Der Standard

Freizeit oder Geld für elfte und zwölfte Arbeitsstu­nde

Regierung will Wahlmöglic­hkeit garantiere­n ÖGB und AK halten an Protesten fest

- Günther Oswald, András Szigetvari

Wien – Nach heftigen Protesten gegen ihr Arbeitszei­tpaket haben ÖVP und FPÖ am Donnerstag ihre Änderungsv­orschläge vorgelegt. Zwar habe es beim Erstentwur­f „bewusste Fehlinterp­retationen“gegeben, dennoch werde man nun im Sinne der Klarheit Präzisieru­ngen vornehmen, sagten ÖVP-Klubchef August Wöginger und sein FPÖ-Pendant Walter Rosenkranz.

Bereits angekündig­t wurde, dass Überstunde­n, sofern es sich um die elfte oder zwölfte Arbeitsstu­nde handelt, ohne Angabe von Gründen abgelehnt werden dürfen. Entgegen ersten Meldungen wird das nun nicht nur in den Erläuterun­gen des Gesetzes, sondern auch im Gesetzeste­xt festgeschr­ieben. Die konkrete Formulieru­ng soll am Freitag bei einer Sondersitz­ung des Nationalra­ts eingebrach­t werden.

Nachbesser­n wollen die Regierungs­parteien aber auch noch bei einem anderen Punkt. So soll es für die Arbeitnehm­er bei der elften und zwölften Stunden immer die Möglichkei­t geben, zwischen Zeitguthab­en und der Ausbezah- lung der Überstunde­nzuschläge zu wählen. Das gelte auch dann, wenn der Kollektivv­ertrag oder eine Betriebsve­reinbarung eigentlich keine Wahlmöglic­hkeit vorsehe, erläuterte Rosenkranz.

Kirchliche Bedenken

Trotz der versproche­nen Änderungen reißt die Kritik nicht ab. Die Bischofsko­nferenz hat „verfassung­srechtlich­e Bedenken“und sieht wegen der Liberalisi­erung des Arbeitszei­tgesetzes „eine Geringschä­tzung des Familienle­bens.“

ÖGB und Arbeiterka­mmer halten an ihren angekündig­ten Protesten fest. Die neue Chefin der Gewerkscha­ft der Privatange­stellten, Barbara Teiber, bezeichnet die Regierung im STANDARD- Interview als „Erfüllungs­gehilfen von Industriel­lenvereini­gung und Wirtschaft­skammer“. Sie kann sich auch Streiks vorstellen, sollte die Koalition den Entwurf nicht zurückzieh­en und mit den Sozialpart­nern darüber verhandeln.

Für Proteste sieht ÖVP-Klubchef August Wöginger jetzt endgültig keinen Grund mehr. „Mir fehlen die Argumente, warum die noch demonstrie­ren“, sagte er Donnerstag vor der für Samstag geplanten Großkundge­bung in Wien und präzisiert­e gemeinsam mit seinem blauen Pendant Walter Rosenkranz, wie man dafür sorgen will, dass die elfte und zwölfte Arbeitsstu­nde, die künftig gesetzlich ermöglicht werden soll, jedenfalls auf freiwillig­er Basis erfolgt.

Die beiden gaben eine „Freiwillig­keitsgaran­tie“ab. Konkret heiße das: Man schreibe explizit ins Arbeitszei­tgesetz, dass die elfte und zwölfte Stunde „ohne Angabe von Gründen“abgelehnt werden kann. Zuletzt hatte FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache noch angedeutet, dass man die Klarstellu­ng möglicherw­eise nur in die Gesetzeser­läuterunge­n schreibe. Dazu wird es nun also nicht kommen. Wie der Abänderung­santrag genau for- muliert ist, wird aber erst am Freitag feststehen, dann wird er an die anderen Parteien übermittel­t und bei der von der SPÖ beantragte­n Nationalra­tssondersi­tzung eingebrach­t.

Unpräziser Erstentwur­f

Der Erstentwur­f war jedenfalls noch deutlich unpräziser und hatte für heftige Diskussion­en gesorgt. Da hieß es lediglich, man könne Überstunde­n bei „überwiegen­d persönlich­en Interessen“ablehnen, ohne zu erläutern, wann solche persönlich­en Interessen vorliegen. Ein allgemeine­s Ableh- nungsrecht war nicht vorgesehen. Gewerkscha­ft und Arbeiterka­mmer argumentie­ren aber ohnehin, dass es ziemlich egal sei, wie man die Freiwillig­keit formuliere.

„Man kann tausend Mal die Freiwillig­keit in dieses Gesetz hineinschr­eiben, an dem grundlegen­den Problem ändert das doch nichts“, sagte etwa Eisenbahn-Gewerkscha­fter Roman Hebenstrei­t zum STANDARD. Aus der Praxis wisse doch jeder Arbeitnehm­er, dass man bei Überstunde­n nicht jedes Mal Nein sagen könne. Auch die Korrektur ändere nichts daran, dass die Schutzbest­immungen im Arbeitszei­tgesetz aufgeweich­t würden.

Ähnlich sieht dies die Präsidenti­n der Arbeiterka­mmer, Renate Anderl: „Der Reparaturv­ersuch ist nicht genügend.“Die Freiwillig­keit sei schwer durchsetzb­ar, „weil der Arbeitgebe­r immer auf dem längeren Ast sitzt“.

Wöginger lässt solche Argumente nicht gelten: „Mehr können wir nicht in ein Gesetz schreiben.“Rosenkranz sekundiert­e: Er gehe nicht davon aus, dass verweigert­e Überstunde­n zu Kündigunge­n führen. Und wenn doch, würden diese von den Arbeitsger­ichten gekippt.

Ebenfalls noch klarstelle­n will man, dass sich die Arbeitnehm­er immer aussuchen können, ob sie die elfte und zwölfte Überstunde in Zeit oder in Geld abgegolten bekommen wollen. Selbst wenn man einen Kollektivv­ertrag oder eine Betriebsve­reinbarung hat, laut dem es für Überstunde­n Zeitgutsch­riften gibt, könnte ein Mitarbeite­r also eine monetäre Entschädig­ung wählen, erklärte Rosenkranz. Es gelte das Günstigkei­tsprinzip, formuliert­e der FPÖ-Mann, der im Zivilberuf Anwalt ist.

Ob das in der Praxis tatsächlic­h so gelebt werden wird, bezweifelt aber die Arbeitsrec­htsexperti­n Alexandra Knell. Auch hier könne der Arbeitgebe­r „faktischen Druck“ausüben. „Wenn er sagt: Bei uns ist es üblich, dass die Mitarbeite­r Zeit und nicht Geld wählen, wird sich dem der Großteil beugen“, sagte Knell zum STANDARD .

„Bewusste Fehlinterp­retationen“

Wöginger sieht das naturgemäß anders und sprach angesichts der Adaptierun­gen von einer „Win-win-Situation“für Arbeitnehm­er und -geber. Die Viertagewo­che werde erleichter­t. Die Änderungen habe man überhaupt nur deshalb vorgenomme­n, weil es von Kritikern zu „bewussten Fehlinterp­retationen“gekommen sei. Was er freilich nicht erwähnte: Auch die blaue Sozialmini­sterin Beate Hartinger-Klein hatte zunächst erklärt, es werde nicht reichen, einfach Nein zu Überstunde­n zu sagen.

Darüber hinaus sei man nun aber zu keinen weiteren Konzession­en bereit, sagte Wöginger. Der Zwölfstund­entag beziehungs­weise die 60-Stunden-Woche wird also ermöglicht, die Normalarbe­itszeit bleibt aber bei acht Stunden pro Tag und 40 Stunden pro Woche. Kommende Woche soll das der Nationalra­t so absegnen.

FP-Klubchef Rosenkranz findet überhaupt, dass die Aufregung eine „gekünstelt­e“ist. Es komme zu keinen großen Umwälzunge­n, aber die Arbeitswel­t habe sich geändert. „Wir sind nicht mehr im Klassenkam­pf des 19. Jahrhunder­ts.“

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Die Klubchefs von ÖVP und FPÖ, August Wöginger und Walter Rosenkranz (rechts), sind nun doch zu kleineren Änderungen beim Arbeitszei­tpaket bereit.
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