Der Standard

Unklarheit­en über „Anlandezen­tren“im EU-Ausland

Österreich: Keine Asylanträg­e dort – Menschenre­chtsanwalt sieht das unter bestimmten Umständen als verhältnis­mäßig

- Anna Sawerthal

Wien – Seit fast zwei Jahrzehnte­n versucht die EU, ein einheitlic­hes Asylsystem zu etablieren, seit fast zwei Jahrzehnte­n streiten die EU-Länder vor allem über die Verteilung von Flüchtling­en in der Union. Seit Anfang 2016 gibt es sogenannte Hotspots innerhalb der Gemeinscha­ft, etwa in Griechenla­nd, von wo aus anerkannte Flüchtling­e dann in die EU-Länder verteilt werden sollen. Wirklich funktionie­rt hat das nicht. Länder wie Ungarn weigern sich, Flüchtling­e aufzunehme­n, das Maß wäre schon voll. Ein neuer Vorstoß geht nun einen Schritt weiter: das Ganze auch auf EU-Außenterri­torien zu erweitern.

Als „Anlandezen­tren“oder „Ausschiffu­ngszentren“wurden die (im Original) „regional disembarka­tion platforms“übersetzt, auf die sich die EUMitglied­sländer beim Gipfel in Brüssel in ihrer Abschlusse­rklärung vom Freitag einigen konnten. Dahinter steckt die Idee, Zentren in Nordafrika zu errichten, wo Migranten gesammelt werden, die in der EU einen Asylantrag stellen wollen. Ob dem die Länder Nordafrika­s überhaupt zustimmen, ist nicht geklärt.

Dürfen kein „Pull-Faktor“sein

Auch was genau auf diesen Plattforme­n passieren soll, bleibt vage. Die Idee ist, Bootsflüch­tlinge, die vor der Küste Nordafrika­s gerettet werden, in so ein Zentrum und nicht auf europäisch­es Festland zu bringen. Die Zentren sollen unter Aufsicht von Uno-Flüchtling­shochkommi­ssariat UNHCR und Internatio­naler Organisati­on für Migration (IOM) stehen und wohl mit EU-Geldern finanziert werden. Die Plattforme­n müssen die individuel­le Situation von Asylsuchen­den berücksich­tigen, internatio­nalem Recht entspreche­n, und dürfen nicht als „Pull-Faktor“für Migranten wirken, so Punkt fünf der Erklärung. Heißt auf Deutsch: Die Plattforme­n sollen keinesfall­s ihrerseits Migranten anlocken.

Die österreich­ische Regierung legt das mit dem Pull-Faktor so aus, dass „aus unserer Sicht dort keine Asylanträg­e gestellt werden sollten“, so Regierungs­sprecher Peter Launsky-Tieffentha­l zum Profil. Die Frage ist dann aber: Wo sollen die Menschen ihren Asylantrag stellen? Ist damit nicht das gesamte europäisch­e Asylrecht ausgehebel­t?

Menschenre­chtsanwalt Manfred Nowak sagt zum STANDARD, er halte die Zentren einerseits dann für rechtlich vertretbar, wenn dort Asylanträg­e gestellt werden könnten. Das bräuchte natürlich die Zustimmung der jeweiligen Länder. Mit Blick auf Libyen oder Marokko ist das schwer vorstellba­r. Falls diese aber zustimmen, dann müsste dort jeder Anwerber eine faire Chance auf Asyl haben und d Verfahren relativ rasch abgewickel­t werden, so Nowak.

Anderersei­ts: Die Variante, die die österreich­ische Regierung fordert – Sortierung in einem Schnellver­fahren und nur jene legal in die EU einreisen zu lassen, die nach UNHCR- und IOMEinschä­tzung Chance auf Asyl in Europa haben –, sei ebenfalls denkbar. Dann müsste aber im Schnellstv­erfahren entschiede­n werden. Höchstens zwei Wochen darf das dauern, dann sehe er eine Verhältnis­mäßigkeit gegeben. Immerhin könnten so Menschen von den lebensgefä­hrlichen Überfahrte­n abgehalten werden.

Welche gemeinsame Asylpoliti­k?

Bleibt das Problem, nach welchen Kriterien entschiede­n wird. Denn genau darüber, über ein einheitlic­hes Asylrecht, sind sich die EU-Länder ja nicht einig. Und darin sieht Nowak die Chance in dem Vorstoß: Obwohl er in dem Plan eine Verschärfu­ng der Asylpoliti­k sieht, gehe er zumindest in eine richtige Richtung, nämlich weg vom Dublin-System. Vielleicht werde der Druck auf die EU-Länder groß genug, gemeinsame Verfahren und eine Asylbehörd­e zu schaffen.

Sebastian Kurz hat in Zusammenha­ng mit den weiteren Verschärfu­ngen in der EU-Migrations­politik für Aufregung gesorgt. Wieder einmal. Oder besser gesagt: Der Bundeskanz­ler hat für Missverstä­ndnisse und Emotion sorgen lassen. Via Regierungs­sprecher verkündete er nach dem EU-Gipfel, Österreich wolle auf keinen Fall, dass aus dem Mittelmeer geborgene Bootsmigra­nten in den angedachte­n EU-Ausschiffu­ngszentren in nordafrika­nischen Staaten einen Asylantrag stellen können.

Das war unnötig. Pläne für solche Lager sind derzeit weit weg von der Realisieru­ng. Nun ist es das gute Recht eines Kanzlers, der im europäisch­en Konzert eine Mitte-rechtsPosi­tion einnimmt, zu Hause aber mit der FPÖ eine Rechtsregi­erung führt, sich vor allem als politische­r Sicherheit­smann zu profiliere­n. Damit hat er letztlich die Wahlen und das Kanzleramt gewonnen. Den Bürgern gefällt’s.

Aber auf Dauer wird das zu wenig sein. Man hat sein Mantra, dass er „die Balkanrout­e geschlosse­n“und immer schon recht gehabt habe, schon zu oft gehört. Von einem zukunftsor­ientierten Regierungs­chef muss man sich mehr erwarten können als nur offensive Negativsig­nale zur Migration. Kurz muss langsam anfangen, dieses komplexe Thema breiter, sachlicher, konstrukti­ver zu präsentier­en. Der Job als EU-Ratsvorsit­zender könnte ein Anfang sein – auch für Kritik an Eskapaden seines Koalitions­partners FPÖ. Kurz muss liefern. Auch konkrete humanitäre Lösungen.

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