Der Standard

EU goes Afrika

Die EU will hart gegen Schlepper vorgehen, illegale Migration stoppen, Asylverfah­ren in Afrika abwickeln. Kurz nach dem Gipfel gibt es Streit.

- Thomas Mayer

Wie kann das sein? Da treffen sich die 28 Staats- und Regierungs­chefs mit Kommission­schef Jean-Claude Juncker und Ratspräsid­ent Donald Tusk in Brüssel zu einem EU-Gipfel. Sie handeln über Nacht bis in die frühen Morgenstun­den des Freitags bis zur Erschöpfun­g einen mühsamen Kompromiss für einen neuen Anlauf in der gemeinsame­n Migrations­und Asylpoliti­k aus. Im Zentrum soll der verschärft­e Kampf gegen illegale Migration, organisier­tes Schlepperw­esen stehen, aber auch verantwort­licher Schutz von „echten“Asylsuchen­den.

Das alles wird von den „Chefs“in abschließe­nden Pressekonf­erenzen groß als „vielverspr­echende Entwicklun­g“und „erster Erfolg“verkauft, als „Sieg der Vernunft“. Aber kaum sind sie wieder in ihre Hauptstädt­e zurückgeke­hrt, geht der Streit von neuem los, werden die sogenannte­n „Schlusserk­lärungen“des EU-Gipfels, in denen das alles beschriebe­n wird, wieder infrage gestellt. Wie ist so was möglich?

Das fragten sich am Wochenende viele an dem Thema interessie­rte Politiker, Experten, Leser. Auf Social Media ging es rund, insbesonde­re in Österreich und Deutschlan­d, aus einem anderen Anlass heraus aber auch in Frankreich und Italien. Allen Fällen gemeinsam war das Anlassthem­a, dass die EU-Staaten ihre Migrations­strategie sehr weitgehend auf Afrika ausdehnen wollen.

Generelles Ziel ist, und da waren sich alle Regierungs­chefs einig, dass die irreguläre Migration viel effiziente­r bekämpft werden muss. Die Grenzbehör­de Frontex soll mit der libyschen Küstenwach­e enger kooperiere­n. Man will, lange bevor Migranten europäisch­es Territoriu­m über das Meer erreichen, eine Trennung von reinen Wirtschaft­smigranten und jenen Flüchtling­en erreichen, die mit Aussicht auf Erfolg ein Asylverfah­ren anstreben.

Nicht ohne die Uno

Bisher war das in der Regel nur auf einer der griechisch­en Inseln möglich, in Malta, in Süditalien, wo der Großteil der Menschen über das Mittelmeer von Afrika kommend anlandete. In der Ägäis war das Problem ab Frühjahr 2016 mit der Sperre der Balkanrout­e auf dem Landweg und dem EU-Türkei-Vertrag gebannt worden. Die Türkei muss für sechs Milliarden Euro an Hilfen illegale Migranten zurücknehm­en, dafür ist die EU bereit, Flüchtling­e aus Syrien aus türkischen Lagern per direkte Umsiedlung in die EU zu bringen.

Um der Probleme auch auf der zentralen Mittelmeer­route von Libyen aus Herr zu werden, hat man beim EU-Gipfel vereinbart, dass die bisherige Praxis von Auffanglag­ern, in denen Migranten von der EU in Kooperatio­n mit dem UNFlüchtli­ngshilfswe­rk (UNHCR) und der Internatio­nalen Organisati­on für Migration (IOM) versorgt werden, erweitert werden soll.

Diplomatis­ches Spitzengef­ühl

In Punkt fünf und sechs des Migrations­kapitels der Schlusserk­lärungen wird das recht deutlich beschriebe­n

(siehe Bericht unten). Die diplomatis­ch gefinkelte­n Formulieru­ngen lassen aber Interpreta­tionsspiel­räume offen, was durchaus beabsichti­gt ist: Nur so kam es dazu, dass alle Regierungs­chefs um halb fünf Uhr früh ihre Zustimmung gaben und Italiens Premiermin­ister Giuseppe Conte seine Vetodrohun­g nicht wahr machte. Sogar der Hardliner gegen die Aufnahme von Asylwerber­n, Ungarns Viktor Orbán, stimmte zu.

Der Preis der Akrobatik der vorsichtig­en Worte ist, dass man sie verschiede­n auslegen kann. So ist zu erklären, warum der Italiener Giuseppe Conte dem französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron eher undiplomat­isch über den Mund fuhr. Auslöser: die in Punkt sechs angeführte Schaffung weiterer „Kontrollla­ger“auf EU-Territoriu­m, in die alle irreguläre­n Migranten kommen sollen, die die Überfahrt geschafft haben. Dort müssten EU-rechtskonf­orm Asylverfah­ren abgewickel­t werden. Leider sagt die Schlusserk­lärung nicht aus, wo diese „Hotspots“sein werden. Freiwillig gemeldet hat sich kein Land. Macron erklärte am Freitag, das werde „ortsnah“sein, also in Italien, Griechenla­nd oder Spanien – aber sicher nicht in Frankreich. Conte hatte die lange Nacht anders in Erinnerung: Neue EU-Lager in Italien? Niemals: Macron „war wohl schon etwas müde“.

Noch unklarer ist formuliert, wie das in Zukunft in „Ausschiffu­ngslagern“in Nordafrika ablaufen soll. In Österreich entbrannte dazu ein Streit, ob Kanzler Sebastian Kurz „das Asylrecht in Europa abschaffen“wolle, wenn man keine Anträge stellen könne. Die Schlusserk­lärung lässt das offen. Nur die Premiers von Schweden und Belgien bestehen darauf, Macron und die deutsche Kanzlerin Angela Merkel sehen es pragmatisc­h, fürchten Bilder riesiger Lager in Nordafrika mit hohen Kosten. Vor allem: Weder Ägypten, Libyen oder Marokko haben bisher Bereitscha­ft gezeigt, solche EU-Lager einzuricht­en. Ein EU-Afrika-Gipfel im Oktober soll dazu Klarheit verschaffe­n. EU-Ratspräsid­ent Kurz beruft ihn ein.

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