Betriebsvereinbarung kann Zwölfstundentag verhindern
Die tatsächliche Verlängerung der Arbeitszeit dürfte vielfach von Verhandlungen zwischen Arbeitgebern, Gewerkschaften und Betriebsräten abhängen.
Was ändert sich eigentlich, wenn am 1. Jänner 2019 das neue Arbeitszeitgesetz in Kraft tritt? Zunächst nicht viel, glaubt Christoph Wolf, Arbeitsrechtsexperte bei CMS. „Bloß weil der Gesetzgeber zwölf Stunden zulässt, heißt das noch lange nicht, dass in allen Betrieben zwölf Stunden zulässig werden“, sagt er mit Verweis auf Kollektivverträge und Betriebsvereinbarungen. Solange eine Betriebsvereinbarung nicht neu verhandelt wird, gelte ein dort vorgesehener Zehnstundentag weiter. Wenn ein Betriebsrat einer Ausweitung nicht zustimmt, weil er zwölf Stunden für unzumutbar hält, dann werde es dabei bleiben, erwartet Wolf. Sowohl jetzt als auch zukünftig sei die Frage der Arbeitszeit – auch des Zwölfstundentages – eine Verhandlungsfrage. Der Unterschied bestehe aber darin, dass die Betriebsvereinbarung derzeit den Zwölfstundentag zulassen muss, während sie ihn zukünftig einschränken kann. Kommt es zu keiner Einigung, würde die Frage der Arbeitszeit so wie bisher bei der Schlichtungsstelle des Arbeitsgerichts landen. In der Praxis aber sei das selten, meint Wolf.
Weniger als erlaubt
Mittels der erzwingbaren Betriebsvereinbarung könne daher auch in Zukunft ein Betriebsrat die Bedürfnisse der Mitarbeiter absichern – und dabei Zwölfstundentage weitgehend verhindern. Das ginge auch über die Kollektivverträge, in denen auch in anderen Fragen, etwa bei den Durchrechnungszeiträumen, der gesetzliche Rahmen selten ausgeschöpft wird: Möglich ist ein Jahr, üblich sei meist ein kürzerer Zeitraum. „Das ist eine Frage der Verhandlungsmacht des ÖGB, und die ist nicht klein“, betont Wolf.
Was sich durch das neue Gesetz allerdings ändert, sind die Konsequenzen, wenn der Chef länger als zehn Stunden arbeiten lässt, obwohl Kollektivvertrag oder Betriebsvereinbarung dies gar nicht zulassen. Bisher war das ein Gesetzesverstoß, der mit Verwaltungsstrafen geahndet wird. Wird bloß ein Kollektivvertrag verletzt, so bleibt das ungestraft. „Bei Arbeitgebern, die den Normen nicht so verbunden sind, verschlechtert sich die Lage für Arbeitnehmer“, sagt Wolf. Nur wenn die Zuschläge für die Überstunden nicht be- zahlt werden, drohen nach wie vor Strafen nach dem Lohn- und Sozialdumpinggesetz.
Die Lage sei etwas anders in kleineren Betrieben ohne Betriebsrat, dort könne ein Zwölfstundentag in Zukunft leichter durchgesetzt werden. Doch auch hier sieht Wolf weniger Konfliktpotenzial, als es die Proteste der Arbeitnehmerseite suggerieren. Derzeit dürfen berück- sichtigungswürdige Interessen des Arbeitnehmers der Überstundenarbeit nicht entgegenstehen, die der Arbeitgeber erfragen muss. Im vorliegenden Entwurf ist ab der zehnten Stunde von einem Ablehnungsrecht bei „überwiegenden persönlichen Interessen“die Rede, die der Arbeitnehmer vorbringen müsse – zumindest psychologisch eine Verschiebung zu seinen Lasten. Sollte aber, wie von FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache versprochen, ein Ablehnungsrecht ohne Begründung kommen, dann wäre die Position des Arbeitnehmers gegenüber dem Status quo gestärkt. Die Wirtschaft werde damit gut leben können, denn auch jetzt bestehe das Recht auf Ablehnung in der Praxis schon – von Theatervorstellungen bis zur Vereinsversammlung seien alles legitime persönliche Interessen. „Was hat den ein Betrieb davon, wenn jemand gegen seinen Willen zwölft Stunden arbeitet?“, fragt Wolf. „Das bringt gar nichts.“
Aber riskiert der Arbeitnehmer nicht die Kündigung, wenn er mehrmals Nein zu Überstunden sagt. Kurzfristig ja, aber mit guten Aussichten auf Anfechtung vor dem Arbeitsgericht. Denn es ist ein verpöntes Kündigungsmotiv, wenn der Arbeitnehmer „ein offensichtlich nicht unberechtigtes Arbeitnehmerrecht geltend macht“– also selbst dann, wenn er die Mehrarbeit gar nicht hätte ablehnen dürfen, dies aber für richtig gehalten hat. Doch bis ein solcher Fall entschieden wird, vergingen meist zwei Jahre – für Arbeitnehmer eine lange Zeit. den. Aber es gibt darüber hinaus spannende Streitfragen.
Streitfall 1: Gleitzeit undÜberstunden
Für Gleitzeitmitarbeiter hat das Arbeitszeitgesetz bisher eine Normalarbeitszeit von maximal zehn Stunden vorgesehen; es war also klar, dass die elfte und zwölfte Stunde als teurere Überstunden gelten. Würde die Regierung ihre Linie, wonach sich daran nichts ändern soll, ernst meinen, hätte sie die bisherige gesetzliche Regelung einfach unberührt lassen müssen. Doch die Normalarbeitszeit bei Gleitzeitverträgen wurde auf zwölf Stunden angehoben. Bei künftigen Arbeitsverträgen macht der Entwurf also keinen finanziellen Unterschied mehr zwischen der neunten und der zwölften Stunde.
Spannend wird es bei der Beurteilung der vielen Altverträge: Überstunden liegen zweifellos dann vor, wenn der vereinbarte Gleitzeitrahmen – also der Rahmen des Zeitraums, in dem die Mitarbeiter jeden Tag „gleiten können“– ohnehin nicht mehr als zehn Stunden pro Tag beträgt. Aber auch bei einem längeren Gleitzeitrahmen (z. B. 6.00 bis 20.00 Uhr) könnte argumentiert werden, dass Betriebsrat bzw. Mitarbeiter bei Abschluss der Vereinbarung von einer strikten Begrenzung der Normalarbeitszeit mit zehn Stunden ausgegangen sind – was dafür spricht, dass die elfte und zwölfte Stunde zuschlagspflichtig sind. Ergibt sich nach dem eindeutigen Wortlaut der Gleitzeitvereinbarung hingegen, dass alle innerhalb des Gleitzeitrahmens geleisteten Stunden grundsätzlich als Normalarbeitszeit anzusehen sind, würde dies wiederum gegen die Zuschlags-
Bisher waren nur wenige Führungskräfte vom Arbeitszeitund Arbeitsruhegesetz völlig ausgenommen. Dieser Kreis soll künftig auf jene Personen ausgeweitet werden, denen „maßgebliche selbstständige Entscheidungsbefugnis“zukommt und die sich die Arbeitszeit im Wesentlichen selbst einteilen können. Dazu könnten auch Mitarbeiter zählen, die weder Personalverantwortung noch eine besonders relevante Funktion für das wirtschaftliche Fortkommen des Betriebes haben, aber in ihrem Bereich frei agieren können. Klar dürfte bereits jetzt sein, dass – ähnlich wie bei den „leitenden Angestellten“nach Arbeitszeitund Arbeitsverfassungsgesetz – erst die Gerichte ein klareres Bild dieser neuen Gruppe von Arbeitnehmern schaffen werden.
Wer die Klärung der vielen offenen Fragen hingegen nicht den Gerichten überlassen will, ist gut beraten, das Gesetzespaket zum Anlass für eine vertragliche Neuregelung der offenen Punkte zu nützen. Dabei käme auch den Betriebsräten eine zentrale Rolle zu.
PHILIPP MAIER ist Partner der Wirtschaftskanzlei Baker McKenzie und leitet die Arbeitsrechtspraxis in Wien. philipp.maier@bakermckenzie.com