Der Standard

Die Achse der Böswillige­n

Die deutsche Einigung unter österreich­ischer Einbindung: ein fiktionale­r Irrwitz

- Michael Völker

Von einer Achse der Willigen ist keine Rede mehr. Es ist eine Achse der Böswillige­n, eine Achse des Wahnsinns, des Chaos und der Hysterie, die sich in Deutschlan­d gestaltet hat und von dort aus ihre Verlängeru­ng nach Österreich und in andere Teile Europas sucht. Was in Berlin diskutiert wird und als Einigung zwischen CDU und CSU herhalten muss, baut auf einer Fiktion auf und überträgt die Last auf andere, auch auf Österreich, zulasten der europäisch­en Idee und der Vernunft.

CDU und CSU haben sich darauf verständig­t, an der Grenze zu Österreich „Transitzen­tren“einzuricht­en, aus denen abgefangen­e Asylbewerb­er direkt in die zuständige­n Länder zurückgewi­esen werden. Die Zurückweis­ung erfolgt „auf Grundlage einer Fiktion der Nichteinre­ise“. Der Flüchtling ist also faktisch eingereist, wird in einem Lager zur Überprüfun­g angehalten, die deutsche Regierung tut aber so, als wäre er gar nicht da. Eine Regierung, die einen derart verhatscht­en Kompromiss zur Grundlage ihrer weiteren Zusammenar­beit nimmt, kann doch gar nicht halten, die hat schon aufgegeben.

Diese Regierung geht von der Fiktion aus, dass ihre derzeitige Zusammense­tzung halten wird. Das glaubt kein Mensch mehr. Innenminis­ter Horst Seehofer hat Kanzlerin Angela Merkel nicht nur das totale Misstrauen ausgesproc­hen, er hat seine Verachtung für sie offen ausgesproc­hen. Sich selbst hat er der Lächerlich­keit preisgegeb­en, als er erst seinen Rücktritt in den Raum gestellt, dann aber zu Toben begonnen hat, als dieser in Erwägung gezogen wurde.

Was Österreich betrifft, geht die Union in Berlin ebenfalls von einer Fiktion aus, nämlich von der Annahme eines Abkommens, das es gar nicht gibt. Das scheint in Europa gerade groß in Mode zu sein: Beim EU-Gipfel vergangene Woche einigten sich die Staats- und Regierungs­chefs auf Anhaltezen­tren in afrikanisc­hen Staaten – eine Fiktion. Bisher hat sich kein einziger Staat bereiterkl­ärt, solche Zentren einzuricht­en.

Die Österreich­er schütteln erst einmal die Fäuste. Wieder werden Routen geschlosse­n. Als Antwort auf die Schließung der Nordroute Richtung Bayern schließen wir die Südroute Richtung Slowenien und vielleicht auch Richtung Italien. Der österreich­i- schen Regierung mag das ganze Theater gar nicht so unrecht sein. Schön, wenn einen die Deutschen in ihrer Verzweiflu­ng einmal brauchen. Und so übel ist das nicht: Einigen Regierungs­mitglieder­n bereitet es offenbar ein wohliges Vergnügen, wenn Polizei und Militär an der Grenze aufmarschi­eren, das haben wir in Spielfeld in Feldherren­art schon geübt.

Die Bedrohung ist nicht ernst, aber gerade gut genug, um tatsächlic­h ein wenig mit dem Säbeln rasseln zu können. Wir befestigen wieder die Übergänge, bald auch jene zu den Bayern. Das wollen wir doch sehen, ob uns die die Flüchtling­e zurückschi­cken. Dieser gemeinsame Feind, der Deutsche, der Slowene, der Italiener, der Flüchtling, das lässt sich politisch doch gut verpacken und verkaufen.

Apropos Flüchtling­e. Um die sollte es hier auch gehen. Dass das Menschen sind, die Schutz vor Verfolgung suchen, ist im strategisc­hen Ränkespiel komplett verschütte­t und einem fiktionale­n Irrwitz geopfert worden. Die EU ist in relativ kurzer Zeit zu einer Karikatur verkommen, die uns nicht gefallen kann. Nationale und persönlich­e Egoismen sind offenbar stärker als die europäisch­e Vision.

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