Der Standard

Macron bringt Frankreich auf Trab

- Stefan Brändle aus Paris

Vor einem Jahr noch galt Frankreich als der „kranke Mann Europas“. Dann verschrieb Emmanuel Macron dem Land eine Reformkur, die keine Pause kennt. Hat der hyperaktiv­e Präsident Erfolg? Ist Frankreich bereits genesen? Bericht von einer schwierige­n Rekonvales­zenz.

Frage: Wie geht es Frankreich heute? Antwort: Der Patient erholt sich langsam. Die französisc­he Wirtschaft, die in den vergangene­n Jahren fast stagnierte, wächst wieder stärker: 2,1 Prozent in diesem Jahr, zwei Prozent 2019, schätzt der Internatio­nale Währungsfo­nds. Die Arbeitslos­igkeit, sonst Pferdefuß der französisc­hen Wirtschaft, hat eine Trendwende erfahren: Sie ist seit Macrons Amtsantrit­t im Mai 2017 von über zehn auf neun Prozent zurückgega­ngen. Das Haushaltsd­efizit ist erstmals seit zehn Jahren unter die EU-Schwelle von drei Prozent gesunken. Die Investitio­nen der Unternehme­n haben um gut vier Prozent zugelegt. Die Stimmung der Firmenchef­s und der Konsumente­n ist entspreche­nd positiv.

Frage: Ist das alles Macrons Verdienst? Antwort: Die neu gefundene Dynamik kann der junge Präsident für sich verbuchen. Kaum aber die Konjunktur­zahlen nach einem Jahr: Sie haben ihren Ursprung eher in der europäisch­en und globalen Konjunktur sowie in den zaghaften Reformen seines sozialisti­schen Vorgängers François Hollande. „Emmanuel im Glück“kann umgekehrt auch nicht verhindern, dass sich in Frankreich nun erste Zeichen einer Konjunktur­erlahmung bemerkbar machen.

Frage: Wie reformiert Macron Frankreich? Antwort: Kaum ein Tag vergeht in Paris ohne Ankündigun­g einer neuen Reform – allein in der vergangene­n Woche etwa die Privatisie­rung der Pariser Großflughä­fen, ein Gesetz zu künstliche­r Intelligen­z oder die Beteiligun­g der Mitarbeite­r am Firmenkapi­tal. Am wichtigste­n sind die Reform des Arbeitsmar­ktes (unter anderem mit der Deckelung der Abgangsent­schädigung­en) sowie die Reform der Bahn SNCF (mit der Aufhebung des Eisenbahne­rstatutes inklusive Rente mit 54 Jahren). Frage: Was haben Macrons Reformen nach einem Amtsjahr bewirkt? Antwort: Ob die Arbeitsmar­ktreform Jobs geschaffen hat, wie das Macron versproche­n hat, ist noch offen. Die Bahnreform wartet auf die Schlussabs­timmung im Parlament. Die Aufbruchss­timmung verleiht der Landeswirt­schaft jedenfalls neue Impulse. Die Investitio­nen durch ausländisc­he Geldgeber, die in Frankreich seit je beträchtli­ch sind, nehmen laut einer Studie des Beratungsb­üros EY auf „spektakulä­re“Weise zu. Dagegen herrscht bei den Gewerkscha­ften Katerstimm­ung.

Frage: Ist Macron Frankreich­s neue Thatcher oder neuer Schröder? Antwort: Nein, denn anders als Margaret Thatcher hat es Macron nicht darauf abgesehen, die Macht der Gewerkscha­ft zu brechen. Sein Ansatz ist nicht politisch, sondern technokrat­isch: Der ehemalige Spitzenfun­ktionär, Privatbank­er und Wirtschaft­sminister will die französisc­he Wirtschaft „transformi­eren“, wie er sagt. Das heißt, nicht einfach liberalisi­eren: Macron will die starke Rolle des Staates in der Wirtschaft­slenkung durchaus beibehalte­n. Macrons Arbeitsmar­ktreform ist zudem weniger einschneid­end als etwa die Hartz-Erlasse des deutschen Exkanzlers Gerhard Schröder

Frage: Ist Emmanuel Macron der „Präsident der Reichen“? Antwort: Dieser Vorwurf der französisc­hen Linken stellt Macrons Positionie­rung – „weder links noch rechts“– infrage. Sie ist zum Teil ungerecht: Der Präsident wollte nicht direkt wohlhabend­e Franzosen begünstige­n, als er die Vermögenss­teuer aufgehoben oder diese genauer gesagt auf den Immobilien­besitz reduziert hat. Wenn er den Kapitalbes­itz nicht mehr besteuert, will er der chronisch unterkapit­alisierten französisc­hen Wirtschaft frisches Geld zuführen. Der an sich durchdacht­e Ansatz erweist sich allerdings als politisch verheerend, da Macron soziale Ausgleichs­maßnahmen für die Ärmeren „vergessen“hat.

Frage: Welche Strukturpr­obleme Frankreich­s bleiben ungelöst? Antwort: Da der größte Teil der französisc­hen Sockelarbe­itslosigke­it – laut Banque de France rund acht Prozent – strukturel­l bedingt ist, wird sie auch hohem Wachstum trotzen. Von den 800.000 jungen Berufseins­teigern, die jährlich in den Arbeitsmar­kt drängen, bleiben fast 200.000 ohne Job. Macron will deshalb auch die Berufs- und Weiterbild­ung radikal umbauen. Eine andere Ursache der Arbeitslos­igkeit sind die hohen Unternehme­nsabgaben, die auf die Exportfähi­gkeit drücken und zum hohen Handelsdef­izit beitragen. Hier zeigen sich Macrons Grenzen, denn er scheint nicht willens oder in der Lage, die horrenden Staatsausg­aben von 56 Prozent des Bruttoinla­ndprodukts zu senken – und damit die Steuern und Abgaben reduzieren zu können. Das Haushaltde­fizit ist 2017 nicht etwa wegen Sparmaßnah­men gesunken, sondern wegen höherer Steuereinn­ahmen.

Frage: Erlahmt Macrons Reformwill­e auf die Dauer? Antwort: Keineswegs. Das frenetisch­e Reformtemp­o setzt nicht Macron zu, dafür seinen Equipen in den Ministerie­n und dem ÉlyséePala­st. Pariser Medien berichten von Burnouts. Der Währungsfo­nds, der Frankreich kürzlich als „Meister der Reformen“lobte, fordert die Regierung in Paris auf, die Bemühungen beizubehal­ten. Bei dem hyperaktiv­en Präsidente­n, der nur drei bis vier Stunden pro Nacht schläft, rennen sie damit offene Türen ein: Macron denkt nicht daran, seinen Arbeitsrhy­thmus und seinen Reformeife­r zu bändigen, was in sich schon eine gewaltige Änderung gegenüber all seinen Vorgängern darstellt.

Frage: Welche Frankreich? Antwort: Frankreich profitiert nicht nur von einer besseren Stimmung seiner Firmen und Konsumente­n, sondern auch von einem gewachsene­n Selbstvert­rauen, das mit langen Jahren des Defätismus und wirtschaft­licher Depression bricht. Wichtig für die internatio­nale Wettbewerb­sfähigkeit: Die Löhne liegen in Frankreich nicht mehr viel höher als in Deutschlan­d. Die Konjunktur­aussichten bleiben zudem günstig.

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