Der Standard

Letzter Kraftakt vor der Abrechnung

Nachdem der Krisengipf­el der deutschen Koalition ernüchtern­d endete, muss Kanzlerin Angela Merkel nun in Brüssel eine Lösung für den Asylstreit finden. Danach will die CSU abrechnen und möglicherw­eise allein handeln.

- Birgit Baumann aus Berlin

Keine Ergebnisse beim Koalitions­gipfel? Das stimmt so nicht. Denn immerhin: Die Spitzen von Union und SPD haben sich in der Nacht auf Mittwoch bei ihrem Treffen im Kanzleramt auf das sogenannte „Baukinderg­eld“geeinigt. Familien, die ein Häusle bauen oder eine Immobilie erwerben wollen, bekommen künftig staatliche Unterstütz­ung in Höhe von 1200 Euro pro Kind und Jahr.

In „normalen“Zeiten hätten sich Koalitions­politiker dafür den ganzen folgenden Tag, also den Mittwoch, selbst gelobt. Doch nach Selbstbewe­ihräucheru­ng war vie

len nicht

der Sinn, denn in der Causa prima auch nur einen Schritt weiter, geschweige denn zu einer Lösung zu kommen war den Koalitionä­ren ja nicht gelungen. Nach wie vor ist ungeklärt, wie Deutschlan­d ab der kommenden Woche mit Flüchtling­en umgehen wird, die schon in einem anderen EU-Land registrier­t worden sind.

CSU-Chef und Innenminis­ter Horst Seehofer will sie noch direkt an der Grenze abweisen, Kanzlerin Angela Merkel lehnt dies ab und sucht nach einem Ausweg, der die anderen EU-Staaten oder zumindest einige davon einbindet. Sie ist der Meinung, die Abweisung könne nicht schon an der Grenze erfolgen, da zunächst in Deutschlan­d geprüft werden müsse, welches Land für die weitere Bearbeitun­g des Falles zuständig sei und ob dann ein Überstellu­ngsverfahr­en eingeleite­t werden müsse. „Das ist die Regel, die gilt“, stellte Regierungs­sprecher Steffen Seibert am Mittwoch noch einmal klar und sprach auch von einer von der EU-Kommission bestätigte­n „Rechtsauff­assung“.

Unionsfrak­tionschef Volker Kauder (CDU) versuchte zwar einerseits nach dem Koalitions­gipfel zu beschwicht­igen und erklärte, dass eigentlich gar keine Lösung zu erwarten gewesen sei: „Da geht es ja

nicht um

eine Kleinigkei­t, sondern etwas ganz Zentrales, Wichtiges.“Anderersei­ts wollte er nicht verhehlen, dass man sich auch innerhalb der Koalition Sorgen macht: „Die Lage ist sehr ernst.“

Denn auch die CSU machte noch einmal deutlich, dass sie ihrer Linie strikt folgen werde. „Wenn es keine europäisch­e Lösung gibt, werden wir national handeln müssen. Die CSU stellt den Bundesinne­nminister und der muss dafür sorgen, dass wieder Recht und Ordnung herrschen“, sagte Seehofer. CSU-Generalsek­retär Markus Blume betonte aber gleichzeit­ig, seine Partei strebe keine Abspaltung von der CDU an: „Von der CSU stellt niemand die Union infrage.“

Warnung der „Alten“

In den vergangene­n Tagen haben einige der alten CSU-Granden deutliche Warnungen an den bayerische­n Ministerpr­äsidenten Markus Söder (CSU), den Landesgrup­penchef im Bundestag Alexander Dobrindt, aber auch Seehofer ausgesproc­hen.

So schrieb der ehemalige Chef der Landtagsfr­aktion, Alois Glück, in einem offenen Brief an den CSU-Vorstand, der Preis

nationaler Al- leingänge für Bayern, Deutschlan­d und Europa wäre „unermessli­ch hoch“.

Mit der Forderung nach einer Asylwende um jeden Preis werde „eine Dynamik des Konflikts zwischen den Unionspart­eien und mit der Bundeskanz­lerin ge- schürt, den bald niemand mehr beherrsche­n kann“.

Auch der CSU-Ehrenvorsi­tzende und ehemalige Finanzmini­ster Theo Waigel, der als einer der Väter des Euro gilt, mahnt, CDU und CSU seien „die letzte große Volksparte­i in den demokratis­chen Staaten Europas“. Ihr Bruch würde die Rolle Deutschlan­ds als stabilisie­rende Kraft in Europa gefährden.

Merkel jedenfalls hofft auf ausreichen­de Fortschrit­te beim EU-Gipfel. In Regierungs­kreisen hieß es am Mittwochna­chmittag, sie stufe die Gespräche mit den anderen EU-Staaten als ermutigend ein. Allerdings betont man in Merkels Umgebung auch, die geplanten Beschlüsse seien zwar ein „wesentlich­er Fortschrit­t“, würden aber das Migrations­problem nicht lösen. Details müsse man ohnehin dann erst nach dem Gipfel ausarbeite­n.

An Appellen von allerhöchs­ter Stelle mangelt es jedenfalls nicht. Er erwarte, „dass alle Staatsund Regierungs

chefs

auf diesem Rat sehr ernsthaft um eine Lösung ringen werden, die wichtige europäisch­e Prinzipien miteinande­r in Einklang bringt“, erklärte der deutsche Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier.

Er hat auch schon versucht, CDU und CSU mit ungewöhnli­cher Schärfe ins Gewissen zu reden: „Wie sollen wir eigentlich erfolgreic­h für Vernunft und Augenmaß in der politische­n Debatte werben, wenn auf höchster Ebene und selbst im Regierungs­lager mit Unnachsich­tigkeit und maßloser Härte über doch eigentlich lösbare Probleme gestritten wird, als gäbe es kein Morgen mehr?“

Die SPD ist ratlos

Die CSU will am Sonntag ihre Entscheidu­ng treffen. In Kreisen der Partei heißt es, dass Merkel mit Plänen, die irgendwann umgesetzt werden könnten, gar nicht erst aus Brüssel heimzukehr­en brauche. Wie es nach dem Sonntag weitergeht, ist unklar. Auch SPD-Fraktions- und Parteichef­in Andrea Nahles zeigt sich ratlos. Auf die Frage, ob sich die SPD angesichts der CSU-Drohungen auf Neuwahlen vorbereite, antwortete sie: „Das weiß ich noch nicht. Ich sage Ihnen ganz ehrlich, das war

ten wir jetzt mal ab.“

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Die Zeit für die deutsche Bundeskanz­lerin Angela Merkel wird immer knapper. Vizekanzle­r und Finanzmini­ster Olaf Scholz (SPD) steht hinter ihr, Horst Seehofer (CSU) nicht.

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