„Ich wehre mich nicht gegen kleinere Gruppen“
Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) über Holler in den Lehrplänen und darüber, was seiner Ansicht nach gegen soziale Segregation hilft. In den Deutschförderklassen könnten deutlich weniger als 25 Kinder sitzen – aber das sei Sache der Schulerhalter.
STANDARD: In der zu Ende gehenden Schulserie haben uns Lehrkräfte von den dringlichsten Problemen ihres Schulalltags berichtet. Was sollte Ihrer Meinung nach zuerst angegangen werden? Faßmann: Die Alarmsirene muss ich nicht einschalten. Unsere Schule funktioniert gut. Ich sehe viele sehr engagierte Lehrkräfte.
STANDARD: Es passt also alles? Faßmann: Es gibt schon einiges, woran man immer arbeiten muss. Es verändert sich die Gesellschaft, es verändert sich die Schülerpopulation. Aber ich bin kein Freund des Alarmismus.
STANDARD: Bei den von den Lehrern genannten Themen fällt auf: Meist sind Neue Mittelschulen, Handelsschulen und Polys betroffen. Wie lässt sich die Situation an diesen Schulen verbessern? Faßmann: Manche dieser Punkte betreffen nicht nur einzelne Schultypen. So müssen wir kritisch reflektieren: Was heißt Bildung im 21. Jahrhundert? Welche Inhalte sind wesentlich? Was kommt neu hinzu, was können wir weglassen? Wir haben deshalb einen Prozess zur Durchsicht der Lehrpläne eingeleitet.
STANDARD: Heißt, die Kinder lernen auch viel Holler? Faßmann: Ab wann beginnt „Holler“? Was wir uns fragen müssen: Wie kann man andere Wege der Informationsbeschaffung nützen und damit eine lose Aneinanderreihung von Informationen in den Lehrplänen verhindern? Wie kann man grundsätzliche Lehrinhalte betonen und lernen, die Einzelinformationen – etwa wann war jetzt genau der Westfälische Friede – mithilfe von Technologien zu erarbeiten?
STANDARD: Es gibt das schöne Beispiel aus der Mathematik, wo jahrelang darüber diskutiert wurde, ob die Kegelschnitte Teil des Lehrplans bleiben sollen oder nicht. Wenn es in Detailbereichen schon so schwierig ist, wie soll da der Lehrplan durchlüftet werden? Faßmann: Mir dauert der Prozess auch zu lange. Das muss schneller gehen, da haben Sie recht.
STANDARD: Woran liegt das? Faßmann: Bei den Lehrplänen reden die Fachleute mit. Und jeder, der vom Fach kommt, liebt sein Fach. Wir werden also überlegen, ob wir diese Lehrplanentwicklungsgruppen nicht auch mit fachnahen, aber nicht fachspezifischen Personen beschicken. Die könnten dann kritisch hinterfragen, ob es die Kegelschnitte noch braucht.
STANDARD: Ein Dauerstreitthema sind die Deutschklassen. Was uns interessiert: Was geschieht mit jenen, die nicht ausreichend Deutsch können, aber nicht in die von der Maßnahme betroffene Zielgruppe hineinfallen? Was machen die? Faßmann: Deutschförderkurse.
STANDARD: Die wurden ja gekürzt. Faßmann: Ja, aber wenn die Kinder diese Fördermaßnahmen länger brauchen, werden sie auch länger Zugang zu diesen Kursen haben.
STANDARD: Selbst die vermeintliche Vorzeigeschule in Wiener Neustadt will am Konzept der kleinen Gruppen festhalten. Im Gesetz ist von bis zu 25 Schülern die Rede. Faßmann: Ich wehre mich nicht gegen kleinere Gruppen.
STANDARD: Die zehn Kinder pro Klasse, die es dort gibt, werden aber nicht die Norm sein. Faßmann: Schauen wir mal. Hier sind Gemeinde- und Landesressourcen zusätzlich hineingesteckt worden – why not? Gerade was den Bereich der Pflichtschulen betrifft, da hat das Land eine gehörige Verantwortung – das sage ich auch in Richtung Wien.
STANDARD: Allgemein gefragt: Wie bekommt man die Segregation in den Griff, die bereits ab der Volksschule einsetzt? Faßmann: Als jemand, der aus der Raumplanung kommt, weiß ich: Schulsegregation ist immer eine Folge der Wohnsegregation. Da gehört angesetzt. Was die Schule und Schulbehörde machen können, ist die Attraktivität der Standorte, die unbeliebt sind, zu heben.
STANDARD: Stichwort Sozialindex. Faßmann: Ja. Attraktivitätserhöhung ist oft recht simpel. Der Schulerhalter steckt mehr Geld in die bauliche Infrastruktur, macht einen ansehnlichen Turnsaal, einen guten Computerraum.
Standard: Was nutzt ein attraktiver Raum, wenn in Klassen viele Kinder mit Migrationshintergrund sitzen, und am Tag der offenen Tür gehen Eltern rein und viele ... Faßmann: ... gehen gleich wieder hinaus. Richtig. Aber wenn sie hineingehen, und es gibt eine gute Infrastruktur und engagierte Lehrkräfte, vielleicht lassen sie dann ihr Kind drinnen. So die Hoffnung.
STANDARD: Ein Lehrer muss heute Coach sein, Erzieher, Sozialarbeiter – was kann er vernachlässigen? Faßmann: Das kann man so nicht sagen. Ein Lehrer darf nicht nur Pauker sein, und das ist er auch nicht. Er muss ein sozialisierender Lebensbegleiter sein.
STANDARD: Man könnte sie freispielen, durch mehr Sozialarbeiter und Psychologen. Faßmann: Geplant ist nicht immer nur das „Mehr“, sondern das Vorhandene besser einzusetzen.
STANDARD: In Wien bleiben vom Unterstützungspersonal, das wesentlich aus dem gekürzten Integrationstopf finanziert wurde, 43 Sozialarbeiter. Wie soll man die besser einsetzen? Faßmann: Die Frage richten Sie jetzt an Stadtrat Jürgen Czernohorszky?
STANDARD: Der Integrationstopf wurde ja wohl vom Bund gekürzt. Faßmann: Der Pflichtschulbereich ist eine gemeinschaftliche Aufgabe. Es ist nicht immer nur der Bund zuständig.
HEINZ FASSMANN, Jahrgang 1955, Professor für Angewandte Geografie, Raumforschung, Raumordnung, ist seit Jänner 2018 Bildungsminister. pDie Langfassung des Gesprächs
auf: derStandard.at/Klassenzimmer