Eisenbahnerprotest ließ 300 Züge ausfallen
Rund 200 Betriebsversammlungen wurden bei der ÖBB am Montag aus Protest gegen das neue Arbeitszeitgesetz abgehalten. Die Stimmung war mitunter kämpferisch – und durchaus humorvoll. Ein Stimmungsbild. András Szigetvari
Die Betriebsküche ist an diesem Morgen außergewöhnlich gut besucht. Einige Mitarbeiter haben gar keinen Sitzplatz mehr gefunden, sie müssen von draußen, von vor der Tür lauschen. Es ist kurz nach sieben Uhr, als die Betriebsversammlung der ÖBBMitarbeiter am Stützpunkt Matzleinsdorfer Platz, unweit des Wiener Hauptbahnhofs, eröffnet wird. Mehr als 100 Bahnmitarbeiter sind gekommen. Mechaniker im blauen Arbeitsanzug sind dabei, auch viele Lokführer. Einige Mitarbeiter halten Schilder mit einem durchgestrichenen 60er in die Höhe.
Etwas mehr als eine Stunde werden der Betriebsrat und die angereisten Gewerkschafter mit der Belegschaft über die geplante türkis-blaue Arbeitszeitreform und den Zwölfstundentag diskutieren. Der Ton dabei: kämpferisch. Dazwischen wird gewitzelt.
„Wir werden nichts herschenken“, ruft Günter Blumthaler von der Dienstleistungsgewerkschaft Vida den Eisenbahnern zu. „Sozialpartnerschaft heißt, dass einmal der eine und dann der andere gibt“, sagt er. Ebendieses Prinzip durchbreche das geplante türkis-blaue „Drecksgesetz“zur Arbeitszeitreform. Applaus brandet auf.
An die 200 Betriebsversammlungen wie jene am Matzleinsdorfer Platz dürften am Montag österreichweit in den Stützpunkten der ÖBB zum Thema Arbeitszeit abgehalten worden sein. In Wien ebenso wie in Linz, Graz oder in kleineren Orten wie Wiener Neustadt. Lahmgelegt haben die ÖBB-Mitarbeiter den Verkehr nicht. Laut dem Unternehmen sind von gut 5000 Personenzügen, die am Montag planmäßig fahren sollten, etwa 300 ausgefallen.
Die Verzögerungen für Reisende hielten sich in Grenzen. In Österreich, einem Land, wo es so gut wie keine Arbeitskämpfe gibt und Streiks eher in Sekunden denn in Tagen gezählt werden, waren die Betriebsversammlun- gen der Bahn aber doch so etwas wie eine Störung gewohnter Abläufe. Aber warum regen sich Bahngewerkschafter und Betriebsräte auf?
Durchlöcherter Schirm
Das neue Arbeitszeitgesetz durchlöchere den „Schutzschirm“für Mitarbeiter, warnt Vida-Chef Roman Hebenstreit am Matzleinsdorfer Platz, wo sich neben einer Remise auch eine Reparaturwerkstätte für Züge befindet. „Wir werden uns dagegen wehren. Wir sind die Eisenbahner, die zusammenstehen.“Auch dafür gibt es Applaus. Etwas später wird ein Lokführer laut sagen, dass er durch die neuen Regelungen zum Zwölfstundentag fürchtet, nicht einmal mehr Zeit zum Einkaufen zu haben. Es gehe quasi ums Überleben. „Geh bitte“, ruft ein Kollege dazwischen. „Der Billa liefert eh schon.“Dafür gibt’s lautes Gelächter.
In der Betriebsratssitzung am Matzleinsdorfer Platz werden diverseste Befürchtungen geäußert. Manche werden konkret untermauert, andere weniger. „Freizeit wird weniger planbar für uns“, sagt ein Betriebsrat. „Sie wird gar nicht mehr planbar“, ruft ein Eisenbahner. Im geplanten türkis-blauen Gesetz ist allerdings ein Ablehnungsrecht für Arbeitnehmer vorgesehen, die keine elfte und zwölfte Stunde bleiben wol- len. Warum also die Angst? Freiwilligkeit im Job, so etwas gibt es doch nicht, sagen hier viele, die Vorstellung sei „schwachsinnig“.
Welche Auswirkungen das geplante Arbeitszeitgesetz auf Bahnmitarbeiter genau haben wird, lässt sich von außen nicht wirklich abschätzen. Das ist auch eine Folge davon, dass es keine intensive parlamentarische Begutachtung für die von ÖVP und FPÖ geplante Reform gibt. Schon diesen Donnerstag soll das neue Gesetz beschlossen werden. Unabhängige Experten haben kaum Zeit für die Analyse. Laut einem Informationsschreiben, das von der ÖBB-Konzernführung an Mitarbeiter versandt wurde und aus dem die APA zitiert, wird die türkis-blaue Reform praktisch keine Änderungen bringen. In der ÖBB seien Zwölfstundentage bereits möglich. Unternehmer und Arbeitnehmer tragen die aktuelle Regelung mit, heißt es im Schreiben.
Gewerkschafter widersprechen. Für die ÖBB mit ihren rund 41.000 Mitarbeitern gelten über ein Dutzend Kollektivverträge. Nicht alle sehen den Zwölfstundentag vor. Auch am Matzleinsdorfer Platz, wo sich nach der Sitzung in der großen Runde Mechaniker und Lokführer zu separaten Besprechungen einfinden, sehen viele die Sache anders als die Konzernführung.
Fakt ist, dass Triebwagenführer schon heute zwölf Stunden arbeiten dürfen, wenn dies der „Aufrechterhaltung“des Betriebs dient. So steht es in einem Kollektivvertrag zur Arbeitszeit bei der ÖBB. Lange Arbeitsschichten scheinen nicht einmal unbeliebt zu sein, weil dafür geblockte Freizeit konsumiert werden kann. Auch das ist im Kollektivvertrag festgeschrieben. Wer lang genug den Diskussionen lauscht, kommt zum Schluss, dass die Arbeitnehmervertreter auch weniger fürchten, dass das neue Arbeitszeitgesetz den Alltag der Eisenbahner direkt verändern wird. Sie sehen aber eine Verschiebung der Machtbalance.
Neue Balance
Aktuell sind Zwölfstundentage für Lokführer und das Zugpersonal eben über den Kollektivvertrag geregelt. „Künftig werden die Unternehmer die Arbeitnehmerseite dafür nicht mehr brauchen“, sagt Anton Dietmair, Betriebsratsvorsitzender am Hauptbahnhof. In den Kollektivvertragsverhandlungen werde die Position der Arbeitnehmer geschwächt.
Dann gibt es noch eine Reihe anderer Befürchtungen. Laut Regierung soll die Versicherungsanstalt für Eisenbahnen und Bergbau, die auch für Pensionen zuständig ist, mit der Beamtenversicherung verschmolzen werden. ÖVP und FPÖ sagen, sie wollen damit Verwaltungskosten sparen. Gewerkschafter warnten am Montag bei der ÖBB vor einer Schlechterstellung des Bahnpersonals. Derzeit habe man eine eigene Versicherung, die sich um die Belange der Eisenbahner kümmert, „künftig werden wir nur einige von vielen sein“. Für den Herbst kündigen Gewerkschafter von der Vida weitere Proteste an. „Wir wollen die Österreicher nicht quälen“, sagt ein Betriebsrat, „aber trotzdem auf unser Anliegen aufmerksam machen.“