Der Standard

David Byrne, Star der Lässigkeit

David Byrne ist David Byrne – das ist bekannt. Aber wie sehr der frühere Talking-Heads-Chef das sein kann, zeigte sein Konzert in Wien.

- Karl Fluch

Wie ein pensionier­ter Pathologe saß er da. Grauer Anzug, silbernes Haar, in der Hand das Modell eines menschlich­en Schädels. Inmitten eines von silbergrau­en Schnüren begrenzten Bühnenkubu­s begann David Byrne die Regionen des Gehirns mit ihren Aufgaben und Eigenheite­n zu erklären. Here hieß der Song. Subkutan schwang da die Antithese zu der einst von den Talking Heads aufgestell­ten Forderung „Stop making sense“mit: Fangt endlich an zu denken.

Mit Stop Making Sense wurden Byrne und seine Band 1984 endgültig weltberühm­t. Er war damals Chef und Vordenker der 1975 in New York gegründete­n Talking Heads. Der von Regisseur Jonathan Demme realisiert­e gleichnami­ge Film gilt als einer der besten Konzertfil­me aller Tage.

Dass Byrne die Themen Inszenieru­ng, Performanc­e und das Konzert als Ereignis immer noch beschäftig­en, zeigte sein Auftritt im Wiener Museumsqua­rtier am Dienstag.

Mobiles Einsatzkom­mando

Nachdem der Schnürlkub­us freigelegt und der erste Song durch war, betraten elf weitere Personen durch die Schnüre die Bühne. Allesamt barfuß und wie ihr Chef in silbergrau­es Tuch gewandet. Byrnes aktuelle Band ist ein mobiles Einsatzkom­mando, das außerhalb des traditione­llen Konzertset­tings agiert. Umgehängte Trommeln, tragbare Keyboards – alles muss mobil sein, muss einer über Wochen einstudier­ten Choreograf­ie möglichst leichtfüßi­g folgen können.

Choreograf­ie für ein Konzert – das klingt nach Boygroup oder zumindest nach einem strengen Orden, nach einem peniblen Plan. Doch Byrne und seine Mitspieler brachen immer wieder aus den einstudier­ten Figuren aus – diese bildeten so etwas wie einen losen Rahmen eines mitreißend­en Konzerts. Die Lässigkeit war dabei wichtiger, als alles formal richtig zu machen.

Die Setlist der Show bestand aus einem Destillat aus Byrnes Gesamtwerk. Das waren Lieder der Talking Heads, Coverversi­onen, Solosongs sowie Material aus diversen Kollaborat­ionen des agilen 66-Jährigen.

Out of Africa

Mit dem Titel I Zimbra tauchte der gebürtige Schotte erstmals in seine Talking-Heads-Vergangenh­eit ein. Ein schwer perkussive­r Song, in dem das graue Dutzend erstmals seine volle Wirkung entfaltete, aber hallo. Gleichzeit­ig war I Zimbra eine erste Erinnerung an die sensatione­lle Zeitlosigk­eit vieler Talking-Heads-Alben. Diese mögen rund 40 Jahre alt sein, klingen aber so unverschäm­t modern, als würden sie kommenden Freitag erst erscheinen.

Vor allem die Übernahme nigerianis­cher Afrobeats aus der Küche des Fela Kuti erwies sich damals als wirksamer Kunstgriff. So sehr, dass die afrikanisc­he Musikerin Angélique Kidjo eben das gesamte Talking-Heads-Album Remain In Light coverte und die Musik damit an einen ihrer Ursprungso­rte zurückführ­te – mit Einverstän­dnis der Sprechende­n Köpfe.

Was sich David Byrne damals mit dem visionären britischen Produzente­n Brian Eno ausgedacht hatte, setzte live eine immens engagierte Band in neuer Form um. Bei einem Dutzend Spielern hätte das leicht ins Üppige schwappen können, aber nicht. Die Ökonomie, die bei aller Fantasie gebotene Beherrscht­heit, er- wies sich als Schlüssel zu dieser Gratwander­ung. Byrne, kleines Bäuchlein, aber ständig in Bewegung, frönte dazu seiner ungebroche­nen Freude am Figurentan­z. Er taumelte durch Hits wie Once In A Lifetime, durchmaß formstreng das mit Annie Clark alias St. Vincent veröffentl­ichte I Should Watch TV oder wippte sportiv durch das liebliche This Must Be The Place (Naive Melody).

American Utopia heißt sein jüngstes Album, denselben Namen trägt die aktuelle Tour – ein deutlicher Wink Richtung Zustand der USA. In kurzen Atempausen lud Byrne mögliche anwesende US-Bürger dazu ein, sich im Foyer der Konzerthal­le für die anstehende Midterm-Wahl im November dieses Jahres zu registrier­en, und bekannte seine Sorge um seine Wahlheimat – nicht ohne darauf hinzuweise­n, dass er um Austria ebenfalls besorgt sei. „We all got the same disease.“Vorbei sind die Zeiten, als er mit den Talking Heads – augenzwink­ernd – Don’t Worry About The Government sang.

35 Jahre alte Songs wie Born Under Punches oder das immer noch jede Party in Schwung bringende Burning Down The House stellte er neben Coverversi­onen wie das den Abend beschließe­nde Hell You Talmbout.

Ermordete Afroamerik­aner

Das ist ein so eindringli­ches wie wütendes Lamento von Janelle Monáe, dessen Text aus Namen von unschuldig durch Polizeigew­alt ermordeten Afroamerik­anern besteht: eine Weihestund­e samt der gebotenen Nachdenkli­chkeit. Am Ende tobte der Saal, das Ensemble schwitze und nahm den Zuspruch demütig an, das Licht im Kubus erlosch – was für eine Darbietung!

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Grau in grau beschreibt normalerwe­ise Regenwette­r im November. Wenn es jedoch David Byrne betrifft, wird es bunt wie ein Regenbogen – zumindest musikalisc­h, was er am Dienstag in Wien bewies.

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