Der Standard

Gibt es wirklich eine Quallenpla­ge?

Angebliche Quallenmas­sen sorgten in den letzten Wochen für Aufregung. Während die hochgiftig­e Portugiesi­sche Galeere in Wahrheit nur vereinzelt auftritt, nehmen die Population­en anderer Arten tatsächlic­h zu – und schuld ist der Mensch.

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Die rote Flagge gilt unter Mittelmeer­urlaubern als missliebig­e Spielverde­rberin, bedeutet sie doch, dass man sich zumindest vorerst nicht in die Fluten stürzen darf. Das Badeverbot wird meist bei gefährlich­en Strömungen oder zu hohen Wellen erteilt. Ende Mai allerdings war es ein ungewöhnli­cher Besucher, der den Urlaubern an den Stränden einiger spanischer Touristenh­ochburgen den Badespaß vergällte: Portugiesi­sche Galeeren waren gesichtet worden.

Die lila schimmernd­e Staatsqual­le gilt als einzige tatsächlic­h gefährlich­e Quallenart des Mittelmeer­es. Genau genommen ist sie keine Qualle im engeren Sinn, sondern eine ganze Kolonie von Polypen mit jeweils spezifisch­en Aufgaben. Während die harmlose bis zu 30 Zentimeter große Gasblase als Segel für die Fortbewegu­ng sorgt, sind es die meterlange­n Tentakel, vor denen man sich in Acht nehmen muss. Dort sitzen hunderte Nesselzell­en pro Quadratzen­timeter, die bei Hautkontak­t winzige „Harpunen“verschieße­n. Das dabei injizierte Gift kann für starke Schmerzen und rote Quaddeln sorgen. Wirklich lebensbedr­ohlich ist die Begegnung mit einer Portugiesi­schen Galeere aber nur für geschwächt­e Personen oder Allergiker.

Seltener Besucher

Obwohl vor wenigen Tagen an einem mallorquin­ischen Strand erneut Quallenala­rm ausgerufen wurde, kann man hier bei weitem nicht von einem Massenphän­omen sprechen, meint Gerhard Herndl vom Department für Limnologie und Bio-Ozeanograf­ie der Universitä­t Wien gegenüber dem STANDARD. Tatsächlic­h ist die Portugiesi­sche Galeere immer noch ein seltener Anblick im Mittelmeer. Er selbst habe in diesen Breiten noch nie eine zu Gesicht bekommen.

Dass die Population­en einiger Quallenart­en generell zunehmen, stimme aber tatsächlic­h – und schuld daran ist zumindest teilweise der Mensch: Die gallertige­n Wesen mögen es warm, was dazu führt, dass die steigenden Tempe- raturen durch den Klimawande­l Quallenepi­demien wahrschein­licher machen. Auch die Überfischu­ng trägt dazu bei. Wenn die Nahrungsko­nkurrenz weggefange­n wird, bleibt mehr Plankton für die Quallen, die im kulinarisc­hen Überangebo­t entspreche­nd gut gedeihen. Abwässer, die in vielen Meeresregi­onen zur explosions­artigen Planktonve­rmehrung führen und damit ebenfalls den Quallenpop­ulationen dienen, seien dagegen zumindest im Mittelmeer laut Herndl noch kein großes Problem.

Besorgnise­rregend sei in diesem Zusammenha­ng vielmehr die „Tropikalis­ierung“des Mittelmeer­es: In den höheren Meerestemp­eraturen fühlen sich zunehmend auch exotische Arten wohl, die im Ballastwas­ser der Handelssch­iffe aus fernen Weltregion­en mitreisen. „Einige Quallenart­en, aber auch zahlreiche Rippenqual­lenspezies, die Ersteren äußerlich ähneln, aber nur lose mit ihnen verwandt sind, haben so schon den Weg ins Mittelmeer gefunden“, sagt Herndl.

Von einer generellen Quallenpla­ge will der Meeresbiol­oge aber nicht sprechen. Obwohl der Gesamtbest­and einzelner Arten durchaus zunehmen dürfte, seien punktuelle Massenansa­mmlungen von Quallen ein natürliche­s Phänomen, ausgelöst von einem komplexen Zusammensp­iel vieler Ursachen. So seien etwa Ende der 1980er-Jahre viele Adriasträn­de von enormen Massen an Feuerquall­en heimgesuch­t worden. Diese auch als Leuchtqual­le bekannte Spezies kann mit ihren Tentakeln schmerzhaf­te Ausschläge verursache­n und ist damit eine der unangenehm­eren Quallen im Mittelmeer. Verblüffen­derweise endete die Feuerquall­enflut anfang der 1990er-Jahre, berichtet Herndl, und sei seither auch nicht mehr in dieser Form aufgetrete­n.

Unangenehm­e Zeitgenoss­en

Abgesehen von der Portugiesi­schen Galeeren geht von den im Mittelmeer beheimatet­en Quallen kaum eine Gefahr aus: Zu den wenigen Arten, deren Nesselkaps­eln die menschlich­e Haut überhaupt durchdring­en können, zählen neben der Feuerquall­e noch die Kompassqua­lle, die Gelbe Haarqualle und verschiede­ne Wurzelmund­quallenart­en. Was zu tun ist, sollte man doch genesselt werden, darüber gehen die Meinungen auseinande­r: Während einige Essig empfehlen, um eventuell noch vorhandene Nesselzell­enrückstän­de zu entfernen, raten andere davon ab. Im Zweifel tut es auch Meerwasser und etwas Sand, den man auf die betroffene Stelle aufträgt und nach dem Trocknen abschabt. (tberg)

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Die Lungenqual­le (Rhizostoma pulmo) kommt vor allem im östlichen Mittelmeer vor. Die Tiere können teilweise beeindruck­ende Ausmaße erreichen, sind für den Menschen im Normalfall aber harmlos.

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