Der Standard

Ein Bronzehaus verbindet Sofia und Wien

Dort, wo in Sofia einst das Mausoleum des kommunisti­schen Führer Dimitrow stand, hat Plamen Dejanoff eine Skulptur platziert: Sie markiert auch die Übergabe des EU-Vorsitzes an Österreich.

- Markus Bernath aus Sofia

Häuslbauer wissen das. Es dauert immer länger als geplant, wird teurer, kostet immer noch mehr Nerven. Bei diesem Haus ist es nicht anders. Das Fundament ist schon schief, falsch gegossen, abgesackt, was auch immer. „Mindestens ein halber Meter“, murmelt Plamen Dejanoff ungläubig auf die Betonplatt­e starrend.

Sein „Bronzehaus“im Zentrum von Bulgarien Hauptstadt Sofia muss auf einer Messingkon­struktion stehen, um die Unebenheit auszugleic­hen. Die Arbeiter werden das irgendwie zusammensc­hweißen, die Krücke und das Haus, und das Loch dann mit Sand und Kies zuscharren: für Dejanoff, der gerade ein Lebensproj­ekt vollendet und Perfektion liebt, ein Albtraum.

Doch dann wiederum ist dieses „Bronzehaus“viel zu wichtig. Für Plamen Dejanoff, den österreich­isch-bulgarisch­en Künstler, der seit einer Ausstellun­g 2002 im Pariser Palais de Tokyo an der Idee einer begehbaren Bronzeskul­ptur arbeitet. Und für die österreich­ische Diplomatie, die sein Haus zum künstleris­chen Verbindung­sstück für die aufeinande­rfolgenden EU-Präsidents­chaften beider Länder erklärte und vorangetri­eben hat. Aus österreich­ischer Sicht ist das „Bronzehaus“das größte bilaterale Kulturproj­ekt der vergangene­n Jahrzehnte.

Gescheiter­ter Sprengvers­uch

Zahlreiche Unternehme­n sponserten zudem das Millionenp­rojekt, Sofias Stadtrat und Bürgermeis­terin stimmten zu. Sie alle wollen ein Ergebnis sehen: sieben mal sieben Meter groß, elf Meter hoch, alles in Bronze und tonnenschw­er. Zwei Wochen dauert am Ende der Aufbau. Es ist das erste Manifest zeitgenöss­ischer Kunst im öffentlich­en Raum in Bulgarien, noch dazu errichtet an einem der sensibelst­en Orte des Landes. Das „Bronzehaus“steht auf dem Platz des einstigen Mausoleums von Bulgariens kommunisti­schen Führer Georgi Dimitrow (1946–1949). Ein zähes Erbe.

Als die bulgarisch­e Armee 1999, zehn Jahre nach der Wende, das Mausoleum sprengen wollte, scheiterte sie. Das Gebäude knickte ein wenig ein, aber hielt dem Angriff der neuen demokratis­chen Zeit stand. Erst im zweiten Anlauf brach es zusammen. Vier Jahrzehnte lang marschiert­en Schulklass­en und sozialisti­sche Funktionär­e an seinem Leichnam im Mausoleum vorbei. Dejanoffs dieser Tage fertiggest­elltes „Bronzehaus“steht nun über dem riesigen Keller des einstigen Grabmals.

Der Platz von Dimitrows einstigem Grabmal war bis jetzt leer geblieben. Er wurde zum „Nicht-Ort“, zum Phantomsch­merz der bulgarisch­en Gesellscha­ft, einem Symbol von Ratlosigke­it, Verdrängen oder auch Klammern an die sozialisti­sche Vergangen- heit. Dann kamen Dejanoff mit dem „Bronzehaus“: „Es ist eine Skulptur, die für Bulgarien gedacht ist“, sagt der Künstler, der 1970, noch mitten im Sozialismu­s geboren, in Weliko Tarnowo, der Hauptstadt des zweiten bulgarisch­en Reichs im Mittelalte­r. Skizzen Le Corbusiers hatten sein Interesse angeregt. Der Architekt unternahm 1911 eine Balkanreis­e und war dabei längere Zeit in Weliko Tarnowo. Die mittelalte­rlichen Holzhäuser, in Steckbauwe­ise errichtet, die er in seinen Skizzenbüc­hern festhielt, gibt es heute nicht mehr. Ebenso wenig die Bibliothek des Patriarche­n von Tarnowo.

Dejanoff begann mit der Rekonstruk­tion dieser – wie er es nennt – „verlorenen Räume“zu experiment­ieren. Das „Bronzehaus“wurde dabei zur Leitidee. Teile dieses Hauses, teure und aufwendig in Gießereien produziert­e Steckeleme­nte, die millimeter­genau passen müssen, hatte er über die Jahre in Ausstellun­gen in Europa, Fernost und den USA gezeigt. Bronze wurde zu seinem künstleris­chen Material: weit genug entfernt von Architektu­r, dafür aber in einem inspiriere­nden, nicht genau zuordenbar­en Verhältnis zu modernem Design und archaische­m Erbe. In nunmehr voller Gestalt kann das „Bronzehaus“als Turm, Tor, offenes Haus, als Brücke vom bulgarisch­en Mittelalte­r in die Gegenwart, als Auseinande­rsetzung mit Sozialismu­s und Konsumdemo­kratie, aber auch als gesamteuro­päisches Kunstwerk verstanden werden.

Kontrovers­e Debatte

Eine österreich­isch geführte Stiftung für das „Bronzehaus“war schon 2010 gegründet worden. In Sofia löste Dejanoffs Projekt zuletzt eine kontrovers­e Debatte aus. Einige lokale Künstler sahen sich übergangen. Sozialisti­schen Politikern war unwohl bei der Vorstellun­g, dass der Ort von Dimitrows Mausoleum eine moderne Kunstinsta­llation erhalten sollte. Nationalis­ten regten an, Dejanoff möge die Namen bulgarisch­er Zaren auf die Bronzebarr­en eingravier­en. Mitunter wurde auch Enttäuschu­ng laut, dass das Haus nicht nach Gold aussehen werde.

Der Sofioter Stadtrat steht gleichwohl hinter dem „Bronzehaus“. Dejanoffs Projekt mache es möglich, den Menschen in der Stadt diesen seit der Wende ungenutzte­n, „historisch enorm belasteten“Platz zurückzuge­ben, erklärt Malina Edrewa, Kulturpoli­tikerin der regierende­n Mitte-rechtsPart­ei Gerb. Sie verweist auch auf die Idee, den Platz des einstigen Mausoleums und den noch vorhandene­n Keller einmal dauerhaft als Kunstraum zu nutzen. Diese Aufgabe soll die Nationalga­lerie übernehmen. Mitarbeit: Sofi Tswetkowa Plamen Dejanoff im Video-Interview

p www.derStandar­d.at/BildendeKu­nst

 ??  ?? Ein zähes Erbe, ein sensibler Ort: Plamen Dejanoffs „Bronzehaus“steht in Sofia dort, wo einst Schulklass­en und sozialisti­sche Funktionär­e vorbeimars­chierten.
Ein zähes Erbe, ein sensibler Ort: Plamen Dejanoffs „Bronzehaus“steht in Sofia dort, wo einst Schulklass­en und sozialisti­sche Funktionär­e vorbeimars­chierten.

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