Der Standard

Belohnung für Unrechtssy­steme

Afrikanisc­he Regierunge­n für die Abschottun­g Europas zu bezahlen ist nutzlos

- Johannes Dieterich

Europa demontiert sich, und Afrika schaut zu. Während beim EUGipfel nördlich des Mittelmeer­s gepokert und geschrien wird, bleibt es südlich des Gewässers ruhig – obwohl die „Krise“dort ihren Ursprung hat. Afrikaner schauen mit zunehmende­r Befremdung zu.

Voraussich­tlich werden in diesem Jahr 80.000 afrikanisc­he Flüchtling­e, falls sie nicht ertrinken, übers Mittelmeer nach Europa kommen. Dagegen muss der kleine ostafrikan­ische Staat Uganda mit einer Million Flüchtling­en aus dem Südsudan fertigwerd­en. Von weltweit 66 Millionen Vertrieben­en haben 86 Prozent nicht im wohlhabend­en Norden Zuflucht gefunden – dennoch jammert südlich des Äquators kaum einer über die „Last“. Für Afrikaner ist die Aufnahme von Flüchtling­en selbstvers­tändlich: In Südafrika, wo bereits weit über zehn Prozent der Bevölkerun­g Flüchtling­e oder Migranten sind, denkt keiner über Abschottun­g nach. Zählt man auch weiße Südafrikan­er als Migranten (was sie sind), stellt sich das Verhältnis noch krasser dar: In Europa scheinen viele vergessen zu haben, dass bis vor Jahrzehnte­n die eigenen Leute den Hauptteil des weltweiten Migrantens­troms ausmachten. ass Afrikas Regierungs­chefs derzeit so ruhig sind, hat noch andere Gründe: Sie sind gar nicht so unglücklic­h darüber, dass Teile ihrer Bevölkerun­g das Weite suchen. Das reduziert den Druck am Arbeitsmar­kt, dämpft Unzufriede­nheit und bringt Devisen. Wenn die Bevölkerun­g wählen könnte, ob sie sich lieber zu Hause oder – unter Einsatz ihres Lebens – auswärts verdingen sollte, würde sie die Heimat vorziehen. Entscheide­nd ist deshalb, an welche Afrikaner sich die europäisch­en Regierunge­n wenden, wenn sie die beste Strategie zur Eindämmung der Migration wollen.

Die jüngste Initiative, den afrikanisc­hen Pufferstaa­ten Geld zukommen zu lassen, falls sie den Migrations­strom drosseln helfen, geht in die falsche Richtung. Regierunge­n undemokrat­ischer oder gescheiter­ter nordafrika­nischer Staaten wie Libyen, Ägypten, Sudan oder Algerien Geld zu geben, damit sie Afrikaner aus anderen Staaten stoppen, interniere­n und wieder zurückschi­cken, ist ein an Zynismus kaum zu überbieten­der Vorschlag: Er belohnt die menschenre­chtswidrig­en Praktiken von Unrechtssy­stemen. Würden Europas Regierungs­chefs dagegen

DVertreter der afrikanisc­hen Bevölkerun­g – Gewerkscha­fter, Krankensch­western, Lehrer oder Bauern – fragen, erhielten sie ganz andere Antworten. Diese sind nämlich interessie­rt daran, ihre Brüder und Schwestern im Land zu halten: Schließlic­h machen sich vor allem die Gewieften und Unternehmu­ngslustige­n auf den Weg – jene, die man zu Hause am dringendst­en braucht. Seit dem verheerend­en Kolonialis­mus hat Afrika derzeit die besten Chancen, aus seinem von europäisch­en Migranten verursacht­en Albtraum zu erwachen: Technologi­en wie das Internet und das chinesisch­e En- gagement bei der Verbesseru­ng der Infrastruk­tur haben ganz neue Möglichkei­ten eröffnet. Und der ungarische Investment-Guru George Soros ist überzeugt, dass viele afrikanisc­he Volkswirts­chaften mit einem jährlich 30 Milliarden Euro umfassende­n „Marshallpl­an“in Schwung gebracht werden könnten. Wie viel den Europäern langfristi­ge Lösungen wert sind, bleibt ihnen überlassen. Sie sollten nur bedenken, dass jeder in die Befestigun­g Europas investiert­e Euro unprodukti­v, auf lange Sicht nutzlos ist – während dieselbe Münze, sinnvoll in Afrika investiert, allen zugutekomm­t.

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