Körper und Klänge, aber nicht immer Geschichten
Durch das diesjährige Impulstanz-Festival zieht sich in besonderer Weise ein Fokus auf die Interaktionen zwischen Tanz und Musik. Dramaturgin Christine Standfest erläutert ihre Überlegungen zum Programm.
Ich mag die Idee, Dinge, die ich nicht sagen kann, zu singen und Dinge, die ich nicht singen kann, zu tanzen.“Das sagte die Choreografin Anne Teresa De Keersmaeker kürzlich in einem Gespräch. Der Satz führt direkt in die Dynamik zeitgenössischer Kunstformen, deren „Verfransung“Adorno schon vor einem halben Jahrhundert erkannte und die sich seither in faszinierender Weise weitergesponnen hat.
Impulstanz zeigt das mit seinen Workshops und Performances seit jeher auf exemplarische Weise – und in diesem Jahr in nochmals erweitertem genreübergreifendem Austausch. Denn nun tritt das Festival selbst „in Dialog mit der Ausstellung“des Mumok „Doppelleben. Bildende Künstler_innen machen Musik“, wie Dramaturgin und Kuratorin Christine Standfest im Gespräch mit dem Standard erläutert.
Bereits seit 35 Jahren widmet sich das sommerliche Festival jeweils den aktuellsten Strömungen zeitgenössischer Tanzkunst – ein weites Feld, obgleich sich die seit der Avantgarde der 1950er-Jahre entstandenen Fragestellungen kaleidoskopartig immer wieder neu aufsplittern.
Immer neue Verhältnisse
Da gibt es „sehr komplexe Rhythmen, wobei die tanzenden Körper nicht mehr unbedingt eine Geschichte erzählen – wir nennen das manchmal ,Tanz-Tanz‘“, erklärt Standfest lächelnd. Sie kann vorlesungsreif über Tanztheorie referieren, über die vielfältigen Tendenzen und Entwicklungen, wie sie der Modern Dance und der Postmodern Dance seit der Zusammenarbeit zwischen dem Komponisten John Cage und dem Tänzer Merce Cunningham, also seit den 1940er- und 1950er Jahren, ausgebildet hat.
Tanz und Musik entwickelten sich seit jeher gemeinsam, erst die Avantgarden des 20. Jahrhunderts jedoch haben Möglichkeiten abseits der buchstäblich ausgetretenen Wege erkundet, haben das enge Verhältnis zwischen Klang und bewegten Körpern immer wieder neu bestimmt – ein Dauerthema jeder Choreografie, die sich aus dem Korsett der klassischen Balletttraditionen befreien möchte.
Dieses Verhältnis ist auch dieses Jahr wieder „extrem vielfältig“, sagt Standfest. „Wir haben sehr unterschiedliche Stücke und Arbeiten: Einerseits gibt es Künstler, die Musik als Partitur, als Struktur ernst nehmen und ihre Choreografien aus der Auseinandersetzung damit entwickeln.“Als Beispiele nennt sie die aktuelle De-Keersmaeker-Arbeit, die sich mit den Cellosuiten von Bach auseinandersetzt, aber auch die Zusammenarbeit der Choreografin Christine Gaigg mit dem Komponisten Bernhard Lang. Oder im Verhältnis zwischen Dirigent (Sir Simon Rattle) und Tänzer bei Xavier Le Roys Le sacre du printemps.
„Anderes kommt aus der Tradition des romantischen Balletts, wenn sich der Tanz mit der Musik in bestimmter Weise mit einer Art Handlung in Verbindung setzt. Und dann gibt es Arbeiten, die sich dem Klang körperlich nähern, zumal jene, die an elektronische Musik, Noise und Techno anschließen. Der Sound kann aber auch das Erzählerische unterstützen und eher narrativ und atmosphärisch fungieren.“
Hier nennt die Dramaturgin etwa die Arbeiten von Jan Fabre, „die sehr stark den Körper thematisieren, auch den Körper in seiner Zerbrechlichkeit. Oder dieses Jahr vor allem Dorothée Munyanezas Stück Unwanted mit der Experimentalvokalistin Holland Andrews und dem Noise-Musiker Alain Mahé.“
Unglaublich vielfältig sind die Musiken, die die Projekte des aktuellen Festivals inspiriert haben: von Bach und spanischen Gesängen aus dem 16. und 17. Jahrhundert über Strawinskys Sacre bis zu experimentellem Noise, Hip-Hop und neuesten Clubsounds. Unter anderem, so Standfest, soll „ausgelotet werden, wie das Hören das Sehen beeinflusst und umgekehrt, aber auch, wie unterschiedlich sich welche Publikumsschichten von Musik und über diese von Tanz und Performance angesprochen fühlen und wie sie dies jeweils erleben und rezipieren.“
Einige der dezidiert musikalischen Arbeiten eröffnen in der ersten Woche die jeweiligen Spielstätten: das Burgtheater (Bach, De Keersmaeker mit Jean-Guihen Queyras), Mumok (Spechtl/Köck in der Ausstellung) und das Kasino am Schwarzenbergplatz (Pierre Rigal, Ofelia Ortega mit Live DJ und Ivo Dimchev).
Neben den täglichen Acts in der Festival-Lounge im Burgtheater-Vestibül gibt es in der Roten Bar des Volkstheaters zwei CD-ReleaseKonzerte heimischer Künstler: eines von den Cowbirds und eines von Simon Mayer mit den Sons of Sissy.