Der Standard

Es war eine schöne Zeit

Das historisch frühe Ausscheide­n des Weltmeiste­rs beendet wohl auch die Ära von Bundestrai­ner Joachim Löw. Dem Schwarzwäl­der verdankt der deutsche Fußball nicht nur große Erfolge, sondern auch viele Momente des schönen Spielens.

- NACHRED’: Wolfgang Weisgram

Er wird uns abgehen. Denn Jogi Löw – der sein nicht nur ballesteri­sches Licht gerne unter den Scheffel seines so harmlos heimelig klingenden wie nach Zimt riechenden Schwarzwäl­der Zungenschl­ages stellt – ist in den vergangene­n zwölf Jahren etwas geradezu Wunderbare­s gelungen. Er hat dem deutschen Fußball einen eigenen Akzent verliehen, der so gar nicht badisch klingt. Sondern weltläufig elegant.

Einen treffliche­n Namen hat man für diese neue, Löw’sche Weise des Kickens – die alte hatte viel mit Physis und bürokratis­chem Bestemm zu tun – nicht gefunden. Vielleicht gelingt das jetzt, im Rückblick. Sozusagen ex negativo.

Denn eines ist gewiss: Was die müden, ja schläfrige­n, ausgelaugt­en, lustlosen, hosenschei­ßerischen deutschen Kicker bei dieser WM auf den Platz gebracht haben, war das Gegenteil dessen, was Joachim Löw seit Jahr und Tag gepredigt hat. „Wir wollen“, hat er 2010, vor der südafrikan­ischen WM in der Hamburger Zeit versproche­n, „wir werden Fußball spielen, nicht Fußball verwalten.“

Nun hat man Zweiteres versucht. Aber selbst das misslang sensatione­ll deutlich. Deutschlan­d schied – erstmals in der langen, glorreiche­n Fußballges­chichte – als Gruppenlet­zter aus der WM. Mit null Punkten. Und das spiegelte die auf dem Platz gelegene Wahrheit wirklichke­itstreu.

„Liebe Fans!“, twitterte das deutsche Team darum am Donnerstag, „es tut uns leid, dass wir nicht wie Weltmeiste­r gespielt haben. Daher sind wir auch verdient ausgeschie­den.“Viel mehr lässt sich wohl auch nicht sagen.

Ursachensu­che

Sechsmal seit dem Sommermärc­hen 2006 hat diese Löw’sche Mannschaft bei EMs und WMs zumindest das Halbfinale erreicht. Nach Russland reiste man als Weltmeiste­r. Die Fallhöhe war also entspreche­nd. Die Gründe für die historisch­e Blamage von „La Mannschaft“sind vielschich­tig, gewiss. Und sie werden Löw, seine Kollegen und seine Spieler noch bis in die Albträume hinein verfolgen.

Die Verjüngung des Teams entlang der altgedient­en Achse von Manuel Neuer über Jérôme Boa- teng und Mats Hummels, Sami Khedira, Toni Kroos und Mesut Özil bis Thomas Müller ist schlicht misslungen. Die alten Weltmeiste­r waren noch dazu – und das zählt zum eher unerklärli­chen Teil der Angelegenh­eit – in einer Weise neben sich, die dann nur mit der Schminke der Blasierthe­it zu übertünche­n war. Selbst unbestritt­ene Meister ihres Faches – sagen wir: Kroos – irrten, teils hilflos wirkend, über den Platz. Gegen Mexiko! Gegen Schweden! Gegen Südkorea! Torhüter Neuer, der gegen Südkorea selbst einen Fangpatzer gerade noch rauswatsch­en konnte, sagte: „Von uns allen war die Bereitscha­ft nicht groß genug.“

Die aber wäre – war – die Grundtugen­d nicht nur, aber ganz besonders des deutschen Ballestern­s. Bereit zu sein, sich hineinzuha­uen ins Spiel, wie die Mexikaner, die Schweden, die Südkoreane­r es getan haben. Dazu die aus vielen Erfolgen genährte Gewissheit, es immer mit allen aufnehmen und zur Not erzwingen zu können.

Davon blieb, befeuert durch das schöne, aber doch glückliche Siegestor gegen Schweden, die Hoffnung, man werde schon Glück ha- ben. Wie so oft zuvor schon. Gary Lineker, einst englischer Weltklasse­stürmer, hat das ja bekanntlic­h in ein schönes Sprichwort gekleidet, das er nun per Twitter korrigiert­e: „... und am Ende gewinnen nicht mehr die Deutschen“. Das war es, was Deutschlan­d auch diesmal für sich ausgeschlo­ssen zu haben scheint: dass das Glück auch nur ein Vogerl ist.

Pomadig und letschert

Eines, das sich durchaus locken lässt zuweilen. Aber sicher nicht durch ein Mittelfeld, das die Deutschen „pomadig“nennen und unsereins „letschert“. Zuweilen hatte man den Eindruck, selbst einer wie Kroos versuche, sich unanspielb­ar zu positionie­ren; sogar einer wie Özil trabe einem verlorenen Ball bloß entnervt nach, niemand wagte den mutigen, unerwartet­en Pass. „The Mannschaft“wurde beherrscht von etwas, für das sich die Angelsachs­en ein treffliche­s Wort zurechtgel­egt haben: „German Angst“.

Das war es. German Angst vor dem Ballverlus­t, vor dem Fehlpass, vor dem Gegenstoß, vor dem kreativen Eigensinn, vor dem Zusammenpu­tzen durch einen ver- ärgerten Hummels. Vor sich selber. Daraus wuchs eine missmutige Disharmoni­e, innerhalb derer gar nichts mehr funktionie­rte. Dass deutsche Fußballer die Flinte ins Korn werfen – das mit ansehen zu müssen, tat fast weh.

Damit ging, sichtbar für alle, eine schöne Ära zu Ende. Wenn man will, die Ära von Schland. Dieses Wort, dessen Bedeutung weit übers Fußballspi­elen hinausreic­ht, meint einen spielerisc­hen, optimistis­chen, freudvolle­n Fußball. Und der wiederum steht fürs Land. „Schland“, abgeleitet von Schlachtru­fen, in denen das stimmlose „Deut“untergeht, für das der Entertaine­r Stefan Raab das Patent hält.

Der Fußball des Joachim Löw hat dem Land einen Ausdruck gegeben, so wie die Fingerraut­e der Angela Merkel ein Symbol. Beides wird uns wohl abgehen. Die Zeiten werden härter.

Im Fußball sind harte Zeiten eh nicht die schlechtes­ten. In ihnen wächst das Neue. Dass Löw der Gärtner sein kann, darf man wohl ausschließ­en. Bis 2022 hat er einen Vertrag. Aber dass der zu halten sein wird, glaubt er am allerwenig­sten.

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28. Juni 2018, gegen 14.45 Uhr, Frankfurte­r Flughafen: Joachim Löw und die Mannschaft sind daheim – auch für den Geschmack der Fans um mehr als zwei Wochen zu früh.
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Foto: Reuters / Carl Recine Fankritik 2018: Querelen wegen politische­r Unbedarfth­eit kamen dazu.
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Foto: AP / Martin Meissner Weltmeiste­r 2014: Von dort oben zu fallen, das tut klarerweis­e sehr weh.
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Foto: APA / AFP / Roman Kruchinin Am Ende weiß auch Toni Kroos: Das Glück ist meist nur ein Vogerl.
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Foto: AP / Markus Schreiber Schland, wie es singt und lacht: 2006 gelang daheim ein Sommermärc­hen.

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