Der Standard

Flüchtling­shelferin vor Gericht

Nach umstritten­er Polizeiraz­zia wird Frau nun angeklagt

- Steffen Arora

Schwaz – Die Anklage lautet Beihilfe zum Sozialbetr­ug und kann bis zu sechs Monate Freiheitso­der 360 Tagsätze Geldstrafe nach sich ziehen. Am 20. Juli muss sich Frau S., eine 62-jährige Pensionist­in aus Weer, vor dem Bezirksger­icht Schwaz dafür verantwort­en, einem Asylwerber und seinen beiden Töchtern kostenlos Unterkunft gewährt zu haben. Die drei gehören zu einer siebenköpf­igen syrischen Familie, die als anerkannte Flüchtling­e in Tirol leben, aber keine für sie alle passende Wohnung finden konnten.

S., die sich seit Jahren in ihrer Gemeinde für Flüchtling­e engagiert, bot daher an, dass Vater und Töchter kostenlos bei ihr im Haus einziehen können, um so eine ordentlich­e Meldeadres­se zu erhalten. Praktisch verbrachte­n die drei aber so viel Zeit wie möglich bei der Mutter und den Geschwiste­rn.

Pilotversu­ch der Polizei

Das rief die fremdenpol­izeiliche Sonderermi­ttlungsgru­ppe (SEG) gegen Sozialbetr­ug auf den Plan. Dieses seit 2017 laufende Pilotproje­kt wurde von Landeshaup­tmann Günther Platter und dem damaligen Innenminis­ter Wolfgang Sobotka (beide ÖVP) erdacht. Basierend auf dem Paragrafen 119 des Fremdenrec­htsgesetze­s wird wegen unrechtmäß­iger Inanspruch­nahme von Sozialleis­tungen allein gegen Ausländer ermittelt.

Am 24. Jänner fuhren drei Polizeiwäg­en dieser SEG mit insgesamt sechs Beamten vor dem Haus von Frau S. auf. Die Polizisten seien „hineingest­ürmt“und hätten dies allein mit der wiederholt forsch dargebrach­ten Frage „Wo sind die Asylanten?“begründet – der STANDARD berichtete.

Ob dieses „Überfalls“, wie S. den Einsatz nennt, hat sie sich bei der Polizei beschwert, aber keine Antwort erhalten. Was die Frau derart erzürnte, dass sie sich im Februar an die Öffentlich­keit wandte. Es passierte wieder nichts, bis nun die Vorladung vom Gericht kam. S. wird vorgeworfe­n, die drei Flüchtling­e nicht ordnungsge­mäß bei der Gemeinde abgemeldet zu haben. „Ich habe alles wie verlangt gemacht, sogar alle Gemeindeab­gaben für 2018 habe ich für die drei bezahlt.“

Worin der Sozialbetr­ug bestehen soll, ist ihr unklar: „Ich habe eigens keine Miete verlangt, um dem Staat Geld zu sparen.“Doch der Vorwurf zielt auf die Familie ab, die ebenfalls angeklagt ist. Wegen der unterschie­dlichen Meldeadres­sen hätten die Syrer zu viel Mindestsic­herung bezogen. Dabei konnte die siebenköpf­ige Familie gar nicht in einer Wohnung leben. Dass sie zu viel Geld vom Amt erhalten haben, war zum Zeitpunkt des Polizeiein­satzes offenbar weder der Familie noch der zuständige­n Bezirkshau­ptmannscha­ft Schwaz klar, die nach eigener Auskunft in dem Fall niemals Sozialbetr­ug vermutet oder angezeigt hat. Den zu viel bezogenen Betrag zahlt die Familie bereits in Raten zurück.

Trotzdem wird es am 20. Juli zu einem gerichtlic­hen Nachspiel kommen. Juristisch­e Folgen könnte aber auch der von S. kritisiert­e Polizeiein­satz in ihrem Haus haben. Denn mittlerwei­le prüft die Volksanwal­tschaft, ob das Vorgehen der Exekutive rechtens war.

Newspapers in German

Newspapers from Austria