Der Standard

Immer mehr Billigjobs in den Industries­taaten

OECD: Produktivi­tät steigt nur langsam Lob für Österreich­s Kollektivv­erträge

- Leopold Stefan

Paris – Die Beschäftig­ung in den Industries­taaten hat wieder das Niveau der Zeit vor der Wirtschaft­skrise erreicht. „Wir stehen wieder am Ausgangspu­nkt“, hielt OECD-Generalsek­retär José Ángel Gurría trocken fest. Trotz dieser positiven Entwicklun­g warnt die Industries­taatenorga­nisation vor einem „Wachstum ohne Löhne“. Die Einkommen blieben hinter der Entwicklun­g der Produktivi­tät und der Gesamtwirt­schaft zurück.

Das liege an der wachsenden Zahl an Billigjobs und mehr unfreiwill­iger Teilzeit. Denn Niedrigqua­lifizierte seien zunehmend schlechter gerüstet für die Anforderun­gen der Arbeitgebe­r. Außerdem ist der Druck auf Erwerbs- lose hoch: Nur einer von drei Jobsuchern in den OECD-Ländern bezieht Arbeitslos­engeld.

In Österreich sanken die realen Stundenlöh­ne sogar um 0,6 Prozent im letzten Quartal 2017. Auf zehn Jahre betrachtet haben sich in Ländern mit flächendec­kenden Kollektivv­erträgen wie Österreich allerdings nicht nur die Löhne, sondern auch die Beschäftig­ung überdurchs­chnittlich entwickelt. Wichtig dafür sei die Berücksich­tigung sektoraler Anforderun­gen.

Erfreulich­erweise stieg die Beschäftig­ung OECD-weit 2017 am stärksten unter benachteil­igten Bevölkerun­gsschichte­n wie Müttern, Älteren und ausländisc­hen Arbeitskrä­ften. (red)

Zehn Jahre später sind wir wieder dort, wo wir vor der Krise waren. So fasst OECDGenera­lsekretär Ángel Gurría die Beschäftig­ungslage in der Gruppe der 35 Industries­taaten von Mexiko bis Japan zusammen. Fast überall ist die Arbeitslos­igkeit wieder unter oder nahe dem Niveau von 2008, die Zahl der offenen Stellen ist massiv angestiege­n. Schließlic­h wächst die Weltwirtsc­haft robust. Besonders erfreulich: benachteil­igte Gruppen wie Ältere, Mütter oder ausländisc­he Arbeitnehm­er verzeichne­ten die stärksten Beschäftig­ungszuwäch­se im Jahresverg­leich.

Der Befund trifft im Wesentlich­en auch auf Österreich zu – nur bei der Arbeitslos­igkeit liegt man hierzuland­e noch ein gutes Stück über den Werten vor der Krise, aber unter dem OECD-Schnitt.

Nun folgt das große Aber: Gurría spricht von einem „Wachstum ohne Löhne“analog zum lange Zeit beklagten „Wachstum ohne Jobs“. Die Einkommen konnten in den vergangene­n Jahren nicht mit dem Wachstum der Wirtschaft mithalten. Die Reallöhne sind nur halb so stark gewachsen, wie vor der Krise. In Österreich ist dieser Effekt aber gering. Wie die Suche nach Ursachen zeigt, könnte diese Dynamik den Industries­taaten auf den Kopf fallen.

In die Hände gespuckt

Einen wesentlich­en Grund für die schwächere Lohnentwic­klung sieht die OECD in den schleppend­en Produktivi­tätszuwäch­sen. Dabei wird berechnet, wie viel Wertschöpf­ung auf einen Arbeiter pro Stunde entfällt. In den vergangene­n zehn Jahren hat sich das Produktivi­tätswachst­um nahezu hal- biert. Wenn Arbeit nicht produktive­r wird, halten sich Unternehme­n bei Löhnen zurück.

So weit sehen die Ökonomen kein Rätsel. Allerdings gab es seit der Krise eine „Entkoppelu­ng“von Produktivi­tät und Löhnen. Die Durchschni­ttslöhne sind nur halb so stark gestiegen wie die ohnehin niedrigen Effizienzs­teigerunge­n seit 2008. Was steckt dahinter?

Unter führenden Unternehme­rn haben weder Löhne noch die Produktivi­tät stagniert. Allerdings hat sich ihre Position seit der Krise verändert: Einerseits suchen sie nach besserqual­ifizierten Mitarbeite­rn. Deren Einkommen sind entspreche­nd überdurchs­chnittlich gestiegen. Anderersei­ts kommen Spitzenfir­men mit weniger Mitarbeite­rn aus als früher. Dafür setzten sie mehr auf Kapital, also Maschinen und Roboter. Dadurch sinkt der Anteil von Arbeit an der Wertschöpf­ung.

Die Begleiters­cheinung ist ein Anstieg von unfreiwill­iger Teilzeit sowie schlechter bezahlter Jobs. Mitarbeite­r, die während der Krise ihren Job verloren haben, fällt es schwerer, eine ähnlich entlohnte Stelle wie früher zu finden.

Der Druck, einen schlechter­en Arbeitspla­tz anzunehmen, ist größer, als viele glauben, sagt Gurría. Aktuell erhielte nur einer von drei Arbeitslos­en in den OECD-Ländern Arbeitslos­engeld. In seiner Heimat Mexiko gebe es so etwas gar nicht. Während also der Anreiz zu arbeiten durchaus vorhanden ist, fehlen die Fähigkeite­n. Jeder vierte Erwachsene in der OECD hat nicht einmal Grundkennt­nisse der Informatio­nsverarbei­tung, geschweige denn höhere Qualifikat­ionen, die von der Wirtschaft heute nachgefrag­t werden. „In vielen Ländern wird nicht einmal Kindern beigebrach­t zu programmie­ren“, bedauert Gurría, „wie können wir es da von Erwachsene­n einfordern.“Wie wichtig ein Bildungssy­stem ist, das Niedrigqua­lifizierte besser auffängt, ist ein Mantra, das die OECD seit Jahren vorbetet. Aber der aktuelle Bericht hebt erstmals einen positiven Aspekt besonders hervor: Länder mit ausgeglich­ener Sozialpart­nerschaft schneiden besser ab, nicht nur bei der Höhe von Löhnen, sondern auch bei Beschäftig­ungszahlen.

Wichtig sei, dass Abmachunge­n auf betrieblic­her und Sektoreben­e nicht zu kurz kämen. Die Auswertung der OECD zeigt, dass die Verhandlun­gsstärke von Gewerkscha­ften zulasten der Produktivi­tät gehen kann. Selbstverw­altung und Spielraum auf betrieblic­her und sektoraler Ebene seien dagegen positiv.

Österreich schneidet im OECD Vergleich bei der Lohnentwic­klung, Beschäftig­ung und Einkommens­ungleichhe­it überdurchs­chnittlich ab. Das Wort „Extremfall“fällt nur im Zusammenha­ng mit der Pflichtmit­gliedschaf­t in der Wirtschaft­skammer.

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Ein Bergbauarb­eiter wird nicht so leicht programmie­ren lernen, betont OECD-Chef Ángel Gurría. Das Bildungssy­stem müsse früher greifen.
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