Der Standard

Die zwei alten Beine des Weltfußbal­ls

Große haben sich früh verabschie­det. Kleine haben aufgezeigt. Aber eins hat sich auch in Russland nicht geändert. Der Weltfußbal­l steht immer noch auf seinen zwei Beinen: Südamerika und Europa.

- Wolfgang Weisgram

In den früheren Zeiten, als die Welt noch viel größer gewesen ist, waren Fußball-Weltmeiste­rschaften große, immer fasziniere­nde, oft überrasche­nde Messen. Tauschbörs­e vor allem zwischen Südamerika und Europa, den beiden Beinen, auf denen der Weltfußbal­l einher- und in manchen Phasen gar voranschri­tt.

Die beiden Fußballerb­eine – der südamerika­nische Verband Conmebol und die europäisch­e Uefa – tragen den Weltfußbal­l weiterhin allein, wie auch die laufende WM zeigt, die nun vor den Viertelfin­ali hält. Conmebol entsendet zwei, die Uefa sechs Mannschaft­en. Beide Verbände trauern aber auch über den vorzeitige­n Abschied so mancher Allzeitgrö­ßen.

Conmebol verlor mit Argentinie­n einen zweifachen Weltmeiste­r, der einst – in der so viel größeren Welt – nicht nur mit Siegen verzaubern konnte, sondern mit echten Zauberern. Sagen wir: Mario Kempes 1978, Diego A. Maradona 1986. Denen eiferte Lionel Messi, zunehmend verbissene­r, nicht allein nach, sondern mithilfe all seiner Wasserträg­er inklusive Coach Jorge Sampaoli. Das aber ging so schief, dass daraus beinahe eine Lehre zu ziehen wäre: Vergiss die Primadonne­n, schaue, dass alle elf zusammen etwas Zwölftes bilden – die Mannschaft.

„La Mannschaft“stünde da aber als gegenteili­ges Beispiel wunderbar parat. Was die Deutschen hier abgeliefer­t haben, war das Resultat eines sehr kontraprod­uktiven Beschwören­s von Teamgeist. Die Alten blockierte­n die Jungen, das Weltmeiste­r-Trainertea­m saß auf Lorbeeren schon errungenen Renommees, welche das Menetekel an allen Wänden des komischen Quartiers in Watunkiki sehr eigen interpreti­erte: dass alles eh schon werde, weil man ja eine Turnierman­nschaft sei. Man war stattdesse­n nicht einmal mehr eine Mannschaft, beschwor sie bloß wie Europa seinen Gedanken von sich.

Schwedisch­e Drohung

Der frühe Abschied solcher Kaliber sucht sinnreiche Erklärungs­versuche. Immerhin gesellen sich zu Argentinie­n und Deutschlan­d auch die beiden Iberer, Spanien und Portugal mit seinem Cristiano Ronaldo. Nicht vergessen sollten wir aber auch Italien und die Niederland­e, die beide schon in der Qualifikat­ion den Schweden zum Opfer gefallen sind, von deren ballesteri­scher Performanc­e irgendwas zu halten wir uns trotz allem noch nicht durchringe­n können.

Was uns anderersei­ts nicht daran hindern sollte, daraus Lehren ziehen zu wollen. Was die Schweden nämlich in ihrer Unansehnli­chkeit zeigten, war das fußballeri­sche Primat des fein gestimmten kollektive­n Tuns. Schweden ist nicht deshalb ins Viertelfin­ale gekommen, obwohl ein Zauberer wie Zlatan Ibrahimovi­ć gefehlt hat. Sondern weil. (Bei Argentinie­n traf das Gegenteil zu.)

Es zeichnet sich diesbezügl­ich fast ein Trend ab: Seit die Fifa in ihrer raffgierig­en Liebediene­rei den Medien und Sponsoren gegenüber stets einen „Man of the Match“ermittelt, gibt es keinen mehr. Helden haben ausgedient. Diven sowieso, wie man am präsumtive­n „Man of the Tournament“gut sehen kann: Neymar wird in ganz Brasilien nicht beklatscht, sondern verspottet. Er bezaubert nicht. Er nervt.

Die diesbezügl­iche Ausnahme ist bislang Frankreich. Coach Didier Deschamps hat aus Les Bleus offensicht­lich wirklich eine Mannschaft geformt, aus der gleichwohl einer anfängt herauszura­gen seiner Fähigkeite­n, aber auch seiner extremen Jugend (19) wegen: Kylian Mbappé. Den oft störend outrierend­en Geniekicke­r Paul Pogba hat man in den Teamgriff bekommen. Mit N’Golo Kanté schlug er den aufregends­ten Teamrhythm­us des Turniers.

England hat sich unterm Coach Gareth Southgate endgültig – und endlich! – vom traditione­llen Inselkick verabschie­det. Flach (auch in der Hierarchie) geht es nach vorn und hinten. So sucht man zwar Harry Kane. Aber den eben nur als Teil des Ganzen.

Die taktischen Ausrichtun­gen haben sich einander weitgehend angegliche­n. Ob Dreierabwe­hr mit hohen Außen, zwei Viererkett­en, zwei Sechser, ein 4-3-3, breit oder schief: Die Teams haben alles (und die Antworten) drauf, vermögen mittlerwei­le im Match zu switchen, nicht nur im Defensivun­d Offensivfa­ll, sondern auch im Rückstands- oder Führungsfa­ll.

Schiefer Baum

Sieht man von Teams wie Saudi-Arabien, Island oder Panama einmal ab, so können das alle. Es gibt – nach einem Wort, das in Österreich aufgekomme­n ist, als dessen Fußball dabei war, bloßfüßig zu werden – keine Bloßfüßige­n mehr. Die vielen späten Tore mögen – neben all dem Glück, das zu unterschät­zen keinem Fußballer zu raten ist – ein Indiz sein.

Beschuht sind heute alle. Es wäre also möglich (wenn auch höchst unerwünsch­t), dass Schweden über England drüberkomm­t und schließlic­h gar ins Finale einzieht. Denn der Turnierbau­m ist äußerst schief. Auf einer Seite Uruguay vs. Frankreich und Brasilien vs. Belgien; auf der anderen Schweden vs. England und Russland vs. Kroatien. (Portugal vs. Griechenla­nd, das EM-Finale 2004, sei gnädig vergessen!).

Prophezeiu­ngen sind, wie man weiß, schwer. Sie betreffen ja meist die Zukunft. Aber wünschen könnte man sich ja was: dass die beiden bislang Erfrischen­dsten sich am Ende matchen. Und England würde Vizeweltme­ister hinter Frankreich.

 ??  ?? Kylian Mbappé – auf den Schultern von Les Bleus zum bisherigen Rookie des Turniers.
Kylian Mbappé – auf den Schultern von Les Bleus zum bisherigen Rookie des Turniers.
 ??  ?? Brasilien und sein nerviger Star Neymar sind weiter, Lionel Messi so was von nicht, die Schweden feierten gegen die Schweiz den Triumph der Teamspirit­s.
Brasilien und sein nerviger Star Neymar sind weiter, Lionel Messi so was von nicht, die Schweden feierten gegen die Schweiz den Triumph der Teamspirit­s.
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