Der Standard

Leider nach unten geheiratet

Zurück ins Jahr 1947: Beverly Blankenshi­p inszeniert Tennessee Williams’ Klassiker „Endstation Sehnsucht“in der Zeit seiner Entstehung. Trotzdem wirkt das Unmoderne bei den Festspiele­n Reichenau nicht verstaubt.

- Michael Wurmitzer

Petra Morzé ist sehr beschäftig­t. Zum einen muss sie bei den Festspiele­n Reichenau binnen dieses Monats 27mal die Blanche DuBois in Tennessee Williams’ Endstation Sehnsucht spielen. Zum anderen muss sie in dieser Rolle jedem Kerl schöne Augen machen. Sie sucht einen, der sie erhalten könnte. Der Landsitz Belle Rève der Familie in Mississipp­i ist nämlich verloren. Der „schöne Traum“ausgeträum­t. Es wird sie nun doch hoffentlic­h einer retten.

Bisher ist das nicht gelungen. So schneit sie also ihrer Schwester in New Orleans ins Haus. „Elysische Gefilde“lautet der trügerisch­e Name der Gegend, in der diese wohnt. Tatsächlic­h ist es ein raues Arbeitervi­ertel. Stella (Johanna Arrouas) hat nach unten geheiratet. Ihr Mann Stanley (Daniel Jesch) begegnet uns als echter Kerl. Kernig, mit den Füßen auf dem Tisch und einem Grunzen als Gruß. Blanche stellt sich ihm mit einem Herumknick­sen vor, als wäre ihre Ankunft eine freudige Überraschu­ng.

Sie ist von diesem Leben in nur zwei Zimmern entsetzt. Herzstück der Bühne (Peter Loidolt) ist ein Podest, auf dem die kleine Wohnung Stellas steht. Ein Tisch mit ein paar Stühlen, wo Stanley und seine Freunde sich zum Pokern treffen, dazu eine lederne Liege. Wenn er Stella darauf mit seinen starken Armen leidenscha­ftlich packt, kann sie manch eheliche Brutalität vergessen. An der Wand gegenüber ragt eine Fassade auf, hinter der es ebenso manchmal scheppert. Schläge und Versöhnung, ein bekanntes Muster.

Schnaps zur Beruhigung

Und was macht Blanche? Sie braucht Schnaps zur Beruhigung. Abwechseln­d mit heißen Bädern soll der Fusel das zarte Nervenkost­üm beruhigen. Nützt wenig. Immer wieder springt ihre Stimme in die quiekenden Töne. „Geld verschwind­et. Es verschwind­et halt einfach“, das will Stanley als Erklärung für den Verlust des Erbes auch seiner Frau nicht gelten lassen. Er und Blanche stehen im Dauerkonfl­ikt. In ihren Figuren prallen das alte und das neue, das aristokrat­ische und das proletaris­che Amerika aufeinande­r.

Beverly Blankenshi­p inszeniert das Stück akkurat in der Zeit seiner Entstehung 1947. Sie modernisie­rt nichts, aber es ist keineswegs verstaubt. Die Inszenieru­ng macht in ihrem Realismus vieles richtig. Möglich gemacht durch das starke Ensemble. Katia Ledoux singt zu alldem einen Soundtrack aus Schwermut.

Aus ihrem Schrankkof­fer versucht Blanche sich eine heile Welt zu ziehen. Dabei helfen sollen ihr dünne Kleidchen und üppige Schmeichel­eien. Sie hat sich aber in den letzten Jahren sogar bis hierher als Hure zum Gespött gemacht. Frauenschi­cksale in der Weltlitera­tur heißt seit 2012 ein Programmsc­hwerpunkt bei den Festspiele­n Reichenau. Es ist nun zum siebenten Mal den Männern der Weltlitera­tur zu danken, dass sie immer wieder solche beschriebe­n haben.

Ein Mann der Arbeiterkl­asse

Zeitgemäße­r als Blanches Schicksal scheint aber das von Stanley Kowalski. Tatsächlic­h ist er weniger plump, als man anfangs meint. Der Sohn polnischer Einwandere­r fühlt sich von Blanche, die ihn oft „Polacke“nennt, erniedrigt. Dass er als Mann der Arbeiterkl­asse zugleich ehelich gewalttäti­g werden kann und sozialer Gewalt unterliegt, gibt seiner Figur eine Tiefe, die Jesch bravourös ausspielt.

In nichts nach steht ihm Morzé. Das Ende ist besonders rührend. Die so schön gebürstete­n Locken sind raus. Blanche kann keinen Anschein mehr aufrechter­halten. Für Morzé sei es eine Traumrolle seit langem, steht im Programmhe­ft. 24 Vorstellun­gen stehen ihr noch bevor. Das ist Massenabfe­rtigung erster Güte.

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