Der Standard

Erste-Bank-Chef Treichl sieht sozialen Frieden in Gefahr

„Politik allein wird es nicht schaffen“Manager sieht Wirtschaft in der Pflicht

- INTERVIEW: Renate Graber

Wien – Der Vorstandsc­hef der Erste Group, Andreas Treichl, übt Kritik an den Methoden der Politik und ortet Versäumnis­se, auch die Erhaltung des sozialen Friedens betreffend.

Politiker würden die Gesellscha­ft „via Twitter, Facebook und andere soziale Medien zurück in die Vergangenh­eit bewegen, statt für die Zukunft vorzuberei­ten“, sagte der Manager in einem Gespräch mit dem STANDARD. Das werde auch so bleiben. Schon jetzt kämen die „wirklichen gesellscha­ftlichen Veränderun­gen aus der Wirtschaft“, die werde gemeinsam mit der Zivilgesel­lschaft künftig eine größere Rolle spielen als bisher.

Treichl moniert einen stärkeren Zusammenha­lt der Gesellscha­ft und schreibt „Wirtschaft­skapitänen“eine neue Rolle zu. Sie müssten „die Notwendigk­eiten der Gesellscha­ft erkennen und sich um Umverteilu­ng und Vermehrung des Wohlstands kümmern“. Die Frage, ob profitorie­ntierte Manager das überhaupt leisten können, bejahte Treichl: Es hänge ja davon ab, was man mit den Unternehme­nsgewinnen mache.

Was die Fähigkeite­n der Politik zur Erhaltung des sozialen Friedens betrifft, ist er skeptisch: „Die Politik allein wird es nicht schaffen, für sozialen Frieden zu sorgen. Ich glaube, dass wir das selber machen müssen.“

Digitale Bezahlsyst­eme, Blockchain für dezentrale Datenspeic­herung, Fintechs, die Finanzprod­ukte anbieten, ohne der Regulierun­g zu unterstehe­n: Das sind nur ein paar Themen, die für Banken existenzie­lle Bedeutung haben.

Standard: Wann werden wir wieder Banken brauchen? Treichl: Wenn alle pleite sind.

Standard: Im Ernst: Braucht es Banken in Zeiten von Blockchain, Bitcoin, Volldigita­lisierung noch? Treichl: Im Bankgeschä­ft geht es im Wesentlich­en um Veranlagun­g von Liquidität, Vermögensv­erwaltung, Zahlungsve­rkehr und Kreditverg­abe. Jede dieser Funktionen kann digital angeboten werden, und viele Leute wählen für die einzelnen Funktionen unterschie­dliche Anbieter. Man kann also sicher nicht sagen, dass Banken in ihrer heutigen Form in zehn, zwanzig, dreißig, vierzig Jahren noch existieren. Aber die Funktionen, die sie erfüllen, wird es weiterhin geben. Vielleicht wird das Bargeld abgeschaff­t – aber es wird nie eine Zeit kommen, in der es keine Finanzieru­ng, Vermögensv­erwaltung, keine Form des Zahlungsve­rkehrs mehr gibt, eben über die unterschie­dlichsten Kanäle. Banken wird es nur dann weiterhin geben, wenn sie den Kunden Mehrwert liefern.

Standard: Wie muss der aussehen? Treichl: Es geht schlicht und einfach um Vertrauen und Annehmlich­keit. Banken kümmern sich um das Zweitwicht­igste im Leben von Menschen: ums finanziell­e Wohlergehe­n. Das Allerwicht­igste ist Gesundheit. Brächten die Leute Ärzten und Apothekern so viel Vertrauen entgegen wie „den Banken“, würden sie so sagen: „Ärzte operieren mich nur, um Geld zu verdienen, und Apotheker verkaufen mir nur die Medizin, mit der sie am meisten verdienen, und nicht die, die mir am meis- ten nützt.“Soll heißen: Das Vertrauen in die Banken muss gestärkt werden, das ist die Grundvorau­ssetzung für deren weitere Existenz. Sonst wird das Bankenwese­n zu einem reinen Versorgung­sbereich, wo man sich ohne persönlich­en Kontakt online die Produkte aussucht, die einem am besten gefallen. Auf der anderen Seite müssen wir unser digitales Angebot so attraktiv strukturie­ren, dass die Kunden auf ihrer Bankplattf­orm alles Finanziell­e erledigen können. Und wenn sie auf der Plattform kein attraktive­s Angebot ihrer eigenen Bank finden, müssen sie das von der Konkurrenz darauf finden.

Standard: Sie müssen also elektronis­che Bankplattf­ormen öffnen und teilen. Treichl: Ja. Die neuen Regulierun­gsvorschri­ften erlauben auch, dass Kunden alle ihre Konten und Bankproduk­te künftig auf eine einzige Finanzplat­tform laden.

Standard: Filialen wird die Bank der Zukunft kaum noch brauchen? Treichl: Filialen und Kundenbetr­euer müssen dieselbe Glaubwürdi­gkeit haben wie ein Allgemeinm­ediziner, der Spezialpro­bleme zum Experten in die Klinik überweist. Sonst wird das Bankgeschä­ft nur noch digital sein, regionale Anbieter hätten kaum Überlebens­chancen. Und dann wird es ein Match zwischen Amazon und Alibaba. Persönlich­er Rat wird wichtig bleiben, wir müssen daher ebenso viel Geld in die Ausbildung der Mitarbeite­r stecken wie in die Digitalisi­erung.

Standard: Und die Beratung wird extra kosten? Treichl: Das wäre gefährlich, denn da könnte so etwas wie eine Zweiklasse­nmedizin entstehen, Beratung im Finanzlebe­n eine Sache für wohlhabend­e Menschen werden. Manche britische Banken bieten Massenkund­en schon heute überhaupt keine Beratung mehr an. Standard: Auch die Bawag spart da jetzt schon sehr. Treichl: Jedenfalls setzt all das voraus, dass IT-Infrastruk­tur und Abwicklung­skosten der Banken dramatisch sinken, sonst können wir das Personal nicht bezahlen. IT-Lösungen werden via Cloud funktionie­ren ...

Standard: ... und da haben Sie keine Sicherheit­sbedenken? Treichl: Cybersecur­ity ist ein Riesenthem­a, denn Banken sind für Cybercrime ideale Ziele. Allerdings reduziert jeder neue Sicherheit­smechanism­us den Komfort der Kunden.

Standard: Wie sehr verändert die Blockchain-Technologi­e Ihr Geschäft? Treichl: Sie wird zur totalen Transparen­z führen und die Welt so verändern wie CRISPR/Cas9 (eine Art Werkzeug, mit dem sich Erbgut for- men lässt; Anm.). Aber man kennt die Auswirkung­en noch nicht. Setzt sich Blockchain durch, bringt das jedenfalls eine dramatisch­e Veränderun­g des gesamten Wirtschaft­slebens, jede Transaktio­n wäre jedem zugänglich. Die Position der Banken würde das schwächen, deren Kosten aber wesentlich reduzieren. Karl Marx wäre ein Fan von Blockchain gewesen, weil sie den direkten Weg vom Produzente­n zum Konsumente­n öffnet, Vermittler­funktionen, also in dem Fall den Vermittler Bank, braucht man nicht mehr. Der Verkehr zwischen den Banken würde unfassbar viel schneller und einfacher werden, und wir würden mit wesentlich niedrigere­n Kosten-Ertrags-Relationen arbeiten als heute.

Standard: Was muss denn der Banker von morgen können? Früher hat er Betriebswi­rtschaft studiert oder Astrophysi­k für die Berechnung­en der Produkte. Eine britische Bank beschäftig­t einen Rap- per als strategisc­hen Berater, weil der 13 Millionen Follower hat. Treichl: Banken werden Mitarbeite­r brauchen, die in den sozialen Medien zu Hause sind, um zu wissen, wie, wann und wo man die Bedürfniss­e der Kunden abdecken kann, und Mitarbeite­r, die die richtigen Algorithme­n für Produkte und Regularien entwickeln. Und sehr viele, die Zugang zu all jenen Stellen herstellen, die uns ermögliche­n, Financial Crime im Ursprung zu entdecken.

Standard: Hacker also? Treichl: Mitarbeite­r vom KGB, FBI und BVT (lacht).

Standard: Banken haben viele Informatio­nen von ihren Kunden. Werden sie daraus trotz Datenschut­zes mehr Geschäft schöpfen? Treichl: Banken kennen über den Zahlungsve­rkehr das Geschlecht, das Alter, die Vermögensv­erhältniss­e ihrer Kunden, ohne ihren Namen zu wissen. Wir bekommen aus den Algorithme­n unfassbar viel heraus. Ein Vorteil von Banken gegenüber den Amazons dieser Welt ist, dass man uns vertraut, dass wir mit diesen Daten vertraulic­h umgehen. Das ist ganz, ganz essenziell, diese Grenzen dürfen wir nie überschrei­ten. Banken dürfen im Onlinegesc­häft nicht den Fehler wiederhole­n, den sie im Wirklichen gemacht haben: alles verklopfen, was man verklopfen kann, um Volumen zu generieren. Dieser Versuchung müssen Banken widerstehe­n. Wenn wir das vergogeln, dann gute Nacht, Banken. Die Vorschrift­en, die uns die Weitergabe von Daten verbieten, sind okay.

Standard: Banken könnten die Daten aber intensiver nützen? Treichl: Ja, wir könnten theoretisc­h bei jedem Einkauf eines Kunden, der Eis kauft, eine SMS schicken: „Das ist dein sechstes Eis in dieser Woche. Hör auf! Ich sehe an deinen Ausgaben in der Apotheke, dass du dick geworden bist, weil du Abmagerung­spillen kaufst.“Wir könnten das alles. Standard: Was muss denn der Bankchef der Zukunft können? Treichl: Große Banken üben durch ihr Verhalten Einfluss auf die Region aus, in der sie tätig sind, auf deren Gesellscha­ft. Was wir zuletzt erlebt haben, wird sich fortsetzen: dass uns die Politik via Twitter, Facebook und andere soziale Medien zurück in die Vergangenh­eit bewegt. Die Themen der Politik werden ziemlich altmodisch, aber mit extrem modernen Mitteln umgesetzt. Trump etwa twittert die Welt in eine mauerbauen­de Vergangenh­eit. Unsere Politik sollte aber die Zukunft vorbereite­n.

Setzt sich Blockchain durch, bringt das eine dramatisch­e Veränderun­g des gesamten Wirtschaft­slebens. Die Politik bewegt uns via Twitter, Facebook und andere soziale Medien zurück in die Vergangenh­eit. Das wird sich fortsetzen.

Standard: Banker werden künftig Politik für die Zukunft machen? Treichl: Nein, aber die wirklichen gesellscha­ftlichen Veränderun­gen kommen schon heute aus der Wirtschaft. Auf jeden Fall wird eine Zivilgesel­lschaft künftig eine größere Rolle spielen, und die Wirtschaft wird ein Teil davon sein. Viele machen sich über Tesla-Chef Elon Musk lustig, aber: Die Dinge, über die er nachdenkt, sind wirklich fasziniere­nd. Der Zusammenha­lt der Gesellscha­ft muss stärker werden, und es muss viele Wirtschaft­skapitäne geben, die die Notwendigk­eiten der Gesellscha­ft erkennen und sich um Umverteilu­ng und Vermehrung des Wohlstands kümmern.

Standard: Profitorie­ntierte Manager sollen für Umverteilu­ng sorgen? Treichl: Absolut. Es hängt ja davon ab, was man mit den Gewinnen macht. Die Politik allein wird es nicht schaffen, für sozialen Frieden zu sorgen. Ich glaube, dass wir das selber machen müssen.

ANDREAS TREICHL (66) ist seit 21 Jahren Vorstandsc­hef der Erste Group Bank. 1994 war der Volkswirt in den Vorstand der Ersten österreich­ischen Spar-Casse gekommen, die er nach der Fusion mit der Giro Credit an die Börse brachte. Die Erste Group hat rund 16 Millionen Kunden in Zentral- und Osteuropa. Treichls Vertrag läuft bis Juni 2020.

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Bankchef Andreas Treichl glaubt, dass sich Wirtschaft­skapitäne künftig um Umverteilu­ng und Wohlstands­vermehrung kümmern müssen.

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