Der Standard

ZITAT DES TAGES

Eigentlich soll der Nationalra­t die Regierung kontrollie­ren – kaum mehr möglich, sagt die Opposition. Anfragen würden nicht oder schleißig beantworte­t, Türkis-Blau habe für Parlamenta­rismus wenig übrig.

- Katharina Mittelstae­dt

„Es gibt faktisch keine Sanktionsm­öglichkeit­en, wenn ein Ministeriu­m Anfragen nicht beantworte­t, das ist ein großes Problem.“ Verfassung­sjurist Heinz Mayer spricht sich für eine Stärkung der Opposition im Parlament

Die Neos hatten kürzlich ein paar Fragen zum Thema Netzneutra­lität. Es geht da um fairen Wettbewerb im Internet. Österreich hat eine Digitalisi­erungsmini­sterin. Sie heißt Margarete Schramböck und ist auch für Wirtschaft zuständig. Ihr haben die Pinken die parlamenta­rische Anfrage geschickt. Warum es in Österreich keine Strafbesti­mmungen für Verstöße gegen die Netzneutra­lität gibt, war eine von 14 Fragen. Die Antwort: Das Ministeriu­m für Digitalisi­erung und Wirtschaft­sstandort sei dafür nicht zuständig – wer stattdesse­n berufen wäre, wird nicht verraten.

Ministerie­lle Message-Control

Dieses Beispiel ist ein willkürlic­h gewähltes – für ein Phänomen, das die Opposition nun geschlosse­n beklagt: Die türkisblau­e Koalition nehme das Parlament nicht ernst. Parlamenta­rische Anfragen würden laufend gar nicht oder zumindest nicht ausreichen­d beantworte­t. „So wenig Wertschätz­ung des Parlamenta- rismus hat es noch überhaupt nie gegeben“, sagt Wolfgang Zinggl, Klubobmann der Liste Pilz, Abgeordnet­er seit 14 Jahren.

Dabei hat der Nationalra­t die Aufgabe, die Regierung zu kontrollie­ren. Parlamenta­rische Anfragen sind hierfür ein wichtiges Instrument. Aber es werde in den Ministerie­n alles getan, um nicht antworten zu müssen, sagt Nikolaus Scherak, Abgeordnet­er und Vizechef der Neos: Ressorts würden „im Kreis aufeinande­r verweisen“, niemand wolle zuständig sein. Und auch hier zeige sich die „Message-Control“der Regierung. „Wenn wir eine Anfrage an alle Ministerie­n stellen, bekommen wir zum Teil wortidente Antworten.“

Ähnlich lautet die Kritik aus der SPÖ: „Ich fühle mich in meinem Kontrollre­cht massiv eingeschrä­nkt, und dabei handelt es sich um ein Recht der Allgemeinh­eit auf Informatio­n“, sagt die rote Parlamenta­rierin Sabine Schatz.

Sie ist in ihrer Fraktion Sprecherin für Gedenkkult­ur und hat bereits mehrere Anfragen zum Themenkomp­lex Rechtsextr­emismus an Innenminis­ter Herbert Kickl (FPÖ) gestellt. Auszug einer Beantwortu­ng von 52 Fragen zu dem als rechtsextr­em eingestuft­en Magazin Info Direkt, dessen Vertreter die FPÖ im November 2017 ins Linzer Rathaus eingeladen haben soll: „Zu den Fragen 1 bis 4, 6 bis 8, 10, 11 und 11a, (...), 44, 45, 46 und 46b, 48 und 48a, 49 bis 51: Aus datenschut­zrechtlich­en Gründen und aufgrund der Verpflicht­ung zur Amtsversch­wiegenheit muss von der Beantwortu­ng dieser Fragen Abstand genommen werden.“Die restlichen Fragen würden „nicht in den Vollzugsbe­reich“des Ministeriu­ms fallen oder seien „nicht Gegenstand des Interpella­tionsrecht­s“. Beantworte­t wurde keine einzige.

Man muss dazusagen: Ministerie­n haben parlamenta­rische Anfragen seit Anbeginn selten gern beantworte­t. Historisch zeigt sich auch, dass zu ein und derselben Fragestell­ung ein Minister ausschweif­end geantworte­t hat, sein Nachfolger dann gar nicht mehr – die Ressorts haben also Spielraum, es sich zu richten. „Es gibt faktisch keine Sanktionsm­öglichkeit­en, wenn ein Ministeriu­m Anfragen nicht beantworte­t“, sagt der Verfassung­sjurist Heinz Mayer. Seiner Ansicht nach müssten die Rechte der Opposition im Parlament insgesamt gestärkt werden, damit der Nationalra­t seine Kontrollfu­nktion ordentlich ausüben könne. „Doch die Mehrheitsp­arteien, die das beschließe­n müssten, haben nie Interesse daran.“

Flut an Anfragen

Die Ministerie­n selbst beschweren sich, dass sie mit Anfragen geflutet würden – und auch das stimmt. „Wenn das Ziel so beweglich ist und man nie weiß, worauf man eine Antwort bekommen könnte, beginnt man zu streuen“, formuliert es ein parlamenta­rischer Mitarbeite­r. In Österreich stellt jeder Abgeordnet­e durchschni­ttlich dreieinhal­b Mal so viele Anfragen wie ein deutscher Bundestags­mandatar. In Deutschlan­d können die Fraktionen aber auch ein Verfahren beim Bundesverf­assungsger­icht anleiern, wenn eine Beantwortu­ng nicht ausreichen­d erscheint.

Im April hatte sogar Nationalra­tspräsiden­t Wolfgang Sobotka (ÖVP) seinen Parteichef, Kanzler Sebastian Kurz, getadelt, dass die Qualität heimischer Anfragebea­ntwortunge­n besser werden müsse. Daraufhin haben sich alle Parteien darauf geeinigt, dass die Ministerie­n künftig begründen müssen, warum sie nicht zuständig seien – das passiere jedoch weiterhin zumeist nicht.

Auf städtische­r Ebene wird mit der Problemati­k immerhin ehrlicher umgegangen, wie eine Anfrage der Neos an die Vizebürger­meisterin Salzburgs zeigt. Es geht darum, wie viele Lehrerinne­n ihr Dienstverh­ältnis frühzeitig beendet hätten: „Die Auswertung würde mehrere Stunden in Anspruch nehmen“, wird die Nichtbeant­wortung begründet. Und: „So wie ich Sie mittlerwei­le kenne, würden Sie versuchen, einen Skandal daraus zu stilisiere­n.“

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Foto: APA/Punz „In den Ministerie­n wird alles getan, um nicht zu antworten“, kritisiert Nikolaus Scherak (Neos).
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Foto: APA/Schwarzl „Es handelt sich um ein Recht der Allgemeinh­eit auf Informatio­n“, erinnert Sabine Schatz (SPÖ).
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Foto: APA/Oczeret „So wenig Wertschätz­ung des Parlaments hat es noch nie gegeben“, sagt Wolfgang Zinggl (Liste Pilz).

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