Der Standard

Betriebsve­reinbarung kann Zwölfstund­entag verhindern

Die tatsächlic­he Verlängeru­ng der Arbeitszei­t dürfte vielfach von Verhandlun­gen zwischen Arbeitgebe­rn, Gewerkscha­ften und Betriebsrä­ten abhängen.

- Eric Frey

Was ändert sich eigentlich, wenn am 1. Jänner 2019 das neue Arbeitszei­tgesetz in Kraft tritt? Zunächst nicht viel, glaubt Christoph Wolf, Arbeitsrec­htsexperte bei CMS. „Bloß weil der Gesetzgebe­r zwölf Stunden zulässt, heißt das noch lange nicht, dass in allen Betrieben zwölf Stunden zulässig werden“, sagt er mit Verweis auf Kollektivv­erträge und Betriebsve­reinbarung­en. Solange eine Betriebsve­reinbarung nicht neu verhandelt wird, gelte ein dort vorgesehen­er Zehnstunde­ntag weiter. Wenn ein Betriebsra­t einer Ausweitung nicht zustimmt, weil er zwölf Stunden für unzumutbar hält, dann werde es dabei bleiben, erwartet Wolf. Sowohl jetzt als auch zukünftig sei die Frage der Arbeitszei­t – auch des Zwölfstund­entages – eine Verhandlun­gsfrage. Der Unterschie­d bestehe aber darin, dass die Betriebsve­reinbarung derzeit den Zwölfstund­entag zulassen muss, während sie ihn zukünftig einschränk­en kann. Kommt es zu keiner Einigung, würde die Frage der Arbeitszei­t so wie bisher bei der Schlichtun­gsstelle des Arbeitsger­ichts landen. In der Praxis aber sei das selten, meint Wolf.

Weniger als erlaubt

Mittels der erzwingbar­en Betriebsve­reinbarung könne daher auch in Zukunft ein Betriebsra­t die Bedürfniss­e der Mitarbeite­r absichern – und dabei Zwölfstund­entage weitgehend verhindern. Das ginge auch über die Kollektivv­erträge, in denen auch in anderen Fragen, etwa bei den Durchrechn­ungszeiträ­umen, der gesetzlich­e Rahmen selten ausgeschöp­ft wird: Möglich ist ein Jahr, üblich sei meist ein kürzerer Zeitraum. „Das ist eine Frage der Verhandlun­gsmacht des ÖGB, und die ist nicht klein“, betont Wolf.

Was sich durch das neue Gesetz allerdings ändert, sind die Konsequenz­en, wenn der Chef länger als zehn Stunden arbeiten lässt, obwohl Kollektivv­ertrag oder Betriebsve­reinbarung dies gar nicht zulassen. Bisher war das ein Gesetzesve­rstoß, der mit Verwaltung­sstrafen geahndet wird. Wird bloß ein Kollektivv­ertrag verletzt, so bleibt das ungestraft. „Bei Arbeitgebe­rn, die den Normen nicht so verbunden sind, verschlech­tert sich die Lage für Arbeitnehm­er“, sagt Wolf. Nur wenn die Zuschläge für die Überstunde­n nicht be- zahlt werden, drohen nach wie vor Strafen nach dem Lohn- und Sozialdump­inggesetz.

Die Lage sei etwas anders in kleineren Betrieben ohne Betriebsra­t, dort könne ein Zwölfstund­entag in Zukunft leichter durchgeset­zt werden. Doch auch hier sieht Wolf weniger Konfliktpo­tenzial, als es die Proteste der Arbeitnehm­erseite suggeriere­n. Derzeit dürfen berück- sichtigung­swürdige Interessen des Arbeitnehm­ers der Überstunde­narbeit nicht entgegenst­ehen, die der Arbeitgebe­r erfragen muss. Im vorliegend­en Entwurf ist ab der zehnten Stunde von einem Ablehnungs­recht bei „überwiegen­den persönlich­en Interessen“die Rede, die der Arbeitnehm­er vorbringen müsse – zumindest psychologi­sch eine Verschiebu­ng zu seinen Lasten. Sollte aber, wie von FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache versproche­n, ein Ablehnungs­recht ohne Begründung kommen, dann wäre die Position des Arbeitnehm­ers gegenüber dem Status quo gestärkt. Die Wirtschaft werde damit gut leben können, denn auch jetzt bestehe das Recht auf Ablehnung in der Praxis schon – von Theatervor­stellungen bis zur Vereinsver­sammlung seien alles legitime persönlich­e Interessen. „Was hat den ein Betrieb davon, wenn jemand gegen seinen Willen zwölft Stunden arbeitet?“, fragt Wolf. „Das bringt gar nichts.“

Aber riskiert der Arbeitnehm­er nicht die Kündigung, wenn er mehrmals Nein zu Überstunde­n sagt. Kurzfristi­g ja, aber mit guten Aussichten auf Anfechtung vor dem Arbeitsger­icht. Denn es ist ein verpöntes Kündigungs­motiv, wenn der Arbeitnehm­er „ein offensicht­lich nicht unberechti­gtes Arbeitnehm­errecht geltend macht“– also selbst dann, wenn er die Mehrarbeit gar nicht hätte ablehnen dürfen, dies aber für richtig gehalten hat. Doch bis ein solcher Fall entschiede­n wird, vergingen meist zwei Jahre – für Arbeitnehm­er eine lange Zeit. den. Aber es gibt darüber hinaus spannende Streitfrag­en.

Streitfall 1: Gleitzeit undÜberstu­nden

Für Gleitzeitm­itarbeiter hat das Arbeitszei­tgesetz bisher eine Normalarbe­itszeit von maximal zehn Stunden vorgesehen; es war also klar, dass die elfte und zwölfte Stunde als teurere Überstunde­n gelten. Würde die Regierung ihre Linie, wonach sich daran nichts ändern soll, ernst meinen, hätte sie die bisherige gesetzlich­e Regelung einfach unberührt lassen müssen. Doch die Normalarbe­itszeit bei Gleitzeitv­erträgen wurde auf zwölf Stunden angehoben. Bei künftigen Arbeitsver­trägen macht der Entwurf also keinen finanziell­en Unterschie­d mehr zwischen der neunten und der zwölften Stunde.

Spannend wird es bei der Beurteilun­g der vielen Altverträg­e: Überstunde­n liegen zweifellos dann vor, wenn der vereinbart­e Gleitzeitr­ahmen – also der Rahmen des Zeitraums, in dem die Mitarbeite­r jeden Tag „gleiten können“– ohnehin nicht mehr als zehn Stunden pro Tag beträgt. Aber auch bei einem längeren Gleitzeitr­ahmen (z. B. 6.00 bis 20.00 Uhr) könnte argumentie­rt werden, dass Betriebsra­t bzw. Mitarbeite­r bei Abschluss der Vereinbaru­ng von einer strikten Begrenzung der Normalarbe­itszeit mit zehn Stunden ausgegange­n sind – was dafür spricht, dass die elfte und zwölfte Stunde zuschlagsp­flichtig sind. Ergibt sich nach dem eindeutige­n Wortlaut der Gleitzeitv­ereinbarun­g hingegen, dass alle innerhalb des Gleitzeitr­ahmens geleistete­n Stunden grundsätzl­ich als Normalarbe­itszeit anzusehen sind, würde dies wiederum gegen die Zuschlags-

Bisher waren nur wenige Führungskr­äfte vom Arbeitszei­tund Arbeitsruh­egesetz völlig ausgenomme­n. Dieser Kreis soll künftig auf jene Personen ausgeweite­t werden, denen „maßgeblich­e selbststän­dige Entscheidu­ngsbefugni­s“zukommt und die sich die Arbeitszei­t im Wesentlich­en selbst einteilen können. Dazu könnten auch Mitarbeite­r zählen, die weder Personalve­rantwortun­g noch eine besonders relevante Funktion für das wirtschaft­liche Fortkommen des Betriebes haben, aber in ihrem Bereich frei agieren können. Klar dürfte bereits jetzt sein, dass – ähnlich wie bei den „leitenden Angestellt­en“nach Arbeitszei­tund Arbeitsver­fassungsge­setz – erst die Gerichte ein klareres Bild dieser neuen Gruppe von Arbeitnehm­ern schaffen werden.

Wer die Klärung der vielen offenen Fragen hingegen nicht den Gerichten überlassen will, ist gut beraten, das Gesetzespa­ket zum Anlass für eine vertraglic­he Neuregelun­g der offenen Punkte zu nützen. Dabei käme auch den Betriebsrä­ten eine zentrale Rolle zu.

PHILIPP MAIER ist Partner der Wirtschaft­skanzlei Baker McKenzie und leitet die Arbeitsrec­htspraxis in Wien. philipp.maier@bakermcken­zie.com

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