Sitzungsmarathon zur Rettung deutscher Unionsfraktion
Zähes Ringen in Berlin zwischen CSU von Innenminister Seehofer und Merkels CDU
Berlin – Nach einer langen Nacht folgte ein langer Tag: CDU und CSU haben am Montag in Fraktionssitzungen versucht, ihre tiefe Spaltung in der Migrationsfrage zu überwinden. Dabei ging es auch um die berufliche Zukunft der Beteiligten: Deutschlands Innenminister Horst Seehofer hatte nach einer dramatischen Nachtsitzung der bayerischen CSU am Sonntag seinen Rücktritt in Aussicht gestellt, sollten die Fraktionskollegen und die Regierung in Berlin seinen harten Forderungen in der Migrationspolitik nicht nachkommen. Der Streit zwischen den beiden Schwesterpar- teien hatte sich schon vor Wochen an einem Vorschlag Seehofers, künftig in einem nationalen Alleingang Asylsuchende an der Grenze abzuweisen, die bereits in anderen EU-Staaten registriert sind, entzündet. Merkel lehnte dies ab, weil es in der Migrationsfrage nur eine europäische Lösung geben könne. Beim EU-Gipfel in der vergangenen Woche einigte sie sich mit den Staats- und Regierungschefs der Union auf Verschärfungen. Seehofer kritisiert diese allerdings als zu wenig weitgehend. (red)
Ein paar Häppchen, dazu natürlich bayerisches Weißbier, entspannte Gespräche. So hätte es laufen sollen am Montagabend beim Sommerfest der bayerischen Staatsregierung mit den Journalisten der Landtagspresse. Doch der erste Tag der Woche war noch nicht sehr alt, da wurde die Party in München abgesagt – „aus aktuellem Anlass“.
In der CSU war nach der dramatischen Nacht von Sonntag auf Montag niemanden nach Feiern zumute. In den Stunden zuvor hatte CSU-Chef und Innenminister Horst Seehofer aus Frust über die Brüsseler Gipfelbeschlüsse zum Thema Asyl seinen Rücktritt angeboten. Etwas anderes als sofortige Zurückweisung bereits registrierter Flüchtlinge an der deutschen Grenze könne er nicht verantworten, erklärte er.
Zwar hatten ihn der bayerische Ministerpräsident Markus Söder und CSU-Landesgruppenchef im Bundestag, Alexander Dobrindt, in den vergangenen Wochen immer wieder zu einer harten Linie gedrängt. Doch als Seehofer bereit war, aufzugeben, wurde den beiden dann doch mulmig, und sie versuchten Seehofer noch einmal umzustimmen, was zunächst gelang.
Seehofer beschrieb seine Entscheidung so: „Ich habe ja gesagt, dass ich beide Ämter zur Verfügung stelle, dass ich das in den nächsten drei Tagen vollziehe.“Doch dann erklärte er sich bereit, ein letztes, ein allerletztes Mal noch mit Merkel persönlich zu reden: „Wir wollen im Interesse dieses Landes und der Handlungsfähigkeit unserer Koalition und Regierung – die wir erhalten wollen – einen Einigungsversuch machen in dieser zentralen Frage zur Zurückweisung, alleine zu dieser Frage“, sagte er.
„Der Horst hat uns alle sehr überrascht“
Ein Termin war rasch gefunden: Montag, 17 Uhr in Berlin, Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) wollte vermitteln.. Natürlich dominierte davor eine Frage im politischen Berlin: Was reitet Seehofer? Auch in der CSU begann man sich Gedanken zu machen. Teilnehmer der Sitzung berichteten vertraulich, Seehofer sei für keine Kompromisse zugänglich gewesen. Söder bestätigte dies später und berichtete: „Der Horst hat uns gestern alle sehr überrascht.“
Verwirrung herrscht auch über Seehofers „Master- plan Migration“, den ja lange kein Mensch zu Gesicht bekommen hatte. Am Sonntag stellte ihn Seehofer dem CSU-Vorstand vor. Am Montag erklärte eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums jedoch, dass es auch in ihrem Haus einen Masterplan gebe.
Die Fassung von Sonntag habe Seehofer „als CSUVorsitzender und eben nicht als Bundesminister des Inneren“vorgelegt. Doch man sei auch im Innenressort nicht untätig: „Es wird ein Masterplan erarbeitet und auch laufend fortgeschrieben und weiter abgestimmt (...) und der wird vorgestellt durch das BMI (Bundesinnenministerium), wenn er vorgestellt wird.“
Am Montag war es dann ausgerechnet Söder, der Kompromissbereitschaft andeutete: „Die Stabilität der Regierung steht für uns nicht infrage, auch ein Aufkündigen einer Fraktionsgemeinschaft ist nicht der richtige Weg“, sagte er. Und:. „Wir sind zu Kompromissen bereit, das muss man ja auch sein in der Politik.“
Beschwören der Schicksalsgemeinschaft
Allerdings beklagte sich Seehofer in der Süddeut
schen Zeitung bitter: „Ich lasse mich nicht von einer Kanzlerin entlassen, die nur wegen mir Kanzlerin ist.“Er befinde sich in einer Situation, die für ihn „unvorstellbar“sei: „Die Person, der ich in den Sattel verholfen habe, wirft mich raus.“
In Berlin machte Merkel bei einem Treffen der CDUBundestagsabgeordneten deutlich, dass sie kein Scheitern wolle. „Der Wunsch, das zu lösen, ist groß“, sagte sie nach Angaben von Teilnehmern und verwies auch darauf, dass sie selbst schon von einer „Schicksalsgemeinschaft“zwischen CDU und CSU gesprochen habe. Diesen Begriff hörten die CDU-Bundestagsabgeordneten am Montag vor dem entscheidenden Treffen auch von Landesgruppenchef Dobrindt. Er sagte: „Eine Schicksalsgemeinschaft bewährt sich, wenn sie herausgefordert wird.“Allerdings hatte er in der Vorwoche erklärt, er bilde höchstens mit Seehofer eine Schicksalsgemeinschaft, nicht mit Merkel.
Am späten Nachmittag machte ein Kompromissvorschlag die Runde: Merkel bekommt ihre „europäische Lösung“, doch es werden hinter der Grenze viel mehr Polizisten für die Schleierfahndung eingesetzt. Diese sollen illegal Einreisende aufgreifen.