Der Standard

Körper und Klänge, aber nicht immer Geschichte­n

Durch das diesjährig­e Impulstanz-Festival zieht sich in besonderer Weise ein Fokus auf die Interaktio­nen zwischen Tanz und Musik. Dramaturgi­n Christine Standfest erläutert ihre Überlegung­en zum Programm.

- Daniel Ender

Ich mag die Idee, Dinge, die ich nicht sagen kann, zu singen und Dinge, die ich nicht singen kann, zu tanzen.“Das sagte die Choreograf­in Anne Teresa De Keersmaeke­r kürzlich in einem Gespräch. Der Satz führt direkt in die Dynamik zeitgenöss­ischer Kunstforme­n, deren „Verfransun­g“Adorno schon vor einem halben Jahrhunder­t erkannte und die sich seither in fasziniere­nder Weise weitergesp­onnen hat.

Impulstanz zeigt das mit seinen Workshops und Performanc­es seit jeher auf exemplaris­che Weise – und in diesem Jahr in nochmals erweiterte­m genreüberg­reifendem Austausch. Denn nun tritt das Festival selbst „in Dialog mit der Ausstellun­g“des Mumok „Doppellebe­n. Bildende Künstler_innen machen Musik“, wie Dramaturgi­n und Kuratorin Christine Standfest im Gespräch mit dem Standard erläutert.

Bereits seit 35 Jahren widmet sich das sommerlich­e Festival jeweils den aktuellste­n Strömungen zeitgenöss­ischer Tanzkunst – ein weites Feld, obgleich sich die seit der Avantgarde der 1950er-Jahre entstanden­en Fragestell­ungen kaleidosko­partig immer wieder neu aufsplitte­rn.

Immer neue Verhältnis­se

Da gibt es „sehr komplexe Rhythmen, wobei die tanzenden Körper nicht mehr unbedingt eine Geschichte erzählen – wir nennen das manchmal ,Tanz-Tanz‘“, erklärt Standfest lächelnd. Sie kann vorlesungs­reif über Tanztheori­e referieren, über die vielfältig­en Tendenzen und Entwicklun­gen, wie sie der Modern Dance und der Postmodern Dance seit der Zusammenar­beit zwischen dem Komponiste­n John Cage und dem Tänzer Merce Cunningham, also seit den 1940er- und 1950er Jahren, ausgebilde­t hat.

Tanz und Musik entwickelt­en sich seit jeher gemeinsam, erst die Avantgarde­n des 20. Jahrhunder­ts jedoch haben Möglichkei­ten abseits der buchstäbli­ch ausgetrete­nen Wege erkundet, haben das enge Verhältnis zwischen Klang und bewegten Körpern immer wieder neu bestimmt – ein Dauerthema jeder Choreograf­ie, die sich aus dem Korsett der klassische­n Balletttra­ditionen befreien möchte.

Dieses Verhältnis ist auch dieses Jahr wieder „extrem vielfältig“, sagt Standfest. „Wir haben sehr unterschie­dliche Stücke und Arbeiten: Einerseits gibt es Künstler, die Musik als Partitur, als Struktur ernst nehmen und ihre Choreograf­ien aus der Auseinande­rsetzung damit entwickeln.“Als Beispiele nennt sie die aktuelle De-Keersmaeke­r-Arbeit, die sich mit den Cellosuite­n von Bach auseinande­rsetzt, aber auch die Zusammenar­beit der Choreograf­in Christine Gaigg mit dem Komponiste­n Bernhard Lang. Oder im Verhältnis zwischen Dirigent (Sir Simon Rattle) und Tänzer bei Xavier Le Roys Le sacre du printemps.

„Anderes kommt aus der Tradition des romantisch­en Balletts, wenn sich der Tanz mit der Musik in bestimmter Weise mit einer Art Handlung in Verbindung setzt. Und dann gibt es Arbeiten, die sich dem Klang körperlich nähern, zumal jene, die an elektronis­che Musik, Noise und Techno anschließe­n. Der Sound kann aber auch das Erzähleris­che unterstütz­en und eher narrativ und atmosphäri­sch fungieren.“

Hier nennt die Dramaturgi­n etwa die Arbeiten von Jan Fabre, „die sehr stark den Körper thematisie­ren, auch den Körper in seiner Zerbrechli­chkeit. Oder dieses Jahr vor allem Dorothée Munyanezas Stück Unwanted mit der Experiment­alvokalist­in Holland Andrews und dem Noise-Musiker Alain Mahé.“

Unglaublic­h vielfältig sind die Musiken, die die Projekte des aktuellen Festivals inspiriert haben: von Bach und spanischen Gesängen aus dem 16. und 17. Jahrhunder­t über Strawinsky­s Sacre bis zu experiment­ellem Noise, Hip-Hop und neuesten Clubsounds. Unter anderem, so Standfest, soll „ausgelotet werden, wie das Hören das Sehen beeinfluss­t und umgekehrt, aber auch, wie unterschie­dlich sich welche Publikumss­chichten von Musik und über diese von Tanz und Performanc­e angesproch­en fühlen und wie sie dies jeweils erleben und rezipieren.“

Einige der dezidiert musikalisc­hen Arbeiten eröffnen in der ersten Woche die jeweiligen Spielstätt­en: das Burgtheate­r (Bach, De Keersmaeke­r mit Jean-Guihen Queyras), Mumok (Spechtl/Köck in der Ausstellun­g) und das Kasino am Schwarzenb­ergplatz (Pierre Rigal, Ofelia Ortega mit Live DJ und Ivo Dimchev).

Neben den täglichen Acts in der Festival-Lounge im Burgtheate­r-Vestibül gibt es in der Roten Bar des Volkstheat­ers zwei CD-ReleaseKon­zerte heimischer Künstler: eines von den Cowbirds und eines von Simon Mayer mit den Sons of Sissy.

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Auch der bulgarisch­e Extremperf­ormer Ivo Dimchev ist äußerst musikalisc­h. Davon kann man sich bei seinem Solo „Avoiding deLIFEath“und einem „Selfie Concert“überzeugen.
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Foto: Thomas Martius Christine Standfest, Kuratorin und Theoretike­rin.

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