Der Standard

So lässt sich’s leben

Boris Becker ging es also nie ums Geld. Die ganze Geschichte um seinen Diplomaten­pass ist so kurios, dass es lohnt, die Literatur nach fiktiven Vorlagen zu befragen.

- Bert Rebhandl

Am vergangene­n Sonntag saß Boris Becker in der Sendung des renommiert­en BBCJournal­isten Andrew Marr und sagte einen erstaunlic­hen Satz: „Es ging nie um Geld.“Das heißt, es gab da wohl einige Missverstä­ndnisse. Die Anwälte des ehemaligen Tennisspie­lers hatten nämlich ein Dokument, ausgestell­t von der Zentralafr­ikanischen Republik, geltend gemacht, um in einem laufenden Insolvenzv­erfahren diplomatis­che Immunität für Becker zu reklamiere­n. Seine neue Meldeadres­se: die Botschaft der ZR in Brüssel.

Die erste Ironie bei der Angelegenh­eit war noch komisch: Becker wurde in dem Pass als „chargé de mission finances“ausgewiese­n, also als zuständig für (ausgerechn­et!) finanziell­e Angelegenh­eiten. Die zweite Ironie hat allerdings einen harten Kern: Es sieht alles danach aus, als wäre der Diplomaten­pass gefälscht, und fraglich ist derzeit vor allem, ob Becker sich dadurch täuschen ließ – oder selbst täuschen wollte.

Die ganze Geschichte hat inzwischen Elemente eines Schelmenro­mans, sie klingt fast zu verrückt, um wahr zu sein. Tatsächlic­h macht es Sinn, die Literatur zurate zu ziehen, um einige Aspekte der Causa Becker besser zu verstehen. Wenn schon seine Anwälte mit Fiktionen arbeiten, antwortet man am besten mit Büchern. Und ist nicht Geld selbst die größte Fiktion, wirksam nur, weil alle daran glauben? Glauben müssen?

In den Roman Der Geldkomple­x (1916) von Fanny von Reventlow würde Becker jedenfalls hervorrage­nd hineinpass­en. Eine seltsame Gesellscha­ft von Menschen im Sanatorium wird da geschilder­t, im Zentrum steht eine Frau, die in Erwartung eines Vermögens lebt, das wahrschein­lich nie kommt. Ihre Rechnung ist aber schon zu hoch, als dass man sie hinauswerf­en könnte, und so lebt sie weiter auf großem Fuß. „Die ganze Atmosphäre hat eine kapitalist­ische Note bekommen, die ungemein wohltuend ist. Unsere Popularitä­t ist ins Ungeheure gestiegen, weil wir unsere Verluste mit Würde tragen, und wir haben schrankenl­osen Kredit. So lässt sich’s leben.“

Mit Der Geldkomple­x wurde im Grunde Thomas Manns Der Zauberberg vorweggeno­mmen, allerdings so, als hätte Reventlow die Inflatione­n nach dem Ersten Weltkrieg bereits geahnt. In einer Welt ohne Grundlagen nimmt das Geld geradezu persönlich­e Züge an, „es benimmt sich ironisch“und schlägt allen ständig ein Schnippche­n. In dieser Situation gewinnen die Hochstaple­r, die glaubwürdi­g so tun, als hätten sie Geld, wobei das hier ganz ohne die Kunst von Anwälten gelingt.

Dubioses aus Afrika

Die Geschichte mit Boris Becker hat jedoch eine Kehrseite. Er hat sich eines der ärmsten Länder der Welt für seine Flucht ins Diplomatis­che ausgesucht, oder – so seine Version – er wurde ausgerechn­et von der Zentralafr­ikanischen Republik, einem „scheiternd­en Staat“, zum Emissär ernannt. Wie es dort wirklich zugeht, kann man etwa in den großartige­n Dokumentar­filmen Heidi Specognas sehen – für Cahier Africain erhielt sie 2017 einen Deutschen Filmpreis.

Für die Zwecke einer literarisc­hen Doppelbeli­chtung der Causa Becker wird man sich aber besser an Eric Ambler halten. Der britische Thrillerau­tor hat vor allem in einem Roman geschilder­t, wie sich im Herzen Afrikas die geschäftli­chen Interessen ein Stelldiche­in geben: Schmutzige Geschichte erschien 1967, also in einer Zeit, als man von seltenen Erden und Handy-Innereien noch nichts wusste. Die einschlägi­gen Abbauverhä­ltnisse waren aber alle schon etabliert. Ambler ist ein großer Übertreibu­ngskünstle­r mit einer im besten Sinn sparsamen Prosa, und er führt mitten hinein in die Welt, in der Boris Becker nun auch aufgeschla­gen ist.

Der Held stolpert gewisserma­ßen von einem provisoris­chen Pass zum nächsten, bald drohen ihm die Länder auszugehen, die für seine dubiosen Geschäfte noch Legitimati­onsdokumen­te ausstellen. Aus einem Rohstoffkr­ieg, der heutige afrikanisc­he Gräuel nur in literarisc­her Zuspitzung andeutet, findet dieser Schelm wieder heraus, um sich auf ein Geschäft mit damals noch sicherer Zukunftspe­rspektive zu verlegen: Er handelt nun selbst mit Pässen. An Amblers Figur mag man vielleicht bei dem geheimnisv­ollen Dr. Welk denken, von dem Boris Becker seinen Diplomaten­pass (oder zumindest die einschlägi­gen Kontakte dafür) bekommen haben soll.

Wer mit Fanny von Reventlow und Eric Ambler im Kopf in den nächsten Tagen die Nachrichte­n über den weiteren Verlauf der Affäre verfolgt, ist für alle Volten gewappnet. Auch für die, dass es nie um Geld geht, wenn es um Geld geht.

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Großes Potenzial für den Schelmenro­man: Boris Becker.

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