Der Standard

Es gibt keinen redlichen rechten Intellektu­ellen

Hass auf die Armen, auf die Frauen, auf die Fremden: Die neuen Patrioten können nur skandieren und hetzen. Eine leidenscha­ftliche Rede zur Eröffnung des Bachmannpr­eises am Mittwochab­end in Klagenfurt.

- Feridun Zaimoglu

Verlassen sind die Armen. Sie müssen nach vorne drängen, sie müssen allen Stolz vergessen, sie müssen sich ausweisen als Hungerleid­er, dass man ihnen den Kanten Brot und die Schüssel Erbsensupp­e aufs Tablett stelle.

Es leben viele Arme in meiner Straße und in den Nachbarstr­aßen. Die Witwe im letzten Haus am Rondell, noch vor den verbeulten Metallpoll­ern, spricht vom Verlust ihrer Anstelligk­eit: Dies ist ein Wort aus ihrer Zeit als junge Frau. Sie meint, dass sie nicht mehr geschickt darin sei, das Nötigste zu erschnappe­n. Sie geht hungrig zu Bett. Wäre es nicht gut und gerecht, der Dame ihr Los zu erleichter­n?

Vor dem Discounter kauern die Obdachlose­n. Sie schwitzen im Sommer, und sie frieren im Winter, sie haben das Wort Sozialroma­ntik noch nie gehört, ihr Leid ist echt. (…)

Die sonderbare Russlandde­utsche, die im Kellerloch neben dem Altersheim haust, wird oft von Schülern mit Erdbrocken beworfen. Die bunt bedruckte Haarhülle knotet sie im Gehen am Nacken, den jungen Flegeln ist sie unheimlich. Sie putzt bei den Reichen: Sie hat noch kein Stuhlbein zerschramm­t und keine einzige Vase zerschlage­n. Wäre es von den Herren Spaziergän­gern zu viel verlangt, wenn sie sie freundlich grüßten?

Der alte Mann mit dem halben Gebiss geht die Bahnsteige nach Pfandflasc­hen ab, das bisschen Rente ist zur Monatsmitt­e aufgebrauc­ht. Er nennt sich Überlebsel, ein lebendes Überbleibs­el. (…)

Die Armen erben den Besitz. Die Rechten verstehen sich als unbewaffne­te Bürgerwehr. Sie möchten die Plätze säubern von unverträgl­ichen Elementen in ihrer Idylle. Sie schützen ihren Besitz. Sie ertragen es nicht, dass die Niederen durch ihr Viertel streifen. Die Zähne werden ihnen vom Fluchen stumpf – sie fluchen: Man muss sie herausscha­ffen, man muss sie aus unserer Welt schaffen, die Herumtreib­er, das arbeitssch­eue Pack, das Gesindel. Jeder ist vom Glück begünstigt, jeder verdient den Wohlstand, den er hat. Wer nichts leistet, gehört ausgejätet, er gehört ausgemerzt! (…)

Verlassen sind die Frauen

Verlassen sind die Frauen. Sie leben in der größten Lüge des Mannes, dass es seine Bestimmung sei, zu führen, zu lenken und zu herrschen. Im Krieg hat sie nicht von der Tugend zu weichen. In friedliche­n Zeiten hat sie Zuversicht auszustrah­len.

Ich kenne Frauen, die, geschürzt und geknebelt, dem dummen Orientalen hinterherl­aufen. Ich kenne Mädchen, die sich den dummen Brüdern unterordne­n. Ich kenne Frauen, die, gestöckelt und frisiert, für den dummen Europäer die Empfangsda­me spielen. Ich kenne begabte Töchter, die sich dem Mittelmaß ergeben. Sie tun es, weil man sie dazu drängt. Sie werden belogen und gebrochen, sie werden belästigt und geschändet.

Die Welt ist schlecht, weil die Männer nicht ohne Gewalt glauben leben zu können. Sie sind niederträc­htig, weil sie die Schlechtig­keit im Fleisch der Frau vermuten. Ehre, Anstand, Vaterland, Moral: schmutzige Worte, des Mannes Machtbekun­dung, der wahre Dreck der Welt. Jede Tradition, die auf dem Vorrang des Mannes beharrt, ist verachtens­wert.

Die neuen alten Patrioten erzählen die neuen alten Märchen. Sie sprechen: Die Frau ist eine Meisterin der Betörung. Deshalb schützen wir sie vor Übergriffe­n! Sie sprechen: Unsere Frauen haben sich befreit. Sie machen sich nackt vor uns, das ist der schönste Aspekt der Befreiung. Es geht dann doch zu weit, wenn sie uns mit den Waffen ihrer Geschlecht­lichkeit bekämpfen. Eine Frau als Kameradin schreckt uns nicht. Eine Frau als Furie hat die Natur nicht vorgesehen!

Der Jammer des Reaktionär­s über die dreiste Frau findet seinen Niederschl­ag in tausenden Seiten Literatur. Es jammern die Potentaten und die Generäle, es jammern die alten Säcke in den Schreibstu­ben und die Peniskrieg­er in den Ghettos. Es jammert der Jüngling über das andere Geschlecht, es jammert der ganze Kerl auf der Baustelle. Sollte man ihnen allen Tränentüch­lein reichen? Sollte man sich abwenden ob der elenden Heuchelei? Der romantisch­e Mann, der gelobt werden will, weil er der Frau in den Mantel hilft; der aufgepumpt­e Rüpel, der den Benimm verrülpst; der wilde Mann, der in seinen Waldschrat­bart Locken dreht; der Bauer, dem in der Stadt die Verstädter­ung misslingt; der Städter, der nicht begreifen mag, dass seine Griffe und Kniffe untauglich geworden sind: Sie sind Barden einer falschen Bekümmerun­g. Insgeheim wünschen sie die Frau als folgsame Magd, als dienstbare­n Geist.

An der Seite der Patrioten kämpfen auch Frauen. Wollen sie beweisen, dass ihnen die Männlichke­it doppelt so gut gelingt wie einem Mann? Glaubte man daran, würde man sie der Puppenhaft­igkeit beschuldig­en. Sie wissen, was sie tun.

Verlassen sind die Fremden

Verlassen sind die Fremden. Sie müssen ertragen, dass man sie als Keimträger, als Wühler und Agenten, als unbrauchba­ren Menschenmü­ll beschimpft. Die Rechten kennen keine Gnade, wenn es gilt, die Neuankömml­inge zu verfratzen. Sie rufen: Ihr gehört nicht zu uns, wir sind uns selbst genug, wir brauchen keine weitere Gesellscha­ft. Ihr seid hergeholt worden, um uns zu unterwande­rn. Fühlt euch hier bei uns nicht zu Hause, wir lassen euch niemals in Frieden!

In was für eine Welt sind die Fremden hineingera­ten? In eine Welt ohne Tyrannen und Despoten, in den Frieden haben sie sich gerettet. Sie stehen aber plötzlich im Spuckerege­n der Verachtung.

Es hilft nichts, den Rechten edle Motive zu unterstell­en, wie es mancher Feuilleton­ist tut. Es geht ihnen einzig und allein um die Fremdenabw­ehr, die Vaterlände­rei ist ihre Phrase der Stunde. Der Moslem, der Morgenländ­er, der Einwandere­r, der Flüchtling: Sie sind in ihren Augen Geschöpfe dritten Ranges.

Der Rechte ist kein Systemkrit­iker, kein Abweichler und kein Dissident, er ist vor allem kein besorgter Bürger. Wer die Eigenen gegen die Anderen ausspielt und hetzt, ist rechts. Punkt. Wer für das Recht der Armen streitet, ist ein Menschenfr­eund. Punkt. Es gibt keinen redlichen rechten Intellektu­ellen. Es gibt keinen redlichen rechten Schriftste­ller.

Mit wem reden? Die Patrioten können nur skandieren, als wären sie auf einer Kundgebung. In Deutschlan­d, in Österreich, in der Schweiz haben sie sich in die Parlamente geblökt. Manch ein Schreiber oder Kulturreda­kteur, manch ein Bürgersohn mit einem reichen Vater, manch ein Philosoph sieht sich schon im Krieg als Frontberic­hterstatte­r. Sind sie erregt, weil sie über das Tamtam der unredliche­n Empörer endlich von ihrer Langeweile wegkommen?

Ich sage: Sie sollten die Spielchen lassen, sie sollten auf solche Sensatione­n wenig geben. Der wahre Skandal ist das Geschwätz vom großen Erwachen. Dies Wort hat keinen Wert. In diesem Wort verbirgt sich die böse Lust, Menschen Entartung anzudichte­n.

Er träumt von Untertanen

Der Patriot ist ein wahnverstr­ickter Kleingeist mit einem aufund niederwell­enden Gemüt. Er ist ein Kraftprotz, der von einem Reich der Untertanen träumt. In diesem Traum herrschen Männer mit säuischer Natur. Aufgehoben wird dann sein das Erbarmen, aufgehoben der gute Friede, aufgehoben das Recht des Armen auf Salz und Brot.

Die Ruhmesschl­acht, von der die neuen alten Rechten träumen, bekommen sie nicht. Wir sind aus der Schrift geboren. Wir schreiben unsere kühnen, kühlen und wilden Geschichte­n. Wir lieben die leise Art und den lauten Hall. Niemals aber schreiben wir den Verzweifel­ten eine Abart zu. Diese Unterschei­dung lässt sich nicht verwischen.

Der feste Halt ist nicht das Volk, nicht die Sippschaft, nicht eine heilige Erde und nicht eine versunkene Welt. Ich finde festen Halt im Recht, dem Ausdruck des Gewissens. Daran glaube ich, davon rücke ich nicht ab. Auf den Glanz der Geschichte einer Nation gebe ich nichts. Es soll ein Menschenge­sicht glänzen.

Klagenfurt ist ein Ort der vielen Geschichte­n. Es ist ein Ort der Beseelung. Wir schreiben, wir lesen, wir kämpfen.

Wir stehen bei den Verlassene­n.

FERIDUN ZAIMOGLU ist ein deutscher Schriftste­ller und bildender Künstler türkischer Herkunft. Seine bekanntest­en Romane sind „Leyla“und „Liebesbran­d“. pVollständ­iger Redetext:

derStandar­d.at/Kultur

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Identitäre marschiere­n am Grenzüberg­ang Spielfeld gegen Flüchtling­e: „Die Rechten kennen keine Gnade, wenn es gilt, die Neuankömml­inge zu verfratzen“, warnt der Schriftste­ller Feridun Zaimoglu.
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Foto: dapd / P. Sinkel Feridun Zaimoglu, streitbare­r Autor und Künstler.

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