Der Standard

SPD wehrt sich gegen Asylpläne

„Keine geschlosse­nen Lager“– Seehofer heute in Wien

- Birgit Baumann aus Berlin, Gregor Mayer aus Budapest

Berlin/Wien – Die SPD hat am Mittwoch eine klare rote Linie für die Verhandlun­gen mit CDU und CSU über die Ausgestalt­ung eines schärferen Asylrechts in Deutschlan­d gezogen. „Es wird mit uns keine geschlosse­nen Lager geben“, sagte die Partei- und Fraktionsc­hefin Andrea Nahles am Mittwoch nach einer Sondersitz­ung der SPD-Bundestags­abgeordnet­en in Berlin. „Auf dieser Basis werden wir am Donnerstag­abend weiterverh­andeln.“Der deutsche Innenminis­ter Horst Seehofer will Migranten „bis zu zwei Tage“festhalten.

Heute, Donnerstag, trifft Seehofer in Wien Kanzler Sebastian Kurz und Vizekanzle­r HeinzChris­tian Strache. Mit welchen Forderunge­n man in diese Gespräche treten werde, wollte man im Kanzleramt nicht sagen. Man hoffe, dass das Gespräch mit Seehofer „Klärung bringt“, hieß es, dann werde man „beraten“. Tirols Landeshaup­tmann Günther Platter (ÖVP) warnt indes vor „gewaltigen Folgen“. (red)

Natürlich will und muss Horst Seehofer heute, Donnerstag, bei seinem Besuch in Wien gut Wetter machen. Schließlic­h gilt es die Österreich­er, die künftig mehr Flüchtling­e zurücknehm­en sollen als bisher, gnädig zu stimmen. In welcher Funktion fährt er eigentlich nach Wien? Als CSU-Chef oder als deutscher Innenminis­ter? Darüber sollte am Mittwoch Seehofers Sprecherin Eleonore Petermann Auskunft geben.

Was wie eine Haarspalte­rei klingt, hat jedoch einen ernsten Hintergrun­d. Als Innenminis­ter kann Seehofer eigentlich nicht in Wien verhandeln. Es gibt bisher – was die geplanten Transitzen­tren betrifft – nur eine Abstimmung zwischen CDU und CSU, aber keine Regierungs­linie, die Seehofer in Österreich darlegen kann.

Petermann formuliert­e Seehofers Mission für Wien daher so und dämpfte auch gleich die Erwartung an eine rasche Lösung: „Es geht nicht um den Abschluss von Gesprächen, sondern um Gespräche zur Herbeiführ­ung von Vereinbaru­ngen.“Eine solche Herbeiführ­ung einer Vereinbaru­ng braucht Seehofer allerdings nicht nur in Wien, sondern auch in Berlin. Nach wie vor ist unklar, ob der Koalitions­partner SPD Transitzen­tren mitträgt.

Es wird keine leichte Entscheidu­ng für die SPD. In bester Erinnerung ist, wie sie sich seit 2015 immer wieder gegen Transitzon­en ausgesproc­hen hat. Die CDU und CSU stießen auf erbitterte­n Widerstand der Sozialdemo­kraten, schließlic­h wurde die Idee fallengela­ssen.

Sozialdemo­kraten in der Zwickmühle

So teilte die SPD-Fraktion am 6. November nach einem Koalitions­gipfel 2015 mit: „Keine Haftlager an der Grenze, kein Zaun. (...) Die CSU-Forderung nach Transitzon­en ist vom Tisch.“Und Lars Klingbeil, heute SPD-Generalsek­retär, twitterte in jenen Tagen: „Gut, dass es keine Transitzon­en gibt.“

Auch heute noch ist die SPD von der Idee wenig angetan. Sie weiß aber: Wenn Seehofer seine Transitzen­tren nicht bekommt, dann weist er Flüchtling­e an der Grenze ab, düpiert Kanzlerin Angela Merkel, die ihn entlassen müsste, die Koalition würde brechen. Die SPD will also nicht diejenige sein, die hier einen Dominoeffe­kt auslöst, der letztendli­ch doch zu Neuwahlen führen könnte. Aber „umfallen“und ihre Überzeugun­gen verraten will sie auch nicht.

Also hat Partei- und Fraktionsc­hefin Andrea Nahles nun eine rote Linie gezogen, und diese lautet: „„Keine nationalen Alleingäng­e, rechtsstaa­tliche Verfahren müssen eingehalte­n werden, geschlosse­ne Lager lehnen wir ab.“Von Seehofer fordert sie bis zum nächsten Treffen im Koalitions­ausschuss am Donnerstag­abend Präzisieru­ng: „Seit der Unterzeich­nung des Koalitions­vertrags am 12. März hat sich in der Flüchtling­sfrage keine neue Sachlage ergeben. Wer darüber hinausgehe­nde Vorschläge hat, muss diese vorstellen, begründen und mit dem Koalitions­partner abstimmen.“

Seehofer ist mittlerwei­le ein bisschen ins Detail gegangen. Er will Flüchtling­e in den Zentren maximal zwei Tage festhalten. „Das ist ein Aufenthalt, der längstens 48 Stunden dauern kann nach unserem Grundgeset­z“, sagte er und widersprac­h Vorstellun­gen von Internieru­ngslagern: „„Es ist weder eine Haft, noch ist da von Stacheldra­ht oder Ähnlichem die Rede.“

Sein Staatssekr­etär Stephan Mayer (CSU) sieht es so: „Transitzen­tren sind keine Gefängniss­e. In den Zentren kann sich jeder frei bewegen, raus darf aber niemand.“Replik von Juso-Chef Kevin Kühnert via Twitter: „Knast mit Hofpause quasi. Das Konzept gibt es in Deutschlan­d schon. Es heißt Gefängnis. Geflüchtet­e sind aber keine Straftäter.“

Ungarns Orbán bei Merkel in Berlin

Merkel empfängt unterdesse­n am selben Tag Ungarns Regierungs­chef Viktor Orbán in Berlin. Das Verhältnis zwischen der deutschen Kanzlerin und dem Rechtspopu­listen ist eisig. Seit Februar 2015 hatte sich Merkel in Budapest nicht mehr blicken lassen. Schon damals hatte sie sich dem Demokratie­abbau, den Orbán in seinem Land beharrlich vorantreib­t, distanzier­t. Auch im Merkel-Seehofer-Streit hatte Orbán offen die Partei des Bayern ergriffen.

Schon nach dem EU-Gipfel vergangene­s Wochenende bereitete der Ungar Merkel viel Kummer. Als sie die Zusagen von 14 Ländern, darunter Ungarn, erwähnte, mit Berlin Rückführun­gsabkommen zu schließen, fiel ihr Orbán in den Rücken. Mit Ungarn gebe es ein solches Abkommen nicht, sagte er. Dabei hatte Merkel lediglich erklärt, dass es von den 14 Ländern politische Zusicherun­gen gegeben habe, derartige Abkommen künftig auszuverha­ndeln. Schließt Orbán das wirklich aus? Am Mittwoch machte er seine Position bekannt, die er schon am Vorabend per Telefon Sebastian Kurz dargelegt hatte. „Zuerst muss es ein Abkommen zwischen Deutschlan­d und Österreich geben.“

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