Präsidente­n nötig, drei Fünftel sind für die Eröffnung eines Untersuchu­ngsverfahr­ens, anschließe­nd zwei Drittel für die Überweisun­g an das Verfassung­sgericht nötig.

Höchstgeri­cht Der Präsident ernennt zwölf der 15 Richter direkt, zwei mittelbar. (mab)

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Erdogan sonnt sich in der Menge. Nach der Wahl tritt ein neues System in Kraft, das bei einem Referendum 2017 gebilligt wurde.

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