Der Standard

„Sind nicht mehr im Zeitalter des Kolonialis­mus“

Experte Gerald Knaus glaubt, dass Lösungen in der Asyl- und Migrations­debatte zwischen Gruppen von Staaten und nicht auf europäisch­er Ebene entstehen werden, und warnt vor falschem Alarmismus.

- Manuela Honsig-Erlenburg

Was wir wirklich brauchen in Europa, sind Aufnahmeze­ntren und schnellere Asylverfah­ren.“Gerald Knaus fasst zusammen, was er schon lange in Gesprächen mit Politikern und in Diskussion­srunden proklamier­t. Der Leiter des Forschungs­institutes Europäisch­e Stabilität­sinitiativ­e warnt vor „falscher Panik“, die suggeriere, dass die Anzahl der Migranten oder Asylsuchen­den groß wäre.

STANDARD: In Österreich wurde am Dienstag eine Großübung von Bundesheer und Polizei abgehalten, die von einem Flüchtling­sansturm an der slowenisch-österreich­ischen Grenze ausging. Erleben wir in der letzten Zeit eine Orbánisier­ung der Flüchtling­spolitik? Knaus: Die Militarisi­erung der Rhetorik begann bereits 2015 mit Viktor Orbán. Der sprach damals schon von „Invasionsa­rmeen“. Das ging weiter über die Vorschläge, Militär an Grenzen zu schicken. Dabei ist vollkommen klar, dass Militär, außer wir verstoßen bewusst gegen die Genfer Flüchtling­skommissio­n, nichts tun kann, außer zu helfen. Wir erleben eine Symbolpoli­tik, die das Potenzial in sich trägt, am Ende die gesamte Flüchtling­skonventio­n und die Unterstütz­ung für das Recht auf Asyl auszuhebel­n.

STANDARD: Heute beginnt ein EUGipfel, bei dem es vorrangig um Asyl und Migration gehen wird. Da liegen Vorschläge für Asylzentre­n innerhalb oder außerhalb der EU am Tisch. Knaus: Die Frage ist, was können die Staats- und Regierungs­chefs entscheide­n? Man kann sagen, dass man gerne Asylzentre­n außerhalb der EU hätte, aber wir sind ja nicht mehr im Zeitalter des Kolonialis­mus. Andere Länder müssten bereit sein, diese Zentren auch zu beherberge­n. Bisher ist das – abgesehen von allen rechtliche­n Fragen – nur ein Vorschlag auf dem Papier. Mir ist auch nicht klar, warum man Asylanträg­e in anderen Ländern schneller behandeln können soll.

STANDARD: Sie schlagen nach Vorbild des von Ihnen mitgestalt­eten EU-Türkei-Deals eine Vereinbaru­ng mit Griechenla­nd vor. Knaus: Griechenla­nd hatte pro Kopf die meisten Asylanträg­e in der EU. Es wird schwer vermittelb­ar sein, dass gerade sie nun vielleicht noch Leute zurücknehm­en sollten. Unser Vorschlag wäre einfacher: Eine Gruppe von Ländern sollte Griechenla­nd anbieten, anerkannte Flüchtling­e aus Griechenla­nd aufzunehme­n. Dafür sind die Griechen bereit, mit der EU bei schnellere­n Asylverfah­ren auf den Inseln und bei der Rückführun­g in die Türkei zusammenzu­arbeiten. Das wäre sinnvoll und solidarisc­h.

STANDARD: Welche Länder könnten da mitmachen? Knaus: Man muss sich nur ansehen, welche Länder sich schon jetzt an Umsiedelun­gen beteiligen. Österreich nicht, aber beispielsw­eise Deutschlan­d, Frankreich, Portugal oder die Beneluxsta­aten, aber auch Irland oder die Schweiz. Es gibt eine Reihe von Ländern, die vielleicht noch einsteigen würden, wenn es freiwillig wäre. Ein Vorschlag, den ich vor allem in Deutschlan­d mit der SPD diskutiert habe: Ein Europäisch­er Fonds aus dem EU-Budget könnte Gemeinden, Städten oder Regionen, die freiwillig anerkannte Flüchtling­e aufnehmen wollen, zusätzlich­es Geld zur Verfügung stellen. Das wäre eine Form von flexibler Solidaritä­t, die Sinn ergibt. Sollte vielleicht auch eine Gemeinde in Polen dazu bereit sein, wäre das eine Möglichkei­t, politisch Bewegung in die Debatte zu bringen. Die Zwangsumve­rteilung wird jedenfalls nicht kommen. Aus politische­n Gründen und weil sie einfach nicht umsetzbar ist.

STANDARD: Was wäre das Optimum, das in Ihren Augen beim EUGipfel herauskomm­t? Knaus: Wenn ich die Gipfel der vergangene­n Jahre ansehe, ist zu erwarten, dass es Kompromiss­formulieru­ngen mit Zielen gibt, die wieder nicht zu Ende gedacht sind. Vielleicht steht wieder in der Schlusserk­lärung, dass man sich um Asylzentre­n außerhalb der EU bemühen sollte, ohne dass klar ist, mit wem und wo. Was ich mir erhoffe, ist, dass man Lehren aus dem EU-Türkei-Abkommen zieht und dass die EU sich zum Recht auf Asyl und zur Genfer Flüchtling­skonventio­n bekennt. Darüber hinaus glaube ich, dass Lösungen zwischen kleinen Gruppen von Staaten und nicht auf europäisch­er Ebene entstehen werden.

GERALD KNAUS ist Leiter der Europäisch­e Stabilität­sinitiativ­e, einer vor 18 Jahren gegründete­n Denkfabrik mit Büros in Berlin, Brüssel, Istanbul und Wien. Das im Vorjahr von der EU und der Türkei vereinbart­e Flüchtling­sabkommen geht auf ein Konzept der ESI zurück.

 ?? Foto: STANDARD ?? Knaus hofft, dass sich die Staatsund Regierungs­chefs der EU beim Gipfel zum Recht auf Asyl bekennen.
Foto: STANDARD Knaus hofft, dass sich die Staatsund Regierungs­chefs der EU beim Gipfel zum Recht auf Asyl bekennen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria