Freizeit oder Geld für elfte und zwölfte Arbeitsstunde
Regierung will Wahlmöglichkeit garantieren ÖGB und AK halten an Protesten fest
Wien – Nach heftigen Protesten gegen ihr Arbeitszeitpaket haben ÖVP und FPÖ am Donnerstag ihre Änderungsvorschläge vorgelegt. Zwar habe es beim Erstentwurf „bewusste Fehlinterpretationen“gegeben, dennoch werde man nun im Sinne der Klarheit Präzisierungen vornehmen, sagten ÖVP-Klubchef August Wöginger und sein FPÖ-Pendant Walter Rosenkranz.
Bereits angekündigt wurde, dass Überstunden, sofern es sich um die elfte oder zwölfte Arbeitsstunde handelt, ohne Angabe von Gründen abgelehnt werden dürfen. Entgegen ersten Meldungen wird das nun nicht nur in den Erläuterungen des Gesetzes, sondern auch im Gesetzestext festgeschrieben. Die konkrete Formulierung soll am Freitag bei einer Sondersitzung des Nationalrats eingebracht werden.
Nachbessern wollen die Regierungsparteien aber auch noch bei einem anderen Punkt. So soll es für die Arbeitnehmer bei der elften und zwölften Stunden immer die Möglichkeit geben, zwischen Zeitguthaben und der Ausbezah- lung der Überstundenzuschläge zu wählen. Das gelte auch dann, wenn der Kollektivvertrag oder eine Betriebsvereinbarung eigentlich keine Wahlmöglichkeit vorsehe, erläuterte Rosenkranz.
Kirchliche Bedenken
Trotz der versprochenen Änderungen reißt die Kritik nicht ab. Die Bischofskonferenz hat „verfassungsrechtliche Bedenken“und sieht wegen der Liberalisierung des Arbeitszeitgesetzes „eine Geringschätzung des Familienlebens.“
ÖGB und Arbeiterkammer halten an ihren angekündigten Protesten fest. Die neue Chefin der Gewerkschaft der Privatangestellten, Barbara Teiber, bezeichnet die Regierung im STANDARD- Interview als „Erfüllungsgehilfen von Industriellenvereinigung und Wirtschaftskammer“. Sie kann sich auch Streiks vorstellen, sollte die Koalition den Entwurf nicht zurückziehen und mit den Sozialpartnern darüber verhandeln.
Für Proteste sieht ÖVP-Klubchef August Wöginger jetzt endgültig keinen Grund mehr. „Mir fehlen die Argumente, warum die noch demonstrieren“, sagte er Donnerstag vor der für Samstag geplanten Großkundgebung in Wien und präzisierte gemeinsam mit seinem blauen Pendant Walter Rosenkranz, wie man dafür sorgen will, dass die elfte und zwölfte Arbeitsstunde, die künftig gesetzlich ermöglicht werden soll, jedenfalls auf freiwilliger Basis erfolgt.
Die beiden gaben eine „Freiwilligkeitsgarantie“ab. Konkret heiße das: Man schreibe explizit ins Arbeitszeitgesetz, dass die elfte und zwölfte Stunde „ohne Angabe von Gründen“abgelehnt werden kann. Zuletzt hatte FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache noch angedeutet, dass man die Klarstellung möglicherweise nur in die Gesetzeserläuterungen schreibe. Dazu wird es nun also nicht kommen. Wie der Abänderungsantrag genau for- muliert ist, wird aber erst am Freitag feststehen, dann wird er an die anderen Parteien übermittelt und bei der von der SPÖ beantragten Nationalratssondersitzung eingebracht.
Unpräziser Erstentwurf
Der Erstentwurf war jedenfalls noch deutlich unpräziser und hatte für heftige Diskussionen gesorgt. Da hieß es lediglich, man könne Überstunden bei „überwiegend persönlichen Interessen“ablehnen, ohne zu erläutern, wann solche persönlichen Interessen vorliegen. Ein allgemeines Ableh- nungsrecht war nicht vorgesehen. Gewerkschaft und Arbeiterkammer argumentieren aber ohnehin, dass es ziemlich egal sei, wie man die Freiwilligkeit formuliere.
„Man kann tausend Mal die Freiwilligkeit in dieses Gesetz hineinschreiben, an dem grundlegenden Problem ändert das doch nichts“, sagte etwa Eisenbahn-Gewerkschafter Roman Hebenstreit zum STANDARD. Aus der Praxis wisse doch jeder Arbeitnehmer, dass man bei Überstunden nicht jedes Mal Nein sagen könne. Auch die Korrektur ändere nichts daran, dass die Schutzbestimmungen im Arbeitszeitgesetz aufgeweicht würden.
Ähnlich sieht dies die Präsidentin der Arbeiterkammer, Renate Anderl: „Der Reparaturversuch ist nicht genügend.“Die Freiwilligkeit sei schwer durchsetzbar, „weil der Arbeitgeber immer auf dem längeren Ast sitzt“.
Wöginger lässt solche Argumente nicht gelten: „Mehr können wir nicht in ein Gesetz schreiben.“Rosenkranz sekundierte: Er gehe nicht davon aus, dass verweigerte Überstunden zu Kündigungen führen. Und wenn doch, würden diese von den Arbeitsgerichten gekippt.
Ebenfalls noch klarstellen will man, dass sich die Arbeitnehmer immer aussuchen können, ob sie die elfte und zwölfte Überstunde in Zeit oder in Geld abgegolten bekommen wollen. Selbst wenn man einen Kollektivvertrag oder eine Betriebsvereinbarung hat, laut dem es für Überstunden Zeitgutschriften gibt, könnte ein Mitarbeiter also eine monetäre Entschädigung wählen, erklärte Rosenkranz. Es gelte das Günstigkeitsprinzip, formulierte der FPÖ-Mann, der im Zivilberuf Anwalt ist.
Ob das in der Praxis tatsächlich so gelebt werden wird, bezweifelt aber die Arbeitsrechtsexpertin Alexandra Knell. Auch hier könne der Arbeitgeber „faktischen Druck“ausüben. „Wenn er sagt: Bei uns ist es üblich, dass die Mitarbeiter Zeit und nicht Geld wählen, wird sich dem der Großteil beugen“, sagte Knell zum STANDARD .
„Bewusste Fehlinterpretationen“
Wöginger sieht das naturgemäß anders und sprach angesichts der Adaptierungen von einer „Win-win-Situation“für Arbeitnehmer und -geber. Die Viertagewoche werde erleichtert. Die Änderungen habe man überhaupt nur deshalb vorgenommen, weil es von Kritikern zu „bewussten Fehlinterpretationen“gekommen sei. Was er freilich nicht erwähnte: Auch die blaue Sozialministerin Beate Hartinger-Klein hatte zunächst erklärt, es werde nicht reichen, einfach Nein zu Überstunden zu sagen.
Darüber hinaus sei man nun aber zu keinen weiteren Konzessionen bereit, sagte Wöginger. Der Zwölfstundentag beziehungsweise die 60-Stunden-Woche wird also ermöglicht, die Normalarbeitszeit bleibt aber bei acht Stunden pro Tag und 40 Stunden pro Woche. Kommende Woche soll das der Nationalrat so absegnen.
FP-Klubchef Rosenkranz findet überhaupt, dass die Aufregung eine „gekünstelte“ist. Es komme zu keinen großen Umwälzungen, aber die Arbeitswelt habe sich geändert. „Wir sind nicht mehr im Klassenkampf des 19. Jahrhunderts.“