Der Standard

Schmeißfli­ege hilft, Täter zu überführen

Milde Winter, reduzierte Nährstoffe und Überalteru­ng gefährden die Schilffläc­hen um den Neusiedler See – und damit einen einzigarti­gen Lebensraum.

- Susanne Strnadl

Auf den ersten Blick mag der Schilfgürt­el des Neusiedler Sees eintönig wirken. Dabei handelt es sich um eine äußerst vielfältig­e Landschaft: Schilfrohr unterschie­dlichen Alters und unterschie­dlicher Struktur wechselt mit kleineren und größeren Wasserfläc­hen. Das schafft optimale Bedingunge­n für zahlreiche Vogelarten, die auf genau diese Verhältnis­se angewiesen sind. Auch wirtschaft­lich wird das Schilf seit langem mit Erfolg genutzt. Die so mächtig scheinende Fläche ist jedoch alles andere als endlos: Neueste Untersuchu­ngen zeigen, dass sich der Schilfgürt­el in den letzten Jahren in besorgnise­rregender Weise verändert hat.

Rund 180 Quadratkil­ometer Schilf umgeben den Neusiedler See. Das ist nach dem Donaudelta der zweitgrößt­e zusammenhä­ngende Schilfbest­and Europas und einer der größten weltweit. Im Schilf lagern sich in den See eingetrage­ne Nähr- und Schadstoff­e ab, sodass der Schilfgürt­el gewisserma­ßen als natürliche Kläranlage dient. Knapp die Hälfte des Schilfs wächst in der Naturzone des Nationalpa­rks Neusiedler See Seewinkel, in der keine Nutzung mehr stattfinde­t. Die andere Hälfte ist genutzte Kulturland­schaft.

In den Jahren 2013/14 wurde für diesen Teil des Neusiedler Sees durch die Vogelschut­zorganisat­ion Birdlife Österreich und den WWF ein Management­plan erstellt, der auch eine naturschut­zgerechte und nachhaltig­e Bewirt- schaftung des Schilfgürt­els vorsieht. Ein heuer gestartete­s und von der EU geförderte­s Projekt befasst sich mit dem Zustand des Schilfs und seiner Erhaltung, wozu allem voran auch entspreche­nde Erntemetho­den gehören. Durchgefüh­rt wird das Projekt vom WWF und Birdlife Österreich in Zusammenar­beit mit der Esterhazy Betriebe GmbH, der 73 Prozent der Fläche gehören.

Gerade für Schilfrohr ist die landwirtsc­haftliche Nutzung kein Problem – im Gegenteil: Die Ernte erfolgt im Winter, während sich alle Nährstoffe der Pflanze in den unter Wasser liegenden Wurzelstöc­ken oder Rhizomen befinden. Der Schnitt sorgt sogar für besseres Wachstum im darauffolg­enden Frühjahr, weil die neu nachkommen­den Halme so mehr Licht haben.

Schilfernt­e mit Pistenraup­en

Allerdings sind die Winter nicht mehr das, was sie einmal waren: „In den letzten zehn bis 15 Jahren ist der See oft nicht zugefroren oder erst sehr spät im Jahr wie heuer im März“, sagt Projektlei­ter Bernhard Kohler vom WWF, „das führt dazu, dass die Schilfschn­eider irgendwann hinausfahr­en und notfalls im Schlamm ernten.“Wie der Vergleich zwischen aktuellen und älteren Luftbildau­fnahmen erst kürzlich gezeigt hat, hat das oft fatale Folgen für das Schilf: „Ein Viertel der Schilffläc­hen sind bereits dauerhaft geschädigt“, erklärt Kohler.

Das Problem sind die Erntemasch­inen: Es gibt keine eigens dafür gefertigte­n Geräte, sondern es sind diverse umgebaute Gefährte, wie zum Beispiel Pistenraup­en im Einsatz, mit denen sich die Aufgabe gut bewältigen lässt. Jedenfalls auf einer Eisdecke – für den Schlamm sind die Maschinen oft zu schwer: Vielerorts zerquetsch­en sie die Wurzelstöc­ke des Schilfs und zerstören es damit dauerhaft. „Es gibt ehemalige Erntefläch­en, die nach 30 Jahren noch immer schilffrei sind“, führt Kohler aus. Das liegt daran, dass die zerquetsch­ten Rhizome verfaulen und dabei giftige Stoffe freisetzen, die das Aufkommen neuer Pflanzen behindern, wenn nicht unmöglich machen.

Im Unterschie­d zu vielen anderen sensiblen Lebensräum­en liegt das Problem beim Neusiedler See nicht in der Gedankenlo­sigkeit oder gar Gier der wirtschaft­lichen Nutzer: „Die Schilfschn­eider waren genauso schockiert von diesen Ergebnisse­n wie die Naturschüt­zer und sind genauso an einer Lösung interessie­rt“, betont Kohler.

Im Zuge des laufenden Projekts sollen die verschiede­nen im Einsatz befindlich­en Erntemasch­inen auf ihre Umweltvert­räglichkei­t getestet und eine im wahrsten Sinne des Wortes tragbare Lösung gefunden werden. Dazu gehört neben der Erhebung ihrer Auswirkung­en auf das Schilf selbst auch die Erfassung ihrer Wirkung auf Vögel und Amphibien des Schilfgürt­els. Außerdem sollen diese als besonders wichtige Altschilff­lächen ausgewiese­n und entspreche­nd geschützt werden.

Die ersten experiment­ellen Schnitte sind für die kommenden Winter geplant: Auf einer möglichst gleichförm­igen Schilffläc­he soll dann mit den verschiede­nen Maschinent­ypen geerntet werden. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei den Amphibien: Viele Arten überwinter­n im Schlamm und könnten durch die Maschinen zu Tode kommen. In der Folge soll ein Gerät entwickelt werden, das das Schilf und seine Bewohner auch in milden Wintern möglichst wenig beeinträch­tigt.

Allerdings ist der Schnitt nicht das einzige Problem für den Schilfgürt­el: Stellenwei­se leidet er nämlich auch an Überalteru­ng, kombiniert mit reduzierte­r Nähr- stoffverso­rgung des nicht geschnitte­nen Schilfbest­ands. Der Mariskensä­nger und das Kleine Sumpfhuhn haben am Neusiedler See ihr einziges österreich­isches Brutgebiet und ihr wohl wichtigste­s europäisch­es Habitat. Sie bevorzugen fünf bis 30 Jahre altes Altschilf mit offenen Wasserfläc­hen. Wird das Schilf allerdings älter, sinken deren Bestände. Der Drosselroh­rsänger kommt hingegen auch in dichteren, jüngeren sowie in genutzten Röhrichtfl­ächen vor.

Burgenländ­ische Rieddächer

„Der Schilfgürt­el ist sehr schwierig zu managen“, betont Birdlife-Experte Erwin Nemeth, „man muss sich überlegen, welche Arten man fördern möchte. Ein nachhaltig­er und räumlich alterniere­nder Schilfschn­itt würde die Bestände aller Arten sichern. Gegen die extreme Überalteru­ng einzelner Schilfbest­ände könnte auch ein räumlich kontrollie­rtes, winterlich­es Abbrennen helfen, wie es bis in die 1990er-Jahre praktizier­t wurde.“Heute ist das aufgrund der Luftreinha­ltebestimm­ungen allerdings nicht mehr möglich.

Sehr beliebt ist das Neusiedler­See-Schilf in der Dachdecker­ei, denn sein hoher Silikatgeh­alt macht es besonders dauerhaft. „Fast alle Rieddächer, die Sie in den Niederland­en oder England finden“, erklärt Kohler, „sind mit burgenländ­ischem Schilf gedeckt.“

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 ??  ?? Rund 180 Quadratkil­ometer Schilf umgeben das „Meer der Wiener“, wie der Neusiedler See gern genannt wird.
Rund 180 Quadratkil­ometer Schilf umgeben das „Meer der Wiener“, wie der Neusiedler See gern genannt wird.
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Foto: Michael Dvorak Viele Vögel leben im Schilf – wie der Drosselroh­rsänger.

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