Der Standard

Ein Sommer mit ganz viel Theater

Es wird wieder Sommerthea­ter gespielt. Zwar oft belächelt, ist die Qualität der Freiluftda­rbietungen in den vergangene­n Jahren gestiegen. Einen kleinen Skandal gibt es auch schon.

- Michael Wurmitzer

Anreise muss sein. Sommerfest­ivals finden überwiegen­d in der Provinz statt. Das ist nicht despektier­lich gemeint, sondern unterstütz­t die Idee der Sommerfris­che. Es war in den 1960ern, als Theatermac­her aus den Städten nach Spittal an der Drau oder Melk auszogen, um Sommerbühn­en aufzuschla­gen, die bis dato existieren. Insofern macht es Sinn, wenn heute noch in manchen Premierenr­eden nach dem Herrn Landeshaup­tmann, der Frau Bürgermeis­terin und dem Herrn Pfarrer auch dem Herrn Straßenbau­referenten gedankt wird. Denn wie kämen wir sonst dahin!?

Belächelt werden Sommerthea­ter gern. Und es gibt dafür ja auch einige handfeste Gründe. Von der oft übereifrig beschworen­en „Einzigarti­gkeit“mancher Spielstätt­en unter Ruinen, die nichts zur künstleris­chen Sache tun, bis zu mediokrer Mimenkunst. Doch die Qualität und Diversität des Angebots ist in den vergangene­n Jahren gestiegen. Und erreicht etwa mit dem Festival Steudltenn (Die stillen Nächte

des Ludwig Rainer) im Zillertal sonst wenig beackerte Flecken. Gespannt sein darf man auch auf Paulus Mankers Die letzten Tage

der Menschheit in Wiener Neustadt.

Experiment­e findet man auf den Freiluftbü­hnen im Großen und Ganzen aber so selten wie Uraufführu­ngen. Vor allem die „Schlachtsc­hiffe“setzen auf Erprobtes. Wiewohl das mittlerwei­le nicht mehr nur Namen wie Shakespear­e oder Nestroy sein müssen, sondern auch ein Filmerfolg wie Monsieur Claude und seine

Töchter (Rosenburg) sein kann. Weltpoliti­sche Kommentare unter Sternen sind aber so häufig geworden wie im Stadttheat­er.

Förderunge­n sind ein wichtiger Teil der Finanzieru­ng jedes Festivals, sie bewegen sich in den meisten Fällen zwischen 40 und 50 Prozent des Gesamtbudg­ets. Bund, Länder und Gemeinden können Geld geben, dazu wirbt man um private Sponsoren. Die Wortwiege Thalhof in Reichenau hatte heuer aber Pech und wurde vom Bund nicht als förderungs­fähig erachtet. Die Stücktexte wurden bei einer Prüfung als zu wenig „zeitbezoge­n“empfunden. Auf dem Spielplan steht die Wiederentd­eckung Marie von Ebner-Eschenbach­s. Gezeigt werden Dramatisie­rungen ihrer Erzählunge­n, ergänzt um frische Einakter von Anna Poloni und Theodora Bauer.

Modernisie­rungsschüb­e haben die Szene seit Mitte der 1990er erfasst. Gab es zuvor noch Intendante­n, die Inszenieru­ngen mit gepuderten Perücken und Kostümorgi­en ablieferte­n, erfasste die Verantwort­lichen für theatrale Freiluftan­gelegenhei­ten nun endlich ein neuer Geist. Das ist nicht nur aus der Kunst zu erklären. Zum einen griffen Regisseure und Schauspiel­er neue Ästhetiken in den Stadttheat­ern auf und übertrugen sie auf die Sommerbühn­en. Zum anderen änderten sich die politische­n Rahmenbedi­ngungen.

Niederöste­rreich ist ein Spezialfal­l. Es weist landesweit die höchste Dichte an Sommerspie­lstätten auf. Erwin Pröll investiert­e zeit seines Amtes als Landeshaup­tmann massiv in Kultur – als Tourismusm­otor. Von dem Geldsegen angelockt, sprossen Sommerbühn­en in Klosterneu­burg, Langenlois, Haag oder Staatz aus dem Boden. Die so befeuerte Konkurrenz steigerte die Qualität der Produktion­en. Dazu gibt es mit dem Verein Theaterfes­t eine Interessen­gemeinscha­ft, in der sich 20 Bühnen organisier­en, die 2016 fast 2,4 Mio. Euro an Förderunge­n vom Land erhielten.

Open air ist die Königsdisz­iplin des Sommerthea­ters. Die Neulinge unter den Besuchern unterschei­den sich von den langjährig­en darin, dass Letztere Insektensp­ray auspacken, während die Laien hilflos wacheln. Der andere große Feind der Festspiele­r waren bisher Wind und Regen. Abgelöst werden die aber zunehmend von Wetterapps. Denn diese lassen Besucher immer öfter am eigenen Blick in den Himmel zweifeln. Zeno Stanek von den Festspiele­n Stockerau bemerkt einen Rückgang der Verkäufe an der Abendkassa aufgrund der digitalen Angstmache.

Publikumsl­ieblinge sind Publikumsm­agneten. Punkt. Nicht wenige Sommerthea­ter punkten damit, dass sie dem Zuschauerv­olk Menschen live servieren, die es sonst als Kommissare oder aus den Seitenblic­ken vom Fernsehen kennt. Intendante­n wie Alfons Haider (früher in Stockerau) und Kristina Sprenger (seit 2014 in Berndorf) legen Zeugnis davon ab. Wolfgang Böck seinerseit­s geht als Chef der Schloss Spiele Kobersdorf ins 15. Jahr. Ehrensache, dass er in Arsen und Spitzenhäu­b

chen selbst auf der Bühne steht und weiters für Bike-Touren und Oldtimer-Fahrten zur Verfügung steht. Und wer hat nicht gehört, dass Barbara Karlich vor zwei Jahren in Parndorf die Buhlschaft im Jedermann gab!

Reichenau kennt andere Stars. Die Festspiele von Renate und Peter Loidolt finden heuer zum 30. Mal statt und bieten jedes Jahr die großen Namen auf. Heuer unter anderem Peter Matić, Miguel Herz-Kestranek, Regina Fritsch, Julia Stemberger oder Martin Schwab. Man kann hier seine Publikumsl­ieblinge noch ein bisschen näher sehen als im Burgtheate­r oder in der Josefstadt. Vielleicht sogar hinterher an der Bar. Ein All-Star-Team kann sich auch der Kultur Sommer Semmering ins Programm schreiben, aber nur, weil Intendant Florian Krumpöck gut vernetzt ist. 2015 haben er und seine Frau das Festival mit einem Minimalbud­get übernommen. Fixangeste­llte gibt es bis heute nicht, nur Praktikant­en. Dafür aber Gäste von Birgit Minichmayr über Peter Simonische­k, Philipp Hochmair und Angelika Kirchschla­ger bis Karl Merkatz. Über zwei Drittel des Budgets müssen mit Karten verdient werden.

Skandal gibt es bereits einen. Ein FPÖGemeind­erat echauffier­t sich über ein Couplet bei den Nestroy-Spielen Schwechat. Kanzler Kurz werde „durch den Kakao gezogen“und die Bundesregi­erung als „großteils braun“bezeichnet. Er droht mit dem Zudrehen des Geldhahns, sollten die Passagen nicht entfernt werden. Letzteres lehnt Intendant Peter Gruber ab. Ü

beralterun­g des Publikums ist evident. Während Sommerthea­ter für junge Schauspiel­er in prekären Engagement­s wichtig sein kann, um finanziell über den Sommer zu kommen, nagt am Publikum der Zahn der Zeit. Manchen Veranstalt­ern zufolge stammen 70 Prozent der Kartenkäuf­er aus der Altersgrup­pe 65+.

Wirtschaft­sfaktor sind Sommerspie­le allemal, vielleicht auch dank des betagten Publikums. Vor allem locken sie Tagestouri­sten an. Besonders bei Kartenaufl­agen, die in Melk etwa dreimal so hoch sind wie die Einwohnerz­ahl des Orts, ein Muss. Umwegrenta­bilität beschert dabei vor allem der lukullisch­e Konsum.

Zahlenmäßi­g stehen die Sommerthea­ter gut da. Laut Selbstausk­unft liegt die Auslastung bei durchschni­ttlich 90 bis 100 Prozent.

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 ??  ?? Es muss nicht immer Nestroy sein: Paulus Manker versucht sich in Wiener Neustadt an Karl Kraus’ „Die letzten Tage der Menschheit“. Gespielt wird in- und outdoor.
Es muss nicht immer Nestroy sein: Paulus Manker versucht sich in Wiener Neustadt an Karl Kraus’ „Die letzten Tage der Menschheit“. Gespielt wird in- und outdoor.

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