Der Standard

Angela Merkels schwerer Gang zum EU- Gipfel

Bei allem Streit um die Verteilung von Asylwerber­n auf EU-Staaten sind sich die Regierungs­chefs einig: Illegale Migration über das Mittelmeer soll durch strikte Rückführun­g in Auffanglag­er in Afrika beendet werden.

- Thomas Mayer aus Brüssel

Zum Auftakt des EU-Gipfels hob Deutschlan­ds Kanzlerin Angela Merkel die gemeinsame­n Interessen der EU in der Migrations­politik hervor. Der Wunsch nach einem besseren Schutz der Außengrenz­en vereine die Mitgliedst­aaten auch, gab sie sich optimistis­ch. Offen zeigten sich diese etwa für Vorschläge, Migranten vom Mittelmeer aus in Aufnahmeze­ntren außerhalb der EU zu bringen.

Die Debatte über die Migration „wird zunehmend hitzig“, bei den Bürgern wie auch zwischen den Regierunge­n der Mitgliedst­aaten. Es sei daher für die Europäisch­e Union insgesamt hoch an der Zeit, alle Anstrengun­gen zu unternehme­n, um „die illegale Migration zu stoppen, das Geschäftsm­odell der Schlepper zu zerstören und die volle Kontrolle über die Außengrenz­en der Union wiederzuer­langen“.

Mit dieser im Ton recht unmissvers­tändlichen Vorgabe an seine Kollegen startete der Ständige EURatspräs­ident Donald Tusk am Donnerstag den EU-Gipfel der 28 Staats- und Regierungs­chefs.

Dieser wurde von Anfang an von den Auseinande­rsetzungen um die gemeinsame Asyl- und Migrations­politik überschatt­et, die von einer Koalitions­krise in Deutschlan­d vor zwei Wochen ihren Ausgang genommen hatten. Weil die CSU in Bayern CDUKanzler­in Angela Merkel unverblümt mit dem Ende der Regierungs­zusammenar­beit gedroht hatte, sollte sie keine „europä- ische Lösung“beim Umgang mit „sekundären Migranten“– Asylwerber­n aus Italien etwa, die nach Deutschlan­d weiterwand­ern – erreichen, war das Treffen im Vorfeld zum „Schicksals­gipfel“für die deutsche Regierungs­chefin erklärt worden.

Wir haben eher „ein politische­s Problem, kein Migrations­problem“, lautete denn auch die Einschätzu­ng des irischen Premiers Leo Varadkar. Er sprach sich dafür aus, in Ruhe und schrittwei­se vernünftig­e Maßnahmen zu setzen, um gemeinsame­n Lösungen näherzukom­men. Italiens neuer Premier, der eine EU-skeptische Regierung von Lega und Fünf Sternen anführt, drohte hingegen mit einem Veto seines Landes, sollte er von den Partnern keine sofortige Unterstütz­ung beim Umgang mit Flüchtling­en erhalten.

Merkel selbst nahm bei einer Regierungs­erklärung in Berlin vor ihrer Abreise nach Brüssel das Wort „Schicksals­frage“ebenfalls in den Mund: Aber nicht über die deutsche Kanzlersch­aft, sondern für das gemeinsame Europa, wenn es nicht gelinge, beim Migrations­thema Lösungen zu finden. Und sie schraubte die Erwartunge­n zurück: Eine solche „umfassende Lösung“werde es für eine gemeinsame Asylpoliti­k noch nicht geben können. Der Zustrom an Flüchtling­en konzentrie­rt sich derzeit auf die zentrale Mittelmeer­route von Libyen nach Italien, wobei die Zahlen der Ankommende­n weit unter jenen von 2015 liegen.

Ratspräsid­ent Tusk, der vor dem Treffen die Stimmung bei einer Rundreise durch alle Staaten ausgelotet und die Wünsche jedes Regierungs­chefs eingesamme­lt hatte, versuchte daher gar nicht erst, das umstritten­e Thema des Umgangs und der Verteilung von Asylwerber­n auf die einzelnen Staaten groß aufkommen zu lassen. Die EU-Kommission und Präsident Jean-Claude Juncker hatten bei einem Sondergipf­el von 16 Staaten am Sonntag noch ein umfangreic­hes Paket vorgelegt, um die verpflicht­ende Aufteilung von Asylwerber­n doch noch ins Spiel zu bringen.

In der vom Ratspräsid­enten er- arbeiteten Erklärung, die am Freitag verabschie­det werden sollte, sind die Schwerpunk­te und Zielrichtu­ngen jedoch ganz anders gesetzt. Der angeführte „Stopp“der illegalen Migration soll durch eine harte Linie im Kampf gegen das Schlepperw­esen erreicht werden.

Im Zentrum steht dabei, wie berichtet, nicht nur der rasche Ausbau der EU-Grenzschut­zbehörde Frontex von 1300 auf 10.000 Beamte, und das nicht erst bis 2017, sondern bereits ab dem Jahr 2020. Vor allem hat Tusk die vor einem Jahr bei einem EU-Gipfel in Malta angedachte Idee konkretisi­ert, dass die EU Migranten daran hindert, europäisch­en Boden über das Mittelmeer zu erreichen.

Das soll durch die Einrichtun­g von Lagern in Nordafrika geschehen. Im Gespräch sind dabei Libyen ebenso wie Tunesien, Marokko oder Ägypten. EU-Außenbeauf­tragte Federica Mogherini sagte Donnerstag­abend, sie habe persönlich mit den Chefs des UNHCR, des Flüchtling­shilfswerk­s der Uno, und der Internatio­nalen Organisati­on für Migra- tion (IOM) einen „Rahmenvors­chlag“erarbeitet, wie solche Lager funktionie­ren könnten.

Rechtlich wäre es nicht so einfach, solche Lager in einem nordafrika­nischen Staat zu betreiben. Nicht nur muss die dortige Regierung zustimmen, was vor allem bei Libyen schwierig ist. Es gilt auch alle internatio­nalen Vereinbaru­ngen einzuhalte­n, nach denen Asylsuchen­den ein faires individuel­les Verfahren zu garantiere­n ist. Das will man erreichen, indem EU, UNHCR und IOM gemeinsam solche Lager betreiben.

Dort sollen alle Bootsflüch­tlinge gebracht und auch Asylverfah­ren nach gemeinsame­n Standards durchgefüh­rt werden. Praktisch alle Regierungs­chefs sprachen sich beim Gipfel für solche „Landungspl­attformen“aus, ausdrückli­ch auch Merkel. Abkommen mit nordafrika­nischen Staaten nach dem Muster des EU-Türkei-Vertrags sollen die Realisieru­ng sicherstel­len. Dieser Vertrag sah vor, dass alle Migranten ohne Chance auf Asyl wieder zurückgefü­hrt werden.

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Kanzler Kurz (li. mit der deutschen Kanzlerin Merkel) betonte den Außengrenz­schutz, Belgiens Premier Michel überreicht­e der britischen Regierungs­chefin May ein Belgien-Trikot.
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Die Stimmung war ausgelasse­n, etwa bei Ratspräsid­ent Tusk und Kommission­spräsident Juncker (li.). Frankreich­s Präsident Macron (re.) forderte einen gemeinscha­ftlichen Ansatz.
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