Österreicher wollen deutsche Probleme nicht erben
Die österreichische Regierung bereitet sich darauf vor, den Grenzschutz im Süden zu intensivieren. Die Landeshauptleute sind beunruhigt, die Opposition gibt Kanzler Kurz eine Mitschuld am deutschen Streit.
Die Reaktion der österreichischen Regierung ließ nicht lange auf sich warten. Nach der nächtlichen Einigung von CDU und CSU auf Transitzentren an der deutsch-österreichischen Grenze bereite man „Maßnahmen zum Schutz der Südgrenze“vor, verkündeten Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), Vizekanzler Heinz-Christian Strache sowie Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) am Dienstagmorgen.
Versichert wurde, dass man auf „alle Szenarien“vorbereitet sei und bei Bedarf „Handlungen“setzen werde, „um Nachteile für Österreich und seine Bevölkerung abzuwenden“. Mit Details zur österreichischen Reaktion hielt man sich zunächst aber zurück und verwies auf offene Fragen hinsichtlich der deutschen Regierungsposition. Kurz erklärte bei einem gemeinsamen Auftritt mit EU-Kommissionspräsident JeanClaude Juncker und EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani in Straßburg, er werde „für dieses Europa ohne Grenzen nach innen kämpfen“. Allerdings: Dies sei mittel- bis langfristig möglich. Wenn Deutschland zu nationalen Maßnahmen greife, werde Österreich „natürlich entsprechend reagieren“.
In den vergangenen Tagen hatte Innenminister Kickl bereits betont, dass man nicht bereit sei, pauschal alle an der deutschen Grenze abgewiesenen Personen aufzunehmen. In bestimmten Fällen wurden freilich bereits bisher Personen zurückgewiesen. Bis Mitte Juni des heurigen Jahres gab es laut Innenministerium mehr als 2000 solcher Fälle, die auf Basis eines bilateralen Abkommens nach Österreich geschoben wurden. Im gesamten Vorjahr sogar 7000 (siehe Grafik).
„Lage im Griff“
Bisher passiert das immer dann, wenn ein Flüchtling gar keinen Asylantrag an der deutschen Grenze stellt oder die deutschen Behörden nach Rücksprache mit ihren österreichischen Kollegen feststellen, dass die erste Zulassung zum Asylverfahren innerhalb Europas in Österreich geschehen ist (Dublin-Fälle). Deutschland möchte nun ein neues bilaterales Abkommen aushandeln, damit die deutschen Behörden erst gar kein formelles Verfahren einleiten müssen.
In den Bundesländern sorgen diese Überlegungen jedenfalls für gehörige Unruhe und Unverständnis. Man habe die Lage am Grenzübergang Brenner „im Griff“, verwies Tirols Landeshauptmann
Günther Platter auf die deutlich rückläufigen Zahlen.
Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer ließ wissen, man wolle das deutsche Asylproblem „nicht erben“. Sein Salzburger Kollege Wilfried Haslauer er-
gänzte: Sein Bundesland dürfe nicht zum „Wartebereich“für Migranten werden. Und der steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer (alle ÖVP) erklärte: „Wir dürfen jetzt kein Öl ins Feuer gießen.“Aber Österreich müs-
se sich auf alle Eventualitäten vorbereiten.
Im steirischen Spielfeld hielten Innen- und Verteidigungsministerium zuletzt bereits eine Übung mit der grenzpolizeilichen Einheit Puma ab, für die aktuell rund 400 Polizisten bereitstehen und die binnen 24 Stunden aktiviert werden kann, wie es im Innenressort heißt. In einem weiteren Ausbauschritt sollen es sogar 600 Polizisten werden.
Auch beim Bundesheer steht man bereit, den Grenzschutz zu verstärken, wenn es dazu eine Assistenzanforderung des Innenministeriums geben sollte. Aktuell liege aber noch keine über das bestehende Ausmaß hinausreichende Anforderung nach dem Paragrafen 2 des Wehrgesetzes („Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit im Inneren“) vor – wobei das bestehende Ausmaß mit aktuell 999 Soldaten ohnehin beträchtlich ist. Diese 999 Soldatinnen und Soldaten sind zu einem kleinen Teil zum Schutz diplomatischer Einrichtungen, zum Großteil aber zum Schutz der grünen Grenze vom Burgenland bis Tirol eingesetzt.
Die konkreten Einsatzpläne erstellen die jeweiligen Landespolizeikommanden, vor Ort sprechen sich die Kommandanten von Polizei und Militär typischerweise dahingehend ab, dass die Polizei die Grenzübergänge schwerpunktmäßig kontrolliert, während das Militär die Abschnitte dazwischen überwacht.
Von den 999 Assistenzsoldaten sind mit Stand 3. Juli 353 Grundwehrdiener und 203 Soldaten des Milizstandes – ihre Zahl könnte bei Bedarf deutlich erhöht werden. Rechtlich möglich, aber politisch wenig wahrscheinlich wäre sogar das Aufbieten ganzer Einheiten aus dem Milizstand.
„Ende Europas eingeläutet“
Thema wird der Grenzschutz am Mittwoch auch im Nationalrat sein. Die Liste Pilz hat eine dringliche Anfrage dazu an Kanzler Kurz angekündigt. Klubchef Bruno Rossmann sieht angesichts der aktuellen Entwicklungen gar das „Ende Europas“eingeläutet.
Scharfe Kritik an Kurz kam auch von SPÖ-Chef Christian Kern. CDU und CSU hätten ihren Konflikt „auf Kosten Österreichs geschlichtet“, dafür sei auch der Kanzler verantwortlich. „Kurz hat sich einseitig in einen innerdeutschen Streit zwischen CDU und CSU eingemischt, und die deutsche Regierung hat Kurz nun die Rechnung serviert“kritisierte Kern.
Ähnlich fiel die Analyse von Neos-Klubobmann Matthias Strolz aus. Die deutschen Maßnahmen brächten Österreich unter Druck. „Kurz hat sich in einen Pallawatsch hineingeritten“, sagt Strolz.