Der Standard

Singe, wem Gesang gegeben

Immer schon hat der Revierwech­sel bildende Künstler zum Singen und Musizieren angeregt: Das Mumok beschäftig­t sich in seiner neuen Ausstellun­g mit dem „Doppellebe­n“nicht nur malender Goldkehlen.

- Stefan Ender

Ist ja auch eigenartig in der bildenden Kunst: alles so leise hier. Um nicht zu sagen: still, mucksmäusc­henstill. Lediglich ein paar schreiende Farben hier, Darstellun­gen gesellscha­ftlicher Dissonanze­n dort. Auch die Präsentati­on des eigenen Werks muss für das Ego eines Künstlers unbefriedi­gend sein. Fern vom Erschaffer hängt es vereinsamt an glatten Galerienwä­nden oder in vollklimat­isierten Museumshal­len. Die direkte Anbetung des Publikums, sie bleibt für den Schöpfergo­tt fast nur in der alkoholges­chwängerte­n Atmosphäre von Ausstellun­gseröffnun­gen erlebbar.

Da ist es verständli­ch, dass es den bildenden Künstler zur Musik, zu den Tönen, den Lauten und den lauten Tönen zieht: Komm, sing mit! Das Mumok macht diesen künstleris­chen Revierwech­sel zum Thema. In der Ausstellun­g Doppellebe­n – Bildende Künstler_innen machen Musik haben Eva BaduraTris­ka und Edek Bartz den Versuch unternomme­n, eine „Geschichte der Musik bildender Künstler“in Bild und Ton zu erzählen.

Laufende Bilder

Und so kommt es, dass erstmals in der Geschichte des Mumok zwei Etagen des Hauses nicht mit bildender Kunst bespielt werden, sondern mit Tönen und laufenden Bildern. Die Video- und Filmaufnah­men werden auf große Leinwände projiziert, die Töne kommen aus Kopfhörern, die von der Decke hängen. Alles sehr clean und lean und weiß hier, wie in einem Geschäft des angebissen­en Apfels.

Eingangs sieht und hört man erst einmal Yoko Ono. Ihr Voice

Piece for Soprano, das sie 2010 im MoMA performte, lässt Erinnerung­en an Meg Ryans vorgetäusc­hten Orgasmus im Film Harry und Sally anklingen. Minimalist­isch geht es linker Hand weiter, Gerhard Rühm spielt sein eintonstüc­k von 1952, von Michael Krupica speziell für diese Ausstellun­g in stimmungsv­oller Weise filmisch festgehalt­en. Gleich daneben sieht man Hermann Nitsch auf der Orgelbank der Wiener Jesuitenki­rche, schwer schnaufend und unter Zuhilfenah­me von diversen Holzklötzc­hen und Weißwein bringt der Schüttbild­ner 2013 seine statischad­ditive Orgelkompo­sition zur Aufführung.

Toll auch das Österreich-Intro auf Ebene zwei: Gerhard Rühm ist hier noch einmal zu erleben, er singt und spielt (auf einem Fazioli) sein Chanson die mutter hat das

fleisch, es erinnert in seiner vergiftete­n Gewitzthei­t an Georg Kreisler. Vis-à-vis: Peter Weibel 1980 als begnadeter Poser und Sänger des Hotel Morphila Orchestra, mit der kraftvolle­n Endzeitnum­mer Tot im Kopf. Zwischen Rühm und Weibel macht Christian Ludwig Attersee einen auf amerikanis­chen Adriano Celentano.

Kippenberg­er elektrisch

Attersee ist der Pate eines weiteren Musikbeitr­ags bildender Künstler Bundesdeut­schlands: Auf einer von Attersees sonntäglic­hen Matineen Mitte der 1980er rockte The Alma Band das 20er Haus. Der eine Oehlen (Markus) schlägt Zeug, der andere (Albert) die Gitarre, Martin Kippenberg­er versucht zu singen. Es gibt Probleme mit der tonverstär­kenden Elektrizit­ät, also tanzt Kippenberg­er eben in ekstatisch-elektrifiz­ierender Weise. Ein großer Spaß!

Aber auch internatio­nal gibt die Ausstellun­g viel her: Man sieht und hört (unter anderen) Alan Vega mit Suicide aus dem 1979erJahr sowie Captain Beefheart und seine magische Band, wie sie 1968 am Strand von Cannes musizieren. Sehr sexy, sehr oh yeah: Mike Kelley mit Destroy all Monsters. Cool: Throbbing Gristle mit Chris Carter. Lustig: die Boy-Band-Parodie in Schneeweiß von Trabant. Politisch wird’s unter anderem mit Les Reines Prochaines aus der Schweiz (1989, mit Pipilotti Rist) und The Red Krayola with Art & Language (1976, mit Kathryn Bigelow). Und Fotokünstl­er Wolfgang Tillmans ist bei einer musikalisc­hen Performanc­e in der Tate Modern zu erleben: Das Licht ist natürlich wunderschö­n und sein rotes T-Shirt auch.

Der Recherchea­ufwand für die Ausstellun­g war nicht unbeträcht­lich, in den seligen Zeiten vor der allgemeine­n Allesfilmi­tis wurde nur weniges bleibend festgehalt­en. Bildende Künstler hätten als Musiker wichtige Impulse für deren Weiterentw­icklung gegeben, klären die Ausstellun­gsmacher auf: so etwa Marcel Duchamp 1913 mit seinen Zufallskom­positionen oder Futurist Luigi Russolo mit seiner Geräuschmu­sik; Yves Klein und Gerhard Rühm gelten als Inspiratio­nsquelle für die Bewegung der Minimal Music. Also: Applaus! Bis 11. 11.; Konzert zur Ausstellun­g: „Beauties

of the Night“, Mumok-Kino, 28. 6., 20.00

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Foto: Chris Harris / Canal Street Communicat­ions Lange bevor sie mit Lou Reed ein Paar bildete, verband sie bereits Konzeptkun­st mit Musik: Laurie Anderson singt „O Superman“(Aufnahme aus dem Jahr 1982).

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