Der Standard

Schulschlu­ss – aber kein Ende der Probleme

In der Debatte um die Defizite in den Schulen ist endlich eine pragmatisc­here Sichtweise eingekehrt: Missstände werden öfter ausgesproc­hen. Warum es trotzdem ein heißer Herbst werden könnte.

- Georg Cavallar

In den nächsten Tagen werden zehntausen­de Kinder und Jugendlich­e in die „wohlverdie­nten Ferien“entlassen. Konflikte für den Herbst sind bereits vorprogram­miert. Einige Wiener Schulen wollen die von Minister Faßmann geplanten Deutschför­derklassen boykottier­en.

Das abgelaufen­e Schuljahr hat teilweise das beendet, was als Realitätsv­erweigerun­g bezeichnet werden könnte. Gewalt an Schulen wird offener angesproch­en. Die Lehrerin Susanne Wiesinger sprach im Frühjahr das aus, was nur hinter vorgehalte­ner Hand formuliert worden war: In manchen Klassen ist ein geregelter Unterricht nicht mehr möglich.

Der zweite „Tabubruch“bezog sich auf massive Probleme bei der Integratio­n von Jugendlich­en, die salafistis­chen oder islamistis­chen Strömungen ausgesetzt sind. Viel öfter als früher ist nun zu hören, dass die Ballungsze­ntren de facto ein Zwei- oder besser Mehrklasse­nschulsyst­em haben mit „Restschule­n“, wo 70 Prozent der Kinder oder mehr Deutsch nicht als Mutterspra­che haben.

Justament die schriftlic­he Matura in Mathematik zeigte, dass auch junge Menschen mit deutscher Mutterspra­che sprachlich­e Defizite aufweisen, die sinnerfass­endes Lesen massiv erschweren. Und: Lehrkräfte dürfen aus dem Schulallta­g plaudern und etwa anmerken, dass das größte Problem Verweigere­r in der Schule seien, „die alle Angebote ausschlage­n“.

Diese Realitäten sehen ernüchtern­d aus. Aber sie werden – vielleicht auch mit einigen Verzerrung­en und Dramatisie­rungen – immerhin zur Kenntnis genommen. Es wird erkennbar, welche Herkulesau­fgaben auf den Unterricht­sminister zukommen. Beispielsw­eise: Wäre es nicht sinnvoll, das offensicht­liche Ungleichge­wicht zwischen Anforderun­gen bei der schriftlic­hen Matura in Deutsch und jener in Mathematik zu überdenken? Ist es nicht leichtsinn­ig, gerade die Mindestanf­orderungen in Deutsch so niedrig zu halten, dass eine Kollegin nach der Kompensati­onsprüfung in diesem Fach anmerkt: „Mit etwas Gelabere kommt jeder durch.“Ist nicht etwas schiefgela­ufen, wenn sich Mathematik häufig zu einem „Horrorfach“entwickelt hat, während die perfekte Beherrschu­ng der eigenen Mutterspra­che sträflich vernachläs­sigt wird?

Es ist nicht zu erwarten, dass die bisherigen ideologisc­hen Grabenkämp­fe in nächster Zeit weniger werden. Die geplanten Deutschför­derklassen sind ein einschlägi­ges Beispiel dafür, wie die Diskussion­en teilweise nach dem bekannten Links-rechtsMust­er ablaufen. Diese Diskursebe­ne wird jedoch durch einen vermehrten Pragmatism­us – im Sinne der Anpassung an Gegebenhei­ten – überlagert. Rosemarie Schwaiger etwa konzediert in einem Profil- Leitartike­l, dass die Idee, Kinder von anderen Kindern lernen zu lassen, plausibel klingt.

„Eh ganz gut funktionie­rt“

Was aber mit Klassen tun, wo nur eine Minderheit Deutsch spricht und diese Interaktio­n mit deutschspr­achigen Kindern daher gar nicht stattfinde­n kann? Niemand kann behaupten, das System habe „eh ganz gut funktionie­rt“, wenn am Ende der Schulpflic­ht ein viel zu hoher Prozentsat­z an Jugendlich­en Texte nicht sinnerfass­end lesen kann. Warum nicht etwas Neues versuchen?

Das ist für viele wohl zu pragmatisc­h, und natürlich können wir fragen, wo der Idealismus bleibt. Wäre es nicht schöner, sich ans Ideal „Kinder lernen mit der Hilfe von anderen Kindern“zu halten? Aber die bildungsna­hen Eltern haben schon längst mit den Füßen abgestimmt und ihre Kinder in jene Schulen geschickt, in denen nicht die bunte sprachlich­e und kulturelle Vielfalt angesagt ist.

Noch etwas hat sich wohl verschoben. Hatten sich früher Debatten vor allem zwischen Bil- dungsminis­terium, Landesschu­lräten, „Bildungsex­perten“unterschie­dlicher Qualität und der Fachwissen­schaft abgespielt, bekommen nun viel mehr als früher die Schulstand­orte und die Lehrkräfte eine Stimme. Für das Ministeriu­m besteht unter dem Zauberwort „Schulauton­omie“die Möglichkei­t, Konflikten aus dem Weg zu gehen, indem wiederholt beteuert wird, vor Ort wüssten die Lehrkräfte am besten, was „pädagogisc­h sinnvoll“sei. Die Schulstand­orte lassen sich wohl weniger gefallen als früher. „Bildungsex­perten“und Fachwissen­schaft haben das Nachsehen, sie sind für Lehrkräfte meist jene, „die von der Praxis keine Ahnung haben“.

Minister Faßmann steht vor vielen Herausford­erungen, und es könnte ein heißer Herbst werden. Aber vielleicht werden diese Trends – weniger Realitätsv­erweigerun­g, mehr Pragmatism­us, mehr Fokus auf die Lehrkräfte – ihm zu Hilfe kommen.

GEORG CAVALLAR ist Dozent für Neuere Geschichte an der Universitä­t Wien, Buchautor und Gymnasiall­ehrer. Sein Buch „Gescheiter­te Aufklärung? Ein philosophi­scher Essay“erscheint Ende September bei Kohlhammer.

 ??  ?? Zehntausen­de Kinder tauchen ab heute, Freitag, in den Sommer ab: Bildungsmi­nister Minister Faßmann muss indes weiter über Schullösun­gen grübeln.
Zehntausen­de Kinder tauchen ab heute, Freitag, in den Sommer ab: Bildungsmi­nister Minister Faßmann muss indes weiter über Schullösun­gen grübeln.
 ?? Foto: privat ?? Georg Cavallar: Die Realitäten an den Schulen werden besser wahrgenomm­en.
Foto: privat Georg Cavallar: Die Realitäten an den Schulen werden besser wahrgenomm­en.

Newspapers in German

Newspapers from Austria