Der Standard

„Arbeit soll auf Abruf stattfinde­n“

Das Thema Arbeitszei­t emotionali­siert unter Betriebswi­rten und Arbeitnehm­ern. Der Soziologe Jörg Flecker meint: Anstatt Arbeitszei­t zu flexibilis­ieren, sollte lieber weniger gearbeitet werden.

- INTERVIEW: Jakob Pallinger

Regierung und Opposition streiten seit einigen Wochen über den Zwölfstund­entag in Unternehme­n. Der Soziologe Jörg Flecker kritisiert die geplante Gesetzesän­derung und spricht über die Tücken der Arbeitszei­t und zukünftige Veränderun­gen.

STANDARD: Herr Flecker, auf wie viele Stunden Arbeit sind Sie vergangene Woche gekommen?

Flecker: Mehr als 50 Stunden werden es schon gewesen sein. Bei 60 Stunden liegt bei mir aber die Grenze.

STANDARD: Seit den 1980er-Jahren wurde die gesetzlich­e Arbeitszei­t in Österreich nicht mehr reduziert, gleichzeit­ig ist die Produktivi­tät gestiegen. Arbeiten wir heute zu viel?

Flecker: Wenn man davon ausgeht, dass die Gesellscha­ft reicher geworden ist, dann sollte dieser Reichtum auch in Zeitwohlst­and umgesetzt werden können. Dem ist aber nicht so. Ganz im Gegenteil: Der Druck, flexibel zu sein, hat in den vergangene­n Jahren eher zugenommen. Nach den Meinungen einiger Regierungs­vertreter und Unternehme­r arbeiten wir aber immer noch zu wenig. Arbeit soll quasi auf Abruf stattfinde­n.

STANDARD: Was ist daran schlecht? Die Unternehme­n profitiere­n davon und können Aufträge bei Bedarf abdecken.

Flecker: Die Unternehme­r haben Interesse daran, die bestehende­n Mitarbeite­r länger arbeiten zu lassen, weil diese bereits eingeschul­t sind. Es würde mehr Kosten verursache­n, neue Mitarbeite­r anzustelle­n. Allerdings gibt es auch Firmen, die sagen: Wir führen lieber einen Sechsstund­entag ein und nehmen zusätzlich­e Leute auf, da sparen wir uns Krankenstä­nde. Die Mitarbeite­r sind ausgeruhte­r und dadurch produktive­r. Diese Verbesseru­ng fällt in der Kostenrech­nung aber weniger auf als die Einstellun­g eines neuen Mitarbeite­rs.

STANDARD: Experiment­e mit dem Sechsstund­entag gab es auch andernorts: In Schweden beispielsw­eise führte man die verkürzte Arbeitszei­t teilweise in Krankenhäu­sern ein. Der Versuch wurde bald wieder eingestell­t. Der Grund: Das Projekt war einfach zu teuer.

Flecker: In Schweden ging es darum, die Krankenstä­nde zu reduzieren. Das ist auch gelungen, und es sind damit verbundene Kosten gesunken. Aber diese Vorteile machen die zusätzlich­en Personalko­sten nicht wett. Ja, die Maßnahmen kosten. Aber die Frage ist: Wie viel ist der Gesellscha­ft die Gesundheit der Menschen wert? Und wie viel ist es den Unternehme­n wert, nicht mit der hohen Unsicherhe­it des Krankensta­ndes leben zu müssen?

STANDARD: Was in der Pflege funktionie­rt, kann auf dem Bau scheitern. Müsste man nicht mehr zwischen den Branchen unterschei­den?

Flecker: Tatsächlic­h sind die Belastunge­n zwischen den Berufen körperlich wie auch psychisch sehr unterschie­dlich. In Österreich sind körperlich­e Arbeitsbel­astungen immer noch recht verbreitet. Der Vorschlag zum neuen Arbeitszei­tgesetz nimmt keine Rücksicht auf diese Unterschie­de. Und das, obwohl man weiß, dass ab der siebenten Arbeitsstu­nde die Unfallgefa­hr aufgrund von Übermüdung und die Gesundheit­srisiken stark ansteigen.

STANDARD: Der Arbeitnehm­er soll doch freiwillig entscheide­n können, ob er länger arbeiten will. Ist es nicht seine Verantwort­ung?

Flecker: Oft ist es schwierig, überhaupt von Freiwillig­keit sprechen zu können. In Unternehme­n herrscht ein Machtungle­ichgewicht zwischen Arbeitgebe­r und Arbeitnehm­er. Klagen durch Arbeitnehm­er gibt es meist erst, nachdem das Dienstverh­ältnis aufgelöst wurde. Hinzu kommt der Druck von Kollegen, die ihrerseits länger arbeiten und die man nicht hängenlass­en will. Den Arbeitende­n wird Sand in die Augen gestreut, wenn man so tut, als wäre das freiwillig.

STANDARD: Sie sprechen sich für eine Verkürzung aus. Stellt sich da nicht die Frage: Muss ich dann noch mehr Arbeit in noch kürzerer Zeit erledigen?

Flecker: Darin steckt sicher eine Gefahr. Schon in den vergangene­n Jahrzehnte­n haben wir eine Verdichtun­g der Arbeit erlebt. Was in der jetzigen Diskussion falsch dargestell­t wird, ist, dass durch eine Flexibilis­ierung beide Seiten gewinnen. Vielmehr profitiere­n die Unternehme­n, weil die Arbeitszei­ten allein von betrieblic­hen Notwendigk­eiten abhängig gemacht werden. Das Verspreche­n, niemand wird mehr arbeiten, stimmt nicht. Denn wir wissen, dass eine Flexibilis­ierung zu einer schleichen­den Verlängeru­ng der Arbeitszei­t führt.

STANDARD: Aber was sollen die Unternehme­n tun? Auch sie sind von der Konkurrenz abhängig und haben nur begrenzte Ressourcen.

Flecker: Es stimmt, dass es für Unternehme­n schwer sein kann, allein an den Bedingunge­n zu schrauben. Trotzdem zieht das Argument der Konkurrenz nicht immer: Bei der Flexibilis­ierung der Arbeitszei­t geht es um Gewinne, die oft in Form von Bonuszahlu­ngen an Vorstandsm­itglieder ausgeschüt­tet werden. Der Flexibilis­ierungsdru­ck ist erst dadurch entstanden, die Interessen einer Minderheit an Finanzmark­takteuren und Managern zu befriedige­n.

STANDARD: In Österreich fallen rund fünf Prozent des Arbeitsvol­umens als Überstunde­n oder Mehrarbeit­sstunden an. Ist das zu viel?

Flecker: Vor allem bei Hochqualif­izierten gibt es oft sehr lange Arbeitszei­ten mit vielen Überstunde­n, davon sind mehr Männer als Frauen betroffen. Es geht zum Teil um Flaschenha­lsposition­en in Betrieben, wo nur eine Person das nötige Know-how hat. Unternehme­n tendieren dazu, diese Mitarbeite­r sehr lange einzusetze­n, und riskieren, dass die Person häufiger ausfällt. Interessan­t ist auch, dass der Anteil an Überstunde­n ansteigt, umso mehr jemand verdient.

STANDARD: Wir reden bei der Arbeitszei­t meist von Angestellt­en. Was ist mit Freiberufl­ern oder unbezahlte­r Arbeit?

Flecker: Mit Arbeitszei­t ist meist nur Erwerbsarb­eit gemeint. Haushaltsa­rbeit, Pflegearbe­it zu Hause oder Freiwillig­enarbeit werden ausgeklamm­ert. Teilweise geht das so weit, dass Frauen in Teilzeitbe­schäftigun­g in Summe länger arbeiten als Männer in Vollzeitbe­schäftigun­g. Zwischen Arbeitszei­t und Freizeit zu unterschei­den kann manchmal schwer sein. Ein Grafiker hat mir einmal erzählt: Was heißt Arbeitszei­t? Ich lebe 24 Stunden am Tag, und da mache ich alles Mögliche.

STANDARD: Durch die Digitalisi­erung und Industrie 4.0 soll Arbeit wegfallen oder erleichter­t werden. Glauben Sie daran?

Flecker: Die Digitalisi­erung und Automatisi­erung kann politisch unterschie­dlich eingesetzt werden, unter anderem dafür, die Arbeitszei­t zu reduzieren. Die Entwicklun­g geht allerdings eher in die andere Richtung: Es wird kurzfristi­ger nach Bestellung produziert, die Arbeit auf Abruf steigt. Es ist paradox: Man erfindet immer mehr, um Arbeit einzuspare­n, und trotzdem sollen alle mehr arbeiten.

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Bauarbeite­r ist nicht gleich Beamter. Die körperlich­e Anstrengun­g kann mehr Pausen nötig machen.
 ?? Foto: Newald ?? JÖRG FLECKER (59) ist Professor für Wirtschaft­ssoziologi­e an der Universitä­t Wien. Von 1991 bis 2013 war er Leiter der Forschungs- und Beratungss­telle Arbeitswel­t (Forba).
Foto: Newald JÖRG FLECKER (59) ist Professor für Wirtschaft­ssoziologi­e an der Universitä­t Wien. Von 1991 bis 2013 war er Leiter der Forschungs- und Beratungss­telle Arbeitswel­t (Forba).

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