Doron Rabinovici: „Wer sich nicht wehrt, versagt“
Ein Intellektueller ist, wem kraft seiner Autorität auf künstlerischem oder wissenschaftlichem Gebiet Raum in der Öffentlichkeit zugestanden wird, um jenseits der Macht zu sprechen. Der Nimbus des Intellektuellen stammt aus einer Zeit, da verfolgt werden konnte, wer sein Denken nicht der Obrigkeit beugte. In der pluralistischen Gesellschaft kann es indes zuweilen lächerlich wirken, wenn einer voll Pathos offene Türen einrennt. Wenn jedoch die liberale Demokratie in der Krise ist, wenn gegen kritische Qualitätsmedien, gegen Rechtsstaat und Verfassungsschutz vorgegangen wird, ist es an der Zeit, nicht zu schweigen. Vor unseren Augen werden jetzt die offene Gesellschaft und das friedlich vereinte Europa attackiert. Nicht nur die Intellektuellen, sondern alle Citoyens sind gefordert, dagegen die Stimme zu erheben. Die zivilgesellschaftlichen Bewegungen und die NGOs sind Kraftfelder der Widerständigkeit. Die Intellektuellen haben gleichwohl ein besonderes Interesse, den Freiraum, der sie ausmacht, zu verteidigen. Diejenigen von ihnen, die gegen die autoritären Gefahren Protest einlegen, können dabei durchaus scheitern. Aber jene unter ihnen, die eine Aushöhlung der Freiheit nicht verurteilen und Apologeten der Willkür sind, geben sich selbst auf. Persönlich mögen sie durch ihr Kleinreden und ihre unverdrossene Gelassenheit reüssieren, als Intellektuelle versagen sie.
(56) ist Wiener Autor und Aktivist.