Angela Merkels schwerer Gang zum EU- Gipfel
Bei allem Streit um die Verteilung von Asylwerbern auf EU-Staaten sind sich die Regierungschefs einig: Illegale Migration über das Mittelmeer soll durch strikte Rückführung in Auffanglager in Afrika beendet werden.
Zum Auftakt des EU-Gipfels hob Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel die gemeinsamen Interessen der EU in der Migrationspolitik hervor. Der Wunsch nach einem besseren Schutz der Außengrenzen vereine die Mitgliedstaaten auch, gab sie sich optimistisch. Offen zeigten sich diese etwa für Vorschläge, Migranten vom Mittelmeer aus in Aufnahmezentren außerhalb der EU zu bringen.
Die Debatte über die Migration „wird zunehmend hitzig“, bei den Bürgern wie auch zwischen den Regierungen der Mitgliedstaaten. Es sei daher für die Europäische Union insgesamt hoch an der Zeit, alle Anstrengungen zu unternehmen, um „die illegale Migration zu stoppen, das Geschäftsmodell der Schlepper zu zerstören und die volle Kontrolle über die Außengrenzen der Union wiederzuerlangen“.
Mit dieser im Ton recht unmissverständlichen Vorgabe an seine Kollegen startete der Ständige EURatspräsident Donald Tusk am Donnerstag den EU-Gipfel der 28 Staats- und Regierungschefs.
Dieser wurde von Anfang an von den Auseinandersetzungen um die gemeinsame Asyl- und Migrationspolitik überschattet, die von einer Koalitionskrise in Deutschland vor zwei Wochen ihren Ausgang genommen hatten. Weil die CSU in Bayern CDUKanzlerin Angela Merkel unverblümt mit dem Ende der Regierungszusammenarbeit gedroht hatte, sollte sie keine „europä- ische Lösung“beim Umgang mit „sekundären Migranten“– Asylwerbern aus Italien etwa, die nach Deutschland weiterwandern – erreichen, war das Treffen im Vorfeld zum „Schicksalsgipfel“für die deutsche Regierungschefin erklärt worden.
Wir haben eher „ein politisches Problem, kein Migrationsproblem“, lautete denn auch die Einschätzung des irischen Premiers Leo Varadkar. Er sprach sich dafür aus, in Ruhe und schrittweise vernünftige Maßnahmen zu setzen, um gemeinsamen Lösungen näherzukommen. Italiens neuer Premier, der eine EU-skeptische Regierung von Lega und Fünf Sternen anführt, drohte hingegen mit einem Veto seines Landes, sollte er von den Partnern keine sofortige Unterstützung beim Umgang mit Flüchtlingen erhalten.
Merkel selbst nahm bei einer Regierungserklärung in Berlin vor ihrer Abreise nach Brüssel das Wort „Schicksalsfrage“ebenfalls in den Mund: Aber nicht über die deutsche Kanzlerschaft, sondern für das gemeinsame Europa, wenn es nicht gelinge, beim Migrationsthema Lösungen zu finden. Und sie schraubte die Erwartungen zurück: Eine solche „umfassende Lösung“werde es für eine gemeinsame Asylpolitik noch nicht geben können. Der Zustrom an Flüchtlingen konzentriert sich derzeit auf die zentrale Mittelmeerroute von Libyen nach Italien, wobei die Zahlen der Ankommenden weit unter jenen von 2015 liegen.
Ratspräsident Tusk, der vor dem Treffen die Stimmung bei einer Rundreise durch alle Staaten ausgelotet und die Wünsche jedes Regierungschefs eingesammelt hatte, versuchte daher gar nicht erst, das umstrittene Thema des Umgangs und der Verteilung von Asylwerbern auf die einzelnen Staaten groß aufkommen zu lassen. Die EU-Kommission und Präsident Jean-Claude Juncker hatten bei einem Sondergipfel von 16 Staaten am Sonntag noch ein umfangreiches Paket vorgelegt, um die verpflichtende Aufteilung von Asylwerbern doch noch ins Spiel zu bringen.
In der vom Ratspräsidenten er- arbeiteten Erklärung, die am Freitag verabschiedet werden sollte, sind die Schwerpunkte und Zielrichtungen jedoch ganz anders gesetzt. Der angeführte „Stopp“der illegalen Migration soll durch eine harte Linie im Kampf gegen das Schlepperwesen erreicht werden.
Im Zentrum steht dabei, wie berichtet, nicht nur der rasche Ausbau der EU-Grenzschutzbehörde Frontex von 1300 auf 10.000 Beamte, und das nicht erst bis 2017, sondern bereits ab dem Jahr 2020. Vor allem hat Tusk die vor einem Jahr bei einem EU-Gipfel in Malta angedachte Idee konkretisiert, dass die EU Migranten daran hindert, europäischen Boden über das Mittelmeer zu erreichen.
Das soll durch die Einrichtung von Lagern in Nordafrika geschehen. Im Gespräch sind dabei Libyen ebenso wie Tunesien, Marokko oder Ägypten. EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini sagte Donnerstagabend, sie habe persönlich mit den Chefs des UNHCR, des Flüchtlingshilfswerks der Uno, und der Internationalen Organisation für Migra- tion (IOM) einen „Rahmenvorschlag“erarbeitet, wie solche Lager funktionieren könnten.
Rechtlich wäre es nicht so einfach, solche Lager in einem nordafrikanischen Staat zu betreiben. Nicht nur muss die dortige Regierung zustimmen, was vor allem bei Libyen schwierig ist. Es gilt auch alle internationalen Vereinbarungen einzuhalten, nach denen Asylsuchenden ein faires individuelles Verfahren zu garantieren ist. Das will man erreichen, indem EU, UNHCR und IOM gemeinsam solche Lager betreiben.
Dort sollen alle Bootsflüchtlinge gebracht und auch Asylverfahren nach gemeinsamen Standards durchgeführt werden. Praktisch alle Regierungschefs sprachen sich beim Gipfel für solche „Landungsplattformen“aus, ausdrücklich auch Merkel. Abkommen mit nordafrikanischen Staaten nach dem Muster des EU-Türkei-Vertrags sollen die Realisierung sicherstellen. Dieser Vertrag sah vor, dass alle Migranten ohne Chance auf Asyl wieder zurückgeführt werden.