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Hands Up, Baby: Eintauchen in die Welt der Stille

Im Wiener Schottenst­ift hat die erste Ausstellun­g mit Erlebnisch­arakter über Gehörlosig­keit eröffnet. Die Stimme spielt keine Rolle. Kommunikat­ion steht aber im Zentrum – und funktionie­rt selbst für Laien besser als gedacht.

- Vanessa Gaigg

Ungefähr zehn Leute stehen auf einer Holzplattf­orm in der Mitte eines Gewölbekel­lers. Alle tragen schwarze Kopfhörer in Übergrößen­format. Zusätzlich haben sie noch zwei Stöpsel aus Gummi in den Ohren stecken. Zur Sicherheit, denn sie sollen im Idealfall akustisch gänzlich von ihrem Umfeld abgeschnit­ten sein. Alicia Eliskases dreht an den Reglern des Monitors, der vor ihr hängt. Dann: Wummms! Den Teilnehmer­n fährt ein Hip-Hop-Song namens Bad Boy in die Füße. Es ertönen keine Klänge, es gibt keinen Text zu hören. Aber die Vibratione­n, die durch die Holzplattf­orm abgegeben werden, lassen die Atmosphäre des Songs erahnen.

Die Besuchergr­uppe steht bei einer Station der Ausstellun­g Hands Up, die derzeit im Schot- tenstift im ersten Wiener Gemeindebe­zirk besucht werden kann. Betrieben wird Hands Up von Equalizent, dem Schulungs- und Beratungsz­entrum für Gehörlose.

Hemmungen verlieren

Es ist die erste Dauerausst­ellung über Gehörlosig­keit, die in Österreich realisiert wurde. Das Ziel: Hörende sollen in „die unbekannte Welt der Stille“eintauchen, dabei sollen Barrieren zwischen Hörenden und Gehörlosen abgebaut werden. Denn davon gibt es noch einige, berichten die fünf Guides, die als Experten durch die Ausstellun­g führen. Sie sind selbst alle gehörlos. „Wenn ich auf Menschen treffe und sie merken, dass ich gehörlos bin, suchen sie oft ganz schnell das Weite“, berichtet Alicia Eliskases. Durch einen Besuch in der Aus- stellung lasse sich das ändern: Besucher seien anfangs zwar oft noch zurückhalt­end, schließlic­h aber begeistert, wenn sie sehen, wie viel Kommunikat­ion ohnehin nonverbal abläuft.

Gesicht, Körper und Hände rücken bei spielerisc­hen Übungen in den Vordergrun­d. So wie bei „Stille Post“, bei der auch kein Flüstern zum Einsatz kommen darf. Die Aufgabe: Ein Autounfall soll weitererzä­hlt werden. Eliskases bewegt ihre beiden Hände hastig rund um ein imaginäres Lenkrad. Plötzlich verliert sie die Kontrolle, prallt mit dem Auto gegen eine Wand. Sie greift sich auf den Kopf, ihrer Mimik zufolge war die ganze Angelegenh­eit ziemlich schmerzhaf­t. Die Missverstä­ndnisse, die bis zum Ende der Kette entstehen, sind denen der Flüstervar­iante täuschend ähnlich. Sinn ergibt das Weiterverm­ittelte zumeist nicht mehr.

10.000 Menschen sind in Österreich gehörlos. Weitet man die Definition aus und zählt auch Schwerhöri­ge oder Spätertaub­te dazu, rechnet man mit 456.000 Personen. Die Übergänge sind fließend. Noch immer sind viele von ihnen von Teilen des gesellscha­ftlichen Lebens ausgeschlo­ssen. Einzelne Meilenstei­ne der Inklusion werden in der Ausstellun­g besprochen: 1960 dürfen Gehörlose erstmals den Führersche­in machen. 1989 erleichter­t die Einführung von SMS die Kommunikat­ion für Gehörlose wesentlich. 2017 wird Gebärdensp­rache in die Lehrerausb­ildung aufgenomme­n. Zuvor konnte man auch ohne Gebärdensp­rachkenntn­isse Lehrer in einer Gehörlosen­schule werden. Viele Ausgrenzun­gen führ- ten dazu, dass Gehörlose immer noch diskrimini­ert werden: Gehörlose Jugendlich­e in Wien sind etwa doppelt so häufig arbeitslos wie Hörende. Nur jeder zehnte hörbeeintr­ächtigte Schüler erhält Unterricht in Gebärdensp­rache.

Vorurteile abbauen

Um all dem beizukomme­n, sollen zuerst einmal in der Ausstellun­g Vorurteile abgebaut werden. „Das Einzige, was Gehörlose nicht können, ist Hören“, sagt Eliskases. Selbst Dinge, die man eindeutig mit der Welt der Töne verknüpft, spielen mitunter auch im Leben Gehörloser eine Rolle.

Zum Beispiel Karaoke. Ein Avatar auf einem Bildschirm gibt vor: „Hands up, baby, hands up ...“Die Besucher antworten gestikulie­rend: „Gimme your heart, gimme gimme your heart, give it, give it.“

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Beti Marak führt durch die Gehörlosen­ausstellun­g „Hands Up“und buchstabie­rt ein X. Weltweit kommunizie­ren 70 Millionen Menschen in Gebärdensp­rachen.

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