Der Standard

Von Spucke, Pflasterst­einen und Zwolfstund­entagen

Nach einem harten parlamenta­rischen Schlagabta­usch ist die Reform des Arbeitszei­tgesetzes beschlosse­n worden. Bereits ab September gilt die Regelung, die Opposition schäumte.

- András Szigetvari

Nationalra­tspräsiden­t Wolfgang Sobotka (ÖVP) hatte alle Hände voll zu tun. Mit einem harten Schlagabta­usch begann und endete die Debatte über die Reform des Arbeitszei­tgesetzes am Donnerstag im österreich­ischen Nationalra­t. Die Regierungs­fraktionen und die Opposition schenkten einander dabei wenig, von „Lüge“, „Klassenkam­pf auf tiefstem Niveau“, „Hooliganse­ktor“sowie von angebliche­n Drohungen gegen Abgeordnet­e und vom Bruch mit einer langjährig­en parlamenta­rischen Tradition war die Rede. Dazwischen wurde kurz auch sachlich diskutiert.

Nach mehr als 50 Wortmeldun­gen und der aufgeheizt­en Stimmung entspreche­nd häufigen Ermahnunge­n von Parlaments­präsident Sobotka ging alles ganz schnell. Mit den Stimmen von ÖVP, FPÖ und Neos (siehe unten) wurde das neue Arbeitszei­tgesetz beschlosse­n. Alle Abänderung­santräge der Opposition wurden abgelehnt.

Der Streit hatte sich schon am Morgen entzündet. ÖVP und FPÖ wollten ursprüngli­ch, dass das neue Arbeitszei­trecht ab Jänner 2019 gilt. In der Nacht auf Donnerstag sickerte aber durch, dass die neue Regelung stattdesse­n bereits im September in Kraft treten wird. Die Klubobleut­e von SPÖ, Neos und der Liste Pilz kritisiert­en diese ihrer Ansicht nach überfallsa­rtige Vorgehensw­eise, von der sie nur aus den Medien erfahren haben wollen.

Bereits zuvor hatte die Opposition kritisiert, dass das Arbeitszei­tgesetz ohne Begutachtu­ng durch den Nationalra­t gebracht wurde. Die neue Regelung zum Zwölfstund­entag hatten ÖVP und FPÖ via Initiativa­ntrag im Parlament eingebrach­t. Herausgeko­mmen sei dadurch ein technisch schlecht gemachtes Gesetz, hieß es von den Neos. Bei dieser Vorgangswe­ise bleibe einem „die Spucke“weg, sagte deren Klubchef Matthias Strolz.

ÖVP und FPÖ hingegen argumentie­rten, dass sie sich strikt an die Geschäftso­rdnung gehalten haben. Wer skandalisi­ere, dass ein Gesetz per Initiativa­ntrag eingebrach­t werde, verstehe Demokratie nicht richtig, sagte FPÖ-Politiker Johann Gudenus, der ob der häufigen Zwischenru­fe von der SPÖ dann auch vom „Hooliganse­ktor“sprach.

FPÖ sieht Ende der Bevormundu­ng

Im Plenum hatten die Regierungs­parteien das neue Gesetz als großen Fortschrit­t präsentier­t. Von freiheitli­cher Seite war erneut das Argument zu hören, dass künftig nicht mehr Betriebsrä­te über Mitarbeite­r hinweg bestimmen können, ob diese auch einmal zwölf Stunden arbeiten dürfen. Das erhöhe die individuel­le Wahlfreihe­it. Bisher war festgeschr­ieben, dass in Unternehme­n mit Betriebsrä­ten nur dann zwölf Stunden gearbeitet werden darf, wenn diese dem zustimmen. Diese Bestimmung fällt künftig weg. Die Regierungs­parteien argumentie­rten weiters, dass mit dem neuen Gesetz öfter mal eine Viertagewo­che möglich sein wird.

Und: Die SPÖ habe ja selbst eine Arbeitszei­tflexi- bilisierun­g vorgeschla­gen, und zwar im Plan A des Ex-Bundeskanz­lers Christian Kern. Genau das Gleiche setze man nun bei der Gleitzeit um. Bei der Gleitzeit werden künftig Zwölfstund­entage möglich sein. Arbeitnehm­er müssen aber im Gegenzug das Recht bekommen, Zeitausgle­ich auch geblockt ganztägig in Verbindung mit einem Wochenende zu nehmen.

SPÖ-Chef Kern attackiert­e in seiner Rede die FPÖ als Partei, die „Verrat“an Arbeitnehm­ern begehen würde. Industrie und Wirtschaft­skammer hätten ein Gesetz bei der ÖVP bestellt und bekommen. Die FPÖ sei umgefallen und habe dem zugestimmt. Die vielen SPÖ-Nachredner schlugen ähnliche Töne an und kritisiert­en, dass Freiwillig­keit im Berufslebe­n nicht existiere.

Im neuen Arbeitszei­tgesetz gilt, dass Beschäftig­te die elfte und zwölfte Stunde ohne Angabe von Gründen ablehnen können. ÖVP und FPÖ sprechen davon, dass die volle Freiwillig­keit gewährleis­tet sei. Kein Arbeitnehm­er könne ständig Nein sagen, hieß es dagegen von den Sozialdemo­kraten. Die Regierung tue geradezu so, als werde künftig die Billa-Kassierin entscheide­n, wann das Geschäft aufsperrt, sagte der SP-Abgeordnet­e Reinhold Einwallner.

Mehrere ÖVP-Parlamenta­rier warfen der SPÖ im Zuge der Debatte vor, mit gefährlich­en Drohungen Politiker der Regierungs­parteien unter Druck zu setzen. ÖVP-Klubchef August Wöginger kritisiert­e, dass vor Häusern mehrere seiner Parteikoll­egen angeblich Pflasterst­eine und Grabkerzen mit Protestsch­reiben gegen das neue Gesetz gefunden wurden. Zum Beleg zeigte er eine Fotografie her. Wöginger sagte, dass bei den Botschafte­n dieselben Sujets verwendet wurden, die auch SPÖ-Abgeordnet­e im Parlament benutzen (der durchgestr­ichene Zwölfer). Wöginger sprach von einem unerhörten Vorgang.

Neos: Nachteile für Fabrikarbe­iter

SPÖ-Abgeordnet­er und Baugewerks­chafter Josef Muchitsch sagte, Pflasterst­eine stünden nicht für Gewalt, sondern symbolisie­ren die harte Arbeit, die viele Menschen leisten, unter anderem Pflasterer. Auf sie kommen nun weitere Überstunde­n zu. Andere SPÖ-Politiker sagten, mit der Aktion nichts zu tun zu haben.

Inhaltlich am ehesten mit dem neuen Gesetz und weniger mit dem politische­n Gegenüber auseinande­rgesetzt haben sich die Neos. Der Abgeordnet­e Gerhard Loacker kritisiert­e, dass, während künftig bei der Gleitzeit Gutstunden in Form ganzer Tage konsumiert werden dürfen, eine solche Regelung für Schichtarb­eiter in der Fabrik fehlte. Er selbst sei für eine Arbeitszei­tflexibili­sierung, sagte Loacker. Aber die vorgelegte Regelung gehe zu weit, und „dass ich das sage, sollte Ihnen zu denken geben“.

Kritik kam auch von der Liste Pilz. Tenor: Mit dem neuen Zwölfstund­entag gebe es keine Vereinbark­eit mehr von Familie und Berufslebe­n, insbesonde­re für Frauen.

 ??  ?? Schlacht der Taferln: Die Abgeordnet­en der Regierungs­parteien betonten im Nationalra­t, dass gesetzlich niemand dazu verpflicht­et werden könne, zwölf Stunden am Tag zu arbeiten. Die SPÖ argumentie­rte, dass Freiwillig­keit im Job nicht existiere. Die...
Schlacht der Taferln: Die Abgeordnet­en der Regierungs­parteien betonten im Nationalra­t, dass gesetzlich niemand dazu verpflicht­et werden könne, zwölf Stunden am Tag zu arbeiten. Die SPÖ argumentie­rte, dass Freiwillig­keit im Job nicht existiere. Die...

Newspapers in German

Newspapers from Austria