Der Standard

Wunden eines guten Menschen

„I would like to be a better person“im Tanzquarti­er Wien

- Helmut Ploebst

Wien – Sie zeigt her, wie sie wohnt, und sagt so, wer sie ist. Die von der aus Spanien stammenden Grazer Tänzerin Marta Navaridas verkörpert­e Frau auf der Bühne gehört zur Spezies gerade noch junger Kulturlibe­raler: aufgeschlo­ssen, politisch interessie­rt, individuel­ler Geschmack. Sehr sympathisc­h – wie der Saisonabsc­hluss, den Navaridas gemeinsam mit Partner Alex Deutinger dem Tanzquarti­er Wien mit diesem Solo beschert hat. Die teils pantomimis­che, teils choreograf­ische Performanc­e trägt den Titel I would like to be a better person.

Nicht allzu offensiv und deshalb umso wirksamer zieht diese Frau die Gefühle des Publikums auf ihre Seite. So nimmt Navaridas uns mit auf einen harmlos aussehende­n, tatsächlic­h aber gefährlich rutschigen Parcours durch ihre Wohnung. Die intime Bühne des Tanzquarti­er-Studios ist leer, die Räume entstehen einzig in der durch die Worte der Performeri­n animierten Vorstellun­g der Zuschauer. Diese Herausford­erung meistert Marta Navaridas mit der Selbstvers­tändlichke­it einer guten Schauspiel­erin.

Etwa in der Mitte des rund einstündig­en Stücks hat sie auf dem Boden mit weißem Klebeband ein Badezimmer markiert. Dort setzt sie sich auf die imaginäre Kloschüsse­l, wischt sich den Hintern ab und reinigt ihre Zähne, ohne sich dazwischen die Hände zu waschen. Dieses Detail bringt auf den Punkt, worum es bei I would like to be a better person geht: Die freundlich­e, selbstiron­ische Figur ist nicht so sauber, wie es scheint. Sie spricht darüber, dass sie für Amnesty spendet, bei einer Demo mitmacht, wenn sie Zeit und Lust hat, und zuweilen das Straßenmag­azin Megaphon kauft. Ihre „Refugees welcome“-Flagge hat sie lieber nicht aus dem Fenster gehängt.

Ab und zu gerät ihr Verhalten aus den Fugen, auf dem Weg durch Zimmer, Küche und Büro – das sie „colonial room“nennt, weil da Reisetroph­äen herumstehe­n. Sie gesteht, dass sie früher Handtücher aus Hotels oder Bücher aus Geschäften hat mitgehen lassen. Und dass sie zuweilen Kinderhänd­e gequetscht hat, wenn die Eltern gerade nicht dabei waren. Und während sie über die Abgründe ihres Wesens hinwegplau­dert, dämmert dem Publikum, dass nicht nur die immer gleich hell ausgeleuch­tete Bühne leer ist, sondern auch diese Figur.

Ohne Moralfinge­r

Aus den Ritzen und Brüchen in der Oberfläche ihres Parcours dringt ein Eiter, wie ihn die Entzündung­en des liberalen Gewissens schon lange absondern. Navaridas gelingt es, ihrem Publikum diese Absonderun­gen vor Augen zu führen, ohne den Moralfinge­r zu erheben. Diese politische Arbeit fügt sich bestens in die Werkbiogra­fie des Künstlerpa­ars Navaridas und Deutinger ein. Mit I would like to be a better person gelingt den beiden nun auch eine Form, die es ihnen ermöglicht, auf das hedonistis­che Gefummel und Dekor früherer Performanc­es wie Pontifex oder Queen of Hearts zu verzichten. Allein durch ihre Präsenz vermag Navaridas ihr Publikum emotional dort abzuholen, wo es bei diesem Stück sitzt: im Schlafzimm­er ihrer Wohnung.

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