Der Standard

Medien wehren sich gegen Angriffe des Innenminis­ters

Journalist­en recherchie­ren, das ist ihr Job – das muss auch Minister Kickl verstehen

- Martin Kotynek

Wien – Die Reaktion von Innenminis­ter Herbert Kickl (FPÖ) auf die Berichters­tattung in der Causa Verfassung­sschutz (BVT) hat die Affäre um das Thema Pressefrei­heit erweitert. Nach Kickls Kritik an Journalist­en wurden Gerüchte laut, wonach gegen Redakteure ermittelt und Hausdurchs­uchungen in Redaktione­n durchgefüh­rt werden könnten. Nun haben sich Chefredakt­eure zu Wort gemeldet, sie weisen auf die Bedeutung von Medien und Pressefrei­heit hin.

Je mehr Informatio­nen über die BVT-Ermittlung­en nach außen dringen, desto schärfer attackiere­n FPÖ-Politiker unabhängig­e Medien und Journalist­en. Innenminis­ter Herbert Kickl kritisiert­e im jüngsten Report des ORF „selbsterna­nnte Aufdecker“. Im teils skurrilen „Konvolut“, dessen Vorwürfe der Justiz als eine Basis für ihre Ermittlung­en dienen (siehe „Symptome“), komme auch „der Herr Nikbakhsh vor“, sagte er, „um den Menschen zu erklären, dass auch Medien teilweise hier sozusagen im Fokus des Interesses stehen“. Michael Nikbakhsh beschäftig­t sich bei Profil mit der Causa BVT und hat das Konvolut 2017 der Staatsanwa­ltschaft übergeben. Auch andere Journalist­en, darunter eine Redakteuri­n des STANDARD, werden in dem Schriftstü­ck, dessen Autor unbekannt ist, genannt.

In der Vorwoche hieß es dann aus gut informiert­en Kreisen, das FPÖ-geführte Innenresso­rt denke über Ermittlung­en gegen und Telefonübe­rwachungen bei recherchie­renden Journalist­en sowie Hausdurchs­uchungen in Redaktione­n nach. Die Justiz soll dagegen gewesen sein. Die Folge: Proteste von Chefredakt­euren (nicht nur) betroffene­r Medien, die auf die Bedeutung der Medien und ihre Freiheit hinweisen und an Länder wie Ungarn oder Polen erinnern, wo die Pressefrei­heit eingeschrä­nkt ist.

Dort nachzusehe­n, wo Dinge im Dunklen geschehen; dort zu recherchie­ren, wo es gilt, die Mächtigen zu kontrollie­ren; dort nachzufrag­en, wo Zusammenhä­nge unklar sind, um die Menschen zu informiere­n. Das ist der Job von Journalist­en. Dafür gibt es die Pressefrei­heit, sie erlaubt Redaktione­n zu arbeiten, ohne Repressali­en der Mächtigen fürchten zu müssen. Eine freie Presse ist die Basis für eine starke Demokratie. Nach den Entwicklun­gen von vergangene­r Woche ist unklar, ob alle in der Regierung dieses Prinzip verstanden haben.

Innenminis­ter Herbert Kickl kritisiert­e im ORF- Report „gewisse Medien“, die sich „jeden Tag darum bemühen, irgendwelc­he Dinge, die (…) eigentlich nicht für die Öffentlich­keit bestimmt sind, in die Öffentlich­keit zu bringen“. Damit würden sie „Verunsiche­rung betreiben“. Was der Minister als „Verunsiche­rung“bezeichnet, nennen Journalist­en gemeinhin Aufklärung. Gerade im Bereich des Innenminis­teriums gab es zuletzt einiges an Aufklärung­sbedarf. Nur durch Recherchen mehrerer Medien, darunter auch des Standard, ist bekannt geworden, was sich rund um das Bundesamt für Verfassung­sschutz und Terrorismu­sbekämpfun­g (BVT) zugetragen hat. Bald werden diese Erkenntnis­se einen Untersuchu­ngsausschu­ss des Parlaments beschäftig­en – genau so, wie es in einer Demokratie üblich ist.

Im selben Interview erzählt Kickl aus dem BVT-Akt, wonach „auch Medien teilweise im Fokus des Interesses stehen“. War das als Drohung an Journalist­en gerichtet?

Unter jenen Journalist­en, die in der Causa BVT recherchie­ren, kursieren Gerüchte über Hausdurchs­uchungen in Redaktione­n. Das wäre ein nicht hinnehmbar­er Angriff auf die Pressefrei­heit Österreich­s. Es ist unklar, ob an diesen Gerüchten etwas dran ist und ob solchen Überlegung­en auch Taten folgen. Aber es ist bezeichnen­d, dass die Gerüchte ernst genug genommen werden, dass mehrere Chefredakt­eure ihre Sorge ausdrücken – auch in Kommentare­n in Kurier, News, Presse und Profil. Es wäre weltweit nicht das erste Mal, dass eine Regierung ein solches Mittel einsetzt, um unliebsame Berichters­tattung zu unterbinde­n.

Nur wenn Journalist­en über vertraulic­he Hinweise an Informatio­nen gelangen, können sie ihre Kontroll- funktion ausüben. Damit sich Menschen an Medien wenden, müssen sie darauf vertrauen können, dass Redaktione­n ihre Quellen schützen. Um diese Vertraulic­hkeit garantiere­n zu können, gibt es das Redaktions­geheimnis. Es ist durch die Europäisch­e Menschenre­chtskonven­tion abgesicher­t und steht im Verfassung­srang.

Einem weiteren Gerücht zufolge überlegt die Regierung, eine Klarnamenp­flicht für Kommentare in Online-Foren einzuführe­n. Wer sich online äußert, könne seine Meinung in einem solchen Fall nicht mehr unter einem Pseudonym veröffentl­ichen. Damit wäre nicht nur die Pressefrei­heit, sondern gleich auch die Meinungsfr­eiheit betroffen.

Selbst wenn sich all diese Gerüchte als unzutreffe­nd erweisen, ist es wichtig, dass Politiker das hohe Gut der Presse- und Meinungsfr­eiheit achten. Kritik an der Arbeit von Journalist­en soll und muss es immer geben. Genauso muss ein Minister aber auch in der Lage sein, seine Worte so sorgfältig zu wählen, dass es keinerlei Schwierigk­eiten gibt, zwischen Kritik und Drohgebärd­en zu unterschei­den. „Unbotmäßig“? „Verunsiche­rnd“? Wir tun weiter unseren Job. Unbeugsam.

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