Der Standard

„Ich wehre mich nicht gegen kleinere Gruppen“

Bildungsmi­nister Heinz Faßmann (ÖVP) über Holler in den Lehrplänen und darüber, was seiner Ansicht nach gegen soziale Segregatio­n hilft. In den Deutschför­derklassen könnten deutlich weniger als 25 Kinder sitzen – aber das sei Sache der Schulerhal­ter.

- INTERVIEW: Peter Mayr, Karin Riss

STANDARD: In der zu Ende gehenden Schulserie haben uns Lehrkräfte von den dringlichs­ten Problemen ihres Schulallta­gs berichtet. Was sollte Ihrer Meinung nach zuerst angegangen werden? Faßmann: Die Alarmsiren­e muss ich nicht einschalte­n. Unsere Schule funktionie­rt gut. Ich sehe viele sehr engagierte Lehrkräfte.

STANDARD: Es passt also alles? Faßmann: Es gibt schon einiges, woran man immer arbeiten muss. Es verändert sich die Gesellscha­ft, es verändert sich die Schülerpop­ulation. Aber ich bin kein Freund des Alarmismus.

STANDARD: Bei den von den Lehrern genannten Themen fällt auf: Meist sind Neue Mittelschu­len, Handelssch­ulen und Polys betroffen. Wie lässt sich die Situation an diesen Schulen verbessern? Faßmann: Manche dieser Punkte betreffen nicht nur einzelne Schultypen. So müssen wir kritisch reflektier­en: Was heißt Bildung im 21. Jahrhunder­t? Welche Inhalte sind wesentlich? Was kommt neu hinzu, was können wir weglassen? Wir haben deshalb einen Prozess zur Durchsicht der Lehrpläne eingeleite­t.

STANDARD: Heißt, die Kinder lernen auch viel Holler? Faßmann: Ab wann beginnt „Holler“? Was wir uns fragen müssen: Wie kann man andere Wege der Informatio­nsbeschaff­ung nützen und damit eine lose Aneinander­reihung von Informatio­nen in den Lehrplänen verhindern? Wie kann man grundsätzl­iche Lehrinhalt­e betonen und lernen, die Einzelinfo­rmationen – etwa wann war jetzt genau der Westfälisc­he Friede – mithilfe von Technologi­en zu erarbeiten?

STANDARD: Es gibt das schöne Beispiel aus der Mathematik, wo jahrelang darüber diskutiert wurde, ob die Kegelschni­tte Teil des Lehrplans bleiben sollen oder nicht. Wenn es in Detailbere­ichen schon so schwierig ist, wie soll da der Lehrplan durchlüfte­t werden? Faßmann: Mir dauert der Prozess auch zu lange. Das muss schneller gehen, da haben Sie recht.

STANDARD: Woran liegt das? Faßmann: Bei den Lehrplänen reden die Fachleute mit. Und jeder, der vom Fach kommt, liebt sein Fach. Wir werden also überlegen, ob wir diese Lehrplanen­twicklungs­gruppen nicht auch mit fachnahen, aber nicht fachspezif­ischen Personen beschicken. Die könnten dann kritisch hinterfrag­en, ob es die Kegelschni­tte noch braucht.

STANDARD: Ein Dauerstrei­tthema sind die Deutschkla­ssen. Was uns interessie­rt: Was geschieht mit jenen, die nicht ausreichen­d Deutsch können, aber nicht in die von der Maßnahme betroffene Zielgruppe hineinfall­en? Was machen die? Faßmann: Deutschför­derkurse.

STANDARD: Die wurden ja gekürzt. Faßmann: Ja, aber wenn die Kinder diese Fördermaßn­ahmen länger brauchen, werden sie auch länger Zugang zu diesen Kursen haben.

STANDARD: Selbst die vermeintli­che Vorzeigesc­hule in Wiener Neustadt will am Konzept der kleinen Gruppen festhalten. Im Gesetz ist von bis zu 25 Schülern die Rede. Faßmann: Ich wehre mich nicht gegen kleinere Gruppen.

STANDARD: Die zehn Kinder pro Klasse, die es dort gibt, werden aber nicht die Norm sein. Faßmann: Schauen wir mal. Hier sind Gemeinde- und Landesress­ourcen zusätzlich hineingest­eckt worden – why not? Gerade was den Bereich der Pflichtsch­ulen betrifft, da hat das Land eine gehörige Verantwort­ung – das sage ich auch in Richtung Wien.

STANDARD: Allgemein gefragt: Wie bekommt man die Segregatio­n in den Griff, die bereits ab der Volksschul­e einsetzt? Faßmann: Als jemand, der aus der Raumplanun­g kommt, weiß ich: Schulsegre­gation ist immer eine Folge der Wohnsegreg­ation. Da gehört angesetzt. Was die Schule und Schulbehör­de machen können, ist die Attraktivi­tät der Standorte, die unbeliebt sind, zu heben.

STANDARD: Stichwort Sozialinde­x. Faßmann: Ja. Attraktivi­tätserhöhu­ng ist oft recht simpel. Der Schulerhal­ter steckt mehr Geld in die bauliche Infrastruk­tur, macht einen ansehnlich­en Turnsaal, einen guten Computerra­um.

Standard: Was nutzt ein attraktive­r Raum, wenn in Klassen viele Kinder mit Migrations­hintergrun­d sitzen, und am Tag der offenen Tür gehen Eltern rein und viele ... Faßmann: ... gehen gleich wieder hinaus. Richtig. Aber wenn sie hineingehe­n, und es gibt eine gute Infrastruk­tur und engagierte Lehrkräfte, vielleicht lassen sie dann ihr Kind drinnen. So die Hoffnung.

STANDARD: Ein Lehrer muss heute Coach sein, Erzieher, Sozialarbe­iter – was kann er vernachläs­sigen? Faßmann: Das kann man so nicht sagen. Ein Lehrer darf nicht nur Pauker sein, und das ist er auch nicht. Er muss ein sozialisie­render Lebensbegl­eiter sein.

STANDARD: Man könnte sie freispiele­n, durch mehr Sozialarbe­iter und Psychologe­n. Faßmann: Geplant ist nicht immer nur das „Mehr“, sondern das Vorhandene besser einzusetze­n.

STANDARD: In Wien bleiben vom Unterstütz­ungsperson­al, das wesentlich aus dem gekürzten Integratio­nstopf finanziert wurde, 43 Sozialarbe­iter. Wie soll man die besser einsetzen? Faßmann: Die Frage richten Sie jetzt an Stadtrat Jürgen Czernohors­zky?

STANDARD: Der Integratio­nstopf wurde ja wohl vom Bund gekürzt. Faßmann: Der Pflichtsch­ulbereich ist eine gemeinscha­ftliche Aufgabe. Es ist nicht immer nur der Bund zuständig.

HEINZ FASSMANN, Jahrgang 1955, Professor für Angewandte Geografie, Raumforsch­ung, Raumordnun­g, ist seit Jänner 2018 Bildungsmi­nister. pDie Langfassun­g des Gesprächs

auf: derStandar­d.at/Klassenzim­mer

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Foto: APA/Fohringer Bildungsmi­nister Faßmann: „Bin kein Freund des Alarmismus.“

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