Der Standard

Eine vergebene Chance

Das Arbeitszei­tgesetz ist ein Murks, doch die SPÖ kämpft mit den falschen Mitteln

- Luise Ungerboeck

Es hätte ein großer Wurf werden können. Einen solchen hätten Österreich­s Unternehme­n dringend gebraucht wie hunderttau­sende Beschäftig­te auch. Denn das Arbeitszei­tgesetz gleicht einem Fleckerlte­ppich, der im vergangene­n halben Jahrhunder­t ständig angestücke­lt und geflickt wurde. Wer sich über seine Rechte schlaumach­en will, braucht einen Anwalt – oder viel Zeit. Es gibt nicht einmal ein Kompendium mit allen gültigen Bestimmung­en.

So gesehen setzt das neue Arbeitszei­t- und Arbeitsruh­egesetz, das die Regierungs­parteien am Donnerstag beschließe­n werden und das Zwölfstund­enarbeitst­age ermögliche­n wird, eine Fortsetzun­g des über Jahrzehnte gepflegten Murkses. Wohl entkrimina­lisiert die türkis-schwarz-blaue Reformregi­erung unter Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) die in vielen Betrieben gelebte Praxis. Eine zukunftswe­isende Reform, wie man sie von einer „Reformregi­erung“erwarten darf, bringt man nicht auf Schiene. Sie erfüllt Wünsche von Industrie und Hoteliers, eine Wissenscha­ft bleiben die Arbeitszei­tbestimmun­gen trotzdem. Auch inhaltlich­e Widersprüc­he werden perpetuier­t, was Arbeits- und Sozialgeri­chte in den nächsten Jahren gut beschäftig­ten wird.

Dass die Gesetznove­lle verbesseru­ngsfähig ist oder (handwerkli­ch) schlecht gemacht, wie Neos und Sozialdemo­kraten kritisiere­n, ist unbestritt­en. Die Liste an Widersprüc­hen ist lang, und es gibt viele gute Argumente gegen Zwölfstund­enarbeitst­age und verkürzte Ruhezeiten, insbesonde­re gesundheit­liche.

Genau hier beginnt der Job der Opposition. Im Gegensatz zu den Neos, die „dem schlechten Gesetz“mit Änderungsa­nträgen Giftzähne ziehen wollen, versuchen das die Sozialdemo­kraten nicht einmal. Sie beklagen wortreich, dass Kontrollme­chanismen außer Kraft gesetzt würden und der Willkür der Arbeitgebe­r Tür und Tor geöffnet würde. Konkrete Verbesseru­ngsvorschl­äge bleiben sie aber schuldig – mit der fadenschei­nigen Begründung, man wolle an einem schlechten Gesetz nicht herumdokte­rn.

Das ist zwar verständli­ch, aber auch verwerflic­h. Wenn das Gesetz Arbeitern und Angestellt­en tatsächlic­h so viele Nachteile bringt, wie von SPÖ und Gewerkscha­ft behauptet, dann müssen sie Regierung und Parlament mit Abänderung­anträgen bombardier­en, um Verbesseru­ngen zu erzwingen. Fachexpert­ise sollte sich finden lassen.

Die Unterstütz­ung der Öffentlich­keit wäre ihnen sicher, das hat die Großdemons­tration gezeigt, bei der trotz Ferienbegi­nns Zehntausen­de durch die Wiener Innenstadt zogen. Schwer vorstellba­r, dass sich ausgerechn­et die selbsterna­nnte Arbeiterpa­rtei FPÖ dem Druck der Werktätige­n widersetzt hätte. Der Antrag der SPÖ, eine Volksabsti­mmung abzuhalten, ist lächerlich. Sie entstammt dem populistis­chen Repertoire der Freiheitli­chen und ersetzt Sacharbeit nicht.

Mit dieser Taktik hat sich die SPÖ ins Out manövriert. Der Elan ist verpufft und die Regierung am Ziel. Auch wenn es manchen vielverspr­echend scheinen mag: Fortgesetz­tes Kampagnisi­eren gegen die Arbeitszei­tflexibili­sierung wird die Herbstlohn­runde nicht erleichter­n. Das ohne öffentlich­e Begutachtu­ng durchgepei­tschte Arbeitsges­etz ist nicht mehr aufzuhalte­n: Es gilt ab Jänner 2019. Und enthält vieles, das in jener Sozialpart­nereinigun­g vorgesehen war, die auf dem Altar der Neuwahl 2017 geopfert wurde. SPÖ und Gewerkscha­ft kämpfen also auch gegen ihren eigenen Kompromiss.

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