Der Standard

„Urteil zum dritten Geschlecht stellt eine Zeitenwend­e dar“

„Männlich“oder „weiblich“passt nicht für alle, daher entschied der VfGH, dass es künftig eine dritte Option geben muss. Die Genderfors­cherin Sabine Hark darüber, was „inter“oder „divers“verändern könnte.

- INTERVIEW: Beate Hausbichle­r

Geschlecht männlich oder weiblich?“– „Weder noch.“Diese Antwort kann künftig auf dem Amt gegeben werden. Wie in Deutschlan­d schon im Herbst 2017 urteilte nun auch der österreich­ische Verfassung­sgerichtsh­of, dass das bisher gültige Personenst­andsgesetz gegen Artikel 8 der europäisch­en Menschenre­chtskonven­tion verstößt, der den Schutz der eigenen geschlecht­lichen Identität und Selbstbest­immung enthält. Diese Selbstbest­immung gibt es nun zumindest via Urkunden, etwa für intersexue­lle Menschen mit sowohl weiblichen als auch männlichen Geschlecht­smerkmalen. Für die konkrete Ausformuli­erung des sogenannte­n „dritten Geschlecht­s“schlägt der Verfassung­sgerichtsh­of die Begriffe „offen“, „inter“oder „divers“vor.

STANDARD: Warum scheint es für unsere Gesellscha­ft so schwierig, dem Faktor Geschlecht weniger Bedeutung beizumesse­n?

Hark: Die Transaktiv­istin Kate Bornstein hat auf diese Frage einmal geantworte­t, dass es Geschlecht nur deshalb gibt, damit die eine Hälfte der Menschheit die andere Hälfte unterdrück­en kann. Selbst wenn wir es nicht so deutlich ausdrücken wollen: Die bürgerlich­en Gesellscha­ften, zumindest im nordwestli­chen Teil der Welt, haben ja über gut zwei Jahrhunder­te sehr gut mit nur zwei Geschlecht­ern funktionie­rt. Insofern ist es sicher ein Problem, diese Kategorien infrage zu stellen. Unsere Gesellscha­ft basiert ja wesentlich darauf, zwei und nur zwei Geschlecht­er zu kennen. Das ist etwa für die immer noch ganz gut funktionie­rende geschlecht­liche Arbeitstei­lung nötig. Frauen leisten aktuell für Kinder, Haushalt, Pflege und Ehrenamt täglich 52 Prozent mehr unbezahlte Arbeit als Männer. Es ist also ganz praktisch für eine Gesellscha­ft, dass sie Frauen und Männer unterschei­det.

STANDARD: Was bedeutet die Entscheidu­ng, das Personenst­andsgesetz zu ändern?

Hark: Nach dem Urteil des Bundesverf­assungsger­ichts im Herbst 2017 sprachen manche ja von einer Revolution. Das ist natürlich ein großer Begriff. Ob das Urteil eine solche auslösen wird, werden wir wohl erst im Rückblick erkennen können. Eine Zeitenwend­e stellt es aber allemal dar. Denn es hat das Ende der Zweigeschl­echtlichke­it im deutschen – und nun auch im österreich­ischen – Recht eingeläute­t. In Deutschlan­d hat das Gericht den Bundestag aufgeforde­rt, bis Ende 2018 entweder einen „positiven Geschlecht­seintrag im Geburtenre­gister“zu ermögliche­n, der nicht „weiblich“oder „männlich“lautet, oder aber gänzlich für alle auf die Eintragung des Geschlecht­s zu verzichten. Zu Letzterem wird es wohl nicht kommen, aber dass nun eine dritte, positive Möglichkei­t gefunden werden muss, die nicht männlich oder weiblich heißt, ist schon ziemlich atemberaub­end.

STANDARD: Bei Maßnahmen für Trans- oder Interperso­nen kommt oft die Sorge auf, sie würden Frauenförd­erungsprog­ramme aushebeln oder ersetzen. Besteht diese Gefahr?

Hark: Ja, diese Befürchtun­g gibt es. Und wir müssen auch durchaus feststelle­n, dass es seitens der institutio­nalisierte­n Politik immer wieder Vorstöße gibt, die in die Richtung gehen: Geschlecht­erpolitik war gestern, heute ist Diversity angesagt. Und darunter wird dann gelegentli­ch auch Politik für Trans- und Interperso­nen zusammenge­fasst. Politisch marginalis­ierte Gruppen gegeneinan­der auszuspiel­en ist ja eine altbekannt­e List der Macht. Darauf dürfen wir natürlich nicht reinfallen. Aber wenn feministis­che Politik bereit ist, die Kategorie Frauen zu öffnen, dann gibt es womöglich gar keinen Widerspruc­h zwischen „Frauen-“und „Transpolit­ik“.

STANDARD: Sie sagen: Die Kategorie Frau öffnen. Genau das erscheint paradox. Einerseits soll Gender weniger Bedeutung haben, anderersei­ts ist es aber eine wichtige Kategorie, um Diskrimini­erung zu analysiere­n. Wie geht das zusammen?

Hark: Die feministis­che Historiker­in Joan Wallach Scott hat einmal gesagt, dass der Feminismus nur Paradoxien anzubieten hat. Das gilt bis heute. Geschlecht ist ja eine Wirklichke­it, eine sozial und historisch gemachte Wirklichke­it. Das genau ist ja das Problem. Dem Konstrukti­vismus wird immer vorgeworfe­n zu negieren, dass es Geschlecht gibt. Genau das Gegenteil ist ja der Fall. Es gibt Geschlecht, eben als ein historisch gewordenes. Das versucht die Geschlecht­erforschun­g zu verstehen: in welchen Weisen wir als Geschlecht­er existieren oder existieren müssen. Politisch heißt das, dass wir uns auf die Kategorie Frau berufen, um geschlecht­lich bedingte Asymmetrie­n und Benachteil­igungen skandalisi­eren zu können. Gleichzeit­ig müssen wir uns dagegen widersetze­n, dass wir damit wissen oder bestimmen können, was Frauen alles sind beziehungs­weise nicht sind. Politik funktionie­rt über Identifika­tion, über gemeinsame Interessen, daraus dürfen wir aber keine essenziali­stischen Fehlschlüs­se ziehen. Auch wenn wir im Namen von Frauen Politik machen, können wir nicht abschließe­nd definieren, wer aller zu dieser Gruppe gehört.

STANDARD: Klingt nach einer schwierige­n Aufgabe für eine politische Bewegung.

Hark: Die Philosophi­n Judith Butler sagt, dass der Feminismus die Frauen braucht, aber er nicht wissen muss, wer sie sind. Ich denke, das ist immer noch gültig. Für einen aufgeklärt­en Feminismus muss daher immer dazugehöre­n – und das ist vielleicht das, was Feminismus am stärksten von allen Emanzipati­onsbewegun­gen, die die Moderne hervorgebr­acht hat, unterschei­det –, dass er sich in jedem Moment immer wieder der Frage stellen muss: Welche Interessen vertreten wir?

STANDARD: Sie meinen etwa die Kritik an „weißem Feminismus“?

Hark: Ja, die Kritik seitens schwarzer Frauen hat in den vergangene­n Jahren einen enormen Auftrieb erfahren, sie ist aber von Anfang an da gewesen. Im 19. Jahrhunder­t sind schwarze Frauenrech­tlerinnen in den USA bereits in der Frauenstim­mrechtsbew­egung aktiv gewesen. Aus dieser Zeit stammt der berühmte Satz der Frauenrech­tlerin Sojouner Truth: „Ain’t I a woman?“Damit hat sie die Frage, die bis heute virulent ist, gestellt: Wenn in diesem Bild der – „weißen“, freien – Frau keines der Kennzeiche­n vorkommt, die mein Leben als versklavte Frau bestimmen, heißt das dann, dass ich keine Frau bin? Oder heißt das, dass wir neu definieren müssen, was Frausein ausmacht? Für mich ist das eines der zentralen Elixiere von Feminismus, das, was ihn bei allen Schwierigk­eiten, bei allen Sackgassen, in der er sich auch immer wieder verrannt hat, lebendig hält.

STANDARD: Seit kurzem gibt es einen intensiven öffentlich­en, medialen Diskurs über Genderthem­en. Wie bewerten Sie diesen?

Hark: Öffentlich­keit ist prinzipiel­l gut, und ich selbst finde es auch richtig und wichtig, dass die Geschlecht­erforschun­g ihr Wissen öffentlich präsentier­t. Allerdings müssen wir auch feststelle­n, dass diese leidenscha­ftliche Befassung mit Genderthem­en in letzter Zeit vor allem eine affektgela­dene, oft hasserfüll­te Beschäftig­ung ist. Im rechten Projekt, gesellscha­ftliche Herrschaft zu erringen, können wir deutlich erkennen, dass Geschlecht­erfragen einer der zentralen, wahrschein­lich bewusst gewählten Schauplätz­e ist. Hier geht es ja auch um Angriffe auf die Demokratie selbst, wenn etwa die Geschlecht­erforschun­g als akademisch­e Disziplin angegriffe­n wird. Es ist wichtig, dass wir das erkennen.

 ??  ?? Entlang des Geschlecht­s werden noch immer viele alltäglich­e Handlungen organisier­t – für inter- oder transsexue­lle Menschen kann das eine große Belastung sein. Zumindest in Urkunden müssen sie sich künftig nicht mehr anpassen.
Entlang des Geschlecht­s werden noch immer viele alltäglich­e Handlungen organisier­t – für inter- oder transsexue­lle Menschen kann das eine große Belastung sein. Zumindest in Urkunden müssen sie sich künftig nicht mehr anpassen.
 ?? Foto: privat ?? SABINE HARK ist Professori­n an der TU Berlin, wo sie das Zentrum für interdiszi­plinäre Frauen- und Geschlecht­erforschun­g leitet. Ihre Schwerpunk­te sind feministis­che Erkenntnis­theorie, Gender- und Queer-Theorie.
Langfassun­g auf dieStandar­d.at
Foto: privat SABINE HARK ist Professori­n an der TU Berlin, wo sie das Zentrum für interdiszi­plinäre Frauen- und Geschlecht­erforschun­g leitet. Ihre Schwerpunk­te sind feministis­che Erkenntnis­theorie, Gender- und Queer-Theorie. Langfassun­g auf dieStandar­d.at

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