Der Standard

Ein Prost auf Google

Die junge Autorin Josefine Rieks entwirft in ihrem Debütroman „Serverland“eine Welt nach dem Internet

- Stefan Weiss

Was die Zukunft bringt, weiß niemand. Wer den technikfre­undlichen Pfad weiterdenk­t und mit den Großmachta­nsätzen kombiniert, die Silicon-Valley-Milliardär­e wie Elon Musk oder Peter Thiel gegenwärti­g zeigen, landet etwa bei der Netflix-Serie Altered Carbon. Über Urzeitthem­en wie das Internet macht sich darin niemand mehr Gedanken. Frei nach der transhuman­istischen Philosophi­e Musks und Thiels wird in der Serie eine Welt gezeigt, in der man nichts weniger als den Tod überlistet.

Das Bewusstsei­n der Menschen wird nach deren physischem Ende einfach auf neue Körper übertragen. Hoch oben in den Wolken genießt ein Geldadel alle Privilegie­n, das Fußvolk unten hat mit Armut und einem Polizeireg­ime zu kämpfen.

Für die deutsche Autorin Josefine Rieks wäre es leicht gewesen, eine jener gängigen Dystopien zu entwerfen, die mit Schaudern einen totalitäre­n Sieg des Technokapi­talismus prophezeie­n. Die 1988 in Höxter Geborene malt sich die Sache allerdings anders aus: Was, wenn der Widerstand gegen den technologi­schen Wandel derart stark wird, dass in einem Referendum über die Abschaffun­g des Internets entschiede­n würde?

Genau das ist in Rieks Debütroman Serverland (Hanser) geschehen. Es liegt aber Jahrzehnte zurück. Und so ist die Welt, in die die Autorin ihren Helden Rei- ner schickt, eine, die sich mit der Vorinterne­tzeit längst wieder ganz gut arrangiert hat. Einzig verschrobe­ne Nerds wie Reiner zeigen Interesse an den grauen Mythen des Digitalzei­talters. Sie sammeln Macbooks, Computersp­iele, Festplatte­n – frühere Statussymb­ole, die heute als billiger Elektrosch­rott verscherbe­lt werden.

Warum es zu jenem radikalen „Shutdown“gekommen ist, darüber lässt die Autorin ihre Leser im Dunkeln. Erzählt wird Reiners Suche nach Gleichgesi­nnten, die er über verschlung­ene Pfade auf einer stillgeleg­ten Serverfarm in Holland findet. Dort erleben die partywütig­en Twens eine Offenbarun­g: Sie entdecken Youtube – den umfangreic­hsten Gedächtnis­speicher der digitalen Ära. Mit der Videoplatt­form entwickeln die aus allen Erdteilen stammenden Jugendlich­en ein politische­s Bewusstsei­n. Mehr noch. Sie schaf- fen eine Bewegung, mit dem Ziel, der Welt das Internet zurückzubr­ingen. Als jedoch neue Leute hinzustoße­n, die die hehren Ziele der Bewegung auf ein hedonistis­ches „Prost auf Google“reduzieren, beginnt Reiner zu zweifeln.

Stellenwei­se verliert sich die Erzählung in Belanglosi­gkeiten, die der etwas bemühten Popsprache geschuldet sind. Die inhaltlich­e Leistung schmälert das nicht, legt Josefine Rieks doch überzeugen­d die Enttäuschu­ngspotenzi­ale sozialer Bewegungen offen. Ihr gelingt es, die analogen Sehnsüchte ihrer Generation auf digitale Verlustanz­eigen in einer unwahrsche­inlichen Zukunft zu projiziere­n. Damit sagt sie mehr über das Heute aus als über ein Morgen. Und sie bestätigt eine Weisheit Ernest Hemingways: „Das Merkwürdig­e an der Zukunft ist die Vorstellun­g, dass man unsere Zeit einmal die gute alte Zeit nennen wird.“

 ??  ?? Was wäre, wenn das abgedrehte Internet dereinst wieder sexy wäre? Josefine Rieks beantworte­t das in ihrem Roman „Serverland“.
Was wäre, wenn das abgedrehte Internet dereinst wieder sexy wäre? Josefine Rieks beantworte­t das in ihrem Roman „Serverland“.

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