Das Belvedere schaut auf Wien
In der Debatte um Wiens Weltkulturerbestatus wird gern mit dem sogenannten Canalettoblick argumentiert: Die schöne Aussicht prüft derzeit nicht nur das Unesco-Komitee, auch das Belvedere schult den Blick auf die Stadt.
Karrrlskörrrche? Unsicher angesichts des für fremde Zungen unaussprechlichen Wortes, deutet eine Touristin auf die Kuppel der Salesianerinnenkirche. „No, it’s the church of the monastery.“Enttäuscht wendet sich die Frau von Franz Alts Aquarell ab. Auch draußen vor dem Oberen Belvedere hätte sie kein Glück: Der monumentale Barockbau Fischer von Erlachs ist vor dem Schloss nicht auszumachen.
Der berühmte Canaletto-Blick, 1758–61 von Bernardo Bellotto gemalt, mit den symmetrischen barocken Sichtachsen, dominiert vom Stephansdom und den beiden flankierenden Kuppelkirchen, ist über die Jahrhunderte zu dem Signet der Stadt geworden. Allerdings: Die linksseitige Perspektive des Bildes mit der Karlskirche ist in der Realität seit langem von der üppigen Vegetation des Schwarzenbergparks verstellt. Malerisch ist der Blick aufs Zentrum allemal. Normalerweise. Aktuell zählt man neun Baukräne, die sich als störende Vertikalen ins wie komponiert wirkende Panorama schieben. Das wird sich – der Dachausbau-Boom hält an – wohl nicht so bald ändern.
Sattsehen an Stadtansichten
Besucher zieht es also auf der Suche nach der schönen Habsburger-Perspektive hinein ins Belvedere und in die Ausstellung Der Canalettoblick. Dort können sie sich sattsehen an mehreren Dutzend romantischen, vielfach von Canaletto inspirierten Stadtansichten; für das Original Wien, vom Belvedere aus gesehen müssen sie jedoch ins Kunsthistorische Museum (KHM) pilgern. Das Gemälde, das Kaiserin Maria Theresia einst beim angesehenen venezianischen Vedutenmaler zur Dokumentation ihrer reichen Bautätigkeit in Auftrag gab, konnte aus konservatorischen Gründen nicht verliehen werden. Das gut zwei Meter messende Bild ist aber quasi live zugeschaltet – für einen Monitorabgleich mit einem LiveBild der realen Situation.
Das Wort „Canalettoblick“ist für die Wiener in den letzten Jahren eher zum Reizwort geworden, zu sehr ist es als Referenz für die Geschlossenheit der historischen Innenstadtbebauung, mit dem Streit um das Hochhausprojekt am Heumarkt verknüpft. Mit einer geplanten Bauhöhe von 66 Metern (um 23 Meter zu viel) katapultiere dieses das historische Zentrum Wiens auf die Rote Liste der bedrohten Weltkulturerbestätten. Und so ist die bis in die Gegenwart des umstrittenen Bauvorhabens führende Schau im Belvedere freilich nicht allein für Touristen konzipiert und sicher nicht zufällig zeitlich parallel zur Tagung des Unesco-Welterbekomitees in Bahrain platziert.
Vergangenen Dienstag hätte dort über Wiens Welterbe-Schicksal entschieden werden können. Doch überraschend rutschte Österreich von der Tagungsordnung. Das dreistufige Maßnahmenpaket der Bundesregierung, das etwa eine Begutachtung der Unesco und ein Expertentreffen des Denkmalrats ICOMOS im November umfasst, erwirkte einen Aufschub. Kulturminister Gernot Blümel (ÖVP) und die grüne Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou feiern das als „großen Erfolg“, als wäre die Unesco damit bereits erweicht. Landtagspräsident Ernst Woller (SPÖ), momentan Chefverhandler in der Causa, klingt nicht minder überzeugt, wenn er erzählt, die Presse berichtet, man haben den Unesco-Experten „zeigen können, dass die heruntergekommenen Bereiche dem Welterbe mehr schaden als das geplante Projekt“. Aber ist solch Optimismus angemessen?
Sabine Haag, KHM-Direktorin und seit 2018 Präsidentin der österreichischen Unesco-Kommission, mahnt ernsthafte Lösungen ein (siehe Interview unten): Weder sei durch den Aufschub der Entscheidung vorgegriffen, noch sei es durch den Drei-Stufen-Plan zu einer „entscheidenden Weichenstellung“gekommen. Vielmehr müsste man 2019 echte Fortschritte nach Paris berichten. „Der Wunsch und der Wille, dass etwas getan werden muss, um diesen Welterbestatus nicht zu gefährden“, müsse ablesbar sein.
Sicher kein Kompromiss
Kompromiss, so Haag, werde es definitiv keinen geben, denn „die Kriterien für den Welterbestatus sind unverändert“. Diese bedeuten kein „generelles Bauverbot oder Veränderungsverbot“. Konkreter: „Wenn das HeumarktProjekt in der bestehenden Form umgesetzt würde, wäre das eine klare Verletzung der Kriterien für den Welterbestatus, und natürlich müsste dieser dann in logischer Konsequenz aberkannt werden.“
In erster Linie ginge es bei der Beobachtung der Unesco um den Heumarkt, so Haag, aber auch um die Pläne rund um Karlskirche und Wien-Museum oder das Gastroprojekt im Schwarzenberpark. Nur wenn man „konkrete Verbesserungsvorschläge erkennen kann, könnte noch Bewegung in die Sache kommen“.
Im Belvedere will man sich mit der Ausstellung kein Urteil anmaßen. Interessiert hat Kurator Martin Fellinger, das manipulative Potenzial solcher Stadtansichten zu illustrieren, denn sowohl Gegner als auch Befürworter nutzen den Canalettoblick für ihre Argumentation. Es ist eine bildkritische, den Blick schulende Schau.
Schon Canaletto hatte den Maßstab einiger Gebäude verändert, um sie prominenter aus der Stadtsilhouette auftauchen zu lassen. Auch heute noch benutzen Architekten Weitwinkelperspektiven, wenn es gilt, Szenerien offener und zugänglicher wirken zu lassen. Kurz: Stadtansichten wurden und werden inszeniert. Gestern genau so wie heute.