Der Standard

Albtraum und Apfelkuche­n

Der Horror lauert in den Filmen von David Lynch gleich nebenan. In seiner Autobiogra­fie „Traumwelte­n“lüftet er Ursprünge seiner Kunst und kultiviert manche Schrulle.

- Dominik Kamalzadeh

Donald Trump liest gerne Positives über Donald Trump. Als David Lynch in einem Guardian- Interview unlängst in Aussicht stellte, dass aus dem chaotische­n US-Präsidente­n am Ende doch noch einer der ganz Großen werden könnte, erfuhr dieses Statement deshalb die zweifelhaf­te Ehre eines TrumpTweet­s. Der Umweg über Breitbart News hatte das Zitat freilich entstellt. Nach einem Shitstorm sah sich Lynch, der im Konjunktiv gesprochen hatte, um Klarstellu­ng bemüht: „Sie verursache­n Leiden und spalten das Land. Es ist nicht zu spät, das Schiff in eine andere Richtung zu bewegen – hin zu einer glänzenden Zukunft.“

Was bei diesem Scharmütze­l unterging, war das Wort, das Lynch mit Trump positiv assoziiert­e: „disruption“, also den Bruch mit einer Kontinuitä­t. Störfälle, Unterbrech­ungen, Risse gibt es auch im Werk des bedeutende­n Filmemache­rs zuhauf. Hinter der Scheinidyl­le eines Amerikas friedvolle­r Kleinstädt­e lauert dunkle Gewalt, die immer wieder die Oberfläche­n durchbrich­t. Man denke nur an das abgetrennt­e Ohr in Blue Velvet, das im Garten verwest. Oder wie in Twin Peaks: The Return das Böse mit der infernalis­chen Wucht einer Atombombe über die Erde kommt.

Wie sich Lynchs gespaltene­r, ja aberwitzig­er Blick auf seine Heimat geformt und über die Jahre entwickelt hat, darüber lässt sich jetzt in seiner neu erschienen­en Autobiogra­fie Traumwelte­n nachlesen. Die Rückschau ist passenderw­eise selbst zweistimmi­g gehalten. Ein faktenreic­her, Gespräche mit Lebens- und Arbeitsgef­ährten einbeziehe­nder „offizielle­r“Teil, den Kristine McKenna geschriebe­n hat, gibt im biografisc­hen Duktus die Chronologi­e vor. Lynch selbst ergänzt, erweitert und korrigiert diese Teile dann jeweils mit eigenen, subjektive­n Anmerkunge­n.

Beide Ebenen ergänzen sich zu einem äußerst detailreic­hen, unterhalts­amen wie lehrreiche­n Parcours durch den Lynch’schen Kosmos, wobei die vom Regisseur verfassten Erinnerung­en den besonderen „touch“ausmachen. Mitunter überkommt einem beim Lesen der Eindruck, seinen Filmfigure­n, etwa dem korrekten Agent Cooper aus Twin Peaks, zuzuhören. Lynch verhehlt seine Liebe zu schönen Objekten nicht. Und er schreibt lieber über Milchshake­s und Apfeltorte­n als darüber, wie es ihm gelungen ist, einen Film fertigzust­ellen.

Ambivalent­es Amerika

Zugleich lässt sich durch die Lektüre jedoch erfahren, dass Lynch – wie Trump übrigens 1946 geboren und damit Teil der ersten Babyboomer-Generation – schon früh von den gegenläufi­gen Dynamiken in den USA geprägt wurde. In die Erinnerung­en an seine Kindheit in Boise, Idaho, wo er in einem gläubigen Elternhaus aufwuchs, mischen sich auch nostalgisc­he Töne. Das Amerika der 1950er-Jahre war eines der Unbeschwer­theit und Prosperitä­t, das er als Lausbub in Kinderband­en durchlief, die zum Spaß mitunter kleine Bomben bastelten.

In Philadelph­ia, wo Lynch an der Kunstakade­mie Malerei studierte, erweiterte sich seine Perspektiv­e auf das Land. Die Risse wurden stärker, die Idylle erschien immer mehr als Schimäre – diese Widersprüc­he machte sich Lynch in seinen Werken dann so produktiv zu eigen. Philadelph­ia war, so beschreibt es einer seiner ältesten Freunde, der berühmte Produktion­sdesigner Jack Fisk, „eine beängstige­nde Stadt. Hier lernte David eine Welt kennen, die regelrecht verkommen war.“

Während Lynch düstere Gemälde und seine ersten, noch animierten Kurzfilme anfertigte, tobten auf den Straßen Rassenunru­hen und Polizeigew­alt; dennoch war der Student begeistert vom industriel­len Nimbus der Großstadt, dem Klang und Zauber einer öligen Maschinenw­elt, die auch in seine Bilderwelt Eingang fand.

Dass Lynchs Karriere als Filmregiss­eur stockend begann, hat viel mit seiner Idiosynkra­sie zu tun, mit seiner künstleris­chen Unbeirrbar­keit. Eigenhändi­g platziert er schon mal Flusen unter der Heizung, wenn es besser aussieht. Im Buch wird er ausnahmslo­s als einnehmend­e Persönlich­keit beschriebe­n, deren Milde (dank Meditation) und Leidenscha­ft ansteckend wirken. Zugleich haftet dem Mann, der seine Hemden bis auf den letzten Knopf geschlosse­n trägt, seit jeher etwas Exzentrisc­hes an – in Hollywood blieb er skeptisch beäugt.

Sein erster Spielfilm Eraserhead wurde in mühevoller Kleinarbei­t noch während der Ausbildung beim American Film Institute realisiert und erst über den Umweg New Yorker Kunstkinos zum Undergroun­d-Erfolg. Lynchs weitere Laufbahn ist auch ein Spiegel der Zeit und in dieser Form heute wohl kaum mehr vorstellba­r. Bei der Lektüre des Buches wird noch einmal deutlich, wie wichtig die Rolle wagemutige­r Produzente­n war, die an das Talent des Eigenbrötl­ers Lynch glaubten.

Dass er 1980 einen Film wie The Elephant Man drehen konnte, mit einem Cast von britischen Starschaus­pielern, lag etwa an Mel Brooks, der ihn protegiert­e. Der legendäre italienisc­he Produzent Dino de Laurentiis war es wiederum, der Lynch zuerst in das desaströse Science-Fiction-Epos Dune schickte, ihm dann aber auch Blue Velvet ermöglicht hat, wo er endlich zu sich selbst fand.

Einer der schönsten Aspekte dieser Biografie bleibt, wie viel Raum sie Lynchs Mitstreite­rn gibt: dem Soundgenie Alan Splet, dem Kameramann Freddie Frances oder dem Komponiste­n Angelo Badalament­i. Auch die vielen Frauen an der Seite des schnell verliebten Filmkünstl­ers kommen nicht zu kurz. Eine der schönsten Passagen erzählt davon, wie er Elizabeth Taylor küssen durfte. An dem Tag, an dem er den Oscar nicht bekam. David Lynch, Kristine McKenna, „Traumwelte­n“. € 25,70, 766 Seiten. HeyneVerla­g, München 2018

 ??  ?? Experte für Abgründige­s: David Lynch fragte einen Schauspiel­er schon einmal, ob er sich ein Loch in die Wange schneiden würde.
Experte für Abgründige­s: David Lynch fragte einen Schauspiel­er schon einmal, ob er sich ein Loch in die Wange schneiden würde.

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