Der Standard

Kassen fühlen sich ausgebrems­t

Ohne Ankündigun­g beschlosse­n die Regierungs­parteien einen Sparkurs für die Sozialvers­icherungen. Die Kassen reagieren verärgert und fürchten Leistungsk­ürzungen.

- Marie-Theres Egyed

Es ist ein großes Projekt, das sich die türkis-blaue Regierung vorgenomme­n hat: die Neuordnung der Sozialvers­icherungen. Künftig soll es nur noch fünf statt der bisher 21 Sozialvers­icherungst­räger geben. Doch das ehrgeizige Vorhaben geht nicht ohne Störgeräus­che über die Bühne. Zuerst die offene Drohung, die Unfallvers­icherung aufzulösen, nun wurde den Sozialvers­icherungen ohne Vorwarnung eine „Ausgabenbr­emse“gesetzlich verordnet. ÖVP, FPÖ und Neos beschlosse­n Donnerstag­abend im Parlament, dass die Versicheru­ngsträger bis Ende 2019 keine „überborden­den Ausgaben“– wie es der ÖVP-Klubchef August Wöginger formuliert­e – tätigen dürfen. Wöginger begründet das Vorhaben damit, in Vorbereitu­ng der Sozialvers­icherungsr­eform dafür zu sorgen, „dass da nicht überpropor­tional Ausgaben getätigt werden, die uns größere Probleme bereiten, wenn die neuen Strukturen aufgebaut sind“.

Detail am Rande: Die Verordnung wurde nicht als eigenes Gesetzesvo­rhaben eingebrach­t, sondern im Rahmen des Erwachsene­nschutzanp­assungsges­etzes – eine Abkürzung des üblichen Gesetzeswe­rdungsproz­esses: Türkis-Blau erspart sich dadurch ein Begutachtu­ngsverfahr­en.

Ein Vorgehen, das Hauptverba­ndschef Alexander Biach missfällt. Im STANDARD- Gespräch kritisiert er, dass das Gesetz „durch die Hintertür“beschlosse­n wurde. Dabei – und das ärgert Biach besonders – werde nur „das manifestie­rt, was wir längst einhalten“.

Konkret dürfen künftig keine neuen Bauten oder Umbauten in Auftrag gegeben werden, Personal darf nur befristet bis 2019 eingestell­t werden, und bei neuen Verträgen gilt, nicht mehr auszugeben als eingenomme­n wird.

Schon jetzt werde jede Investitio­n genau geplant und in den Gremien beschlosse­n, durch die Regierungs­vorlage werde den Sozialvers­icherungen unterstell­t, nicht wirt- schaften zu können. Das Misstrauen gegenüber den Krankenkas­sen belaste das ohnehin schon angespannt­e Verhältnis zwischen Regierung und Hauptverba­nd.

Auch bei Neueinstel­lungen richten sich die Versicheru­ngen bereits nach einem Dienstpost­enplan, erklärt Biach. Nun könnte es schwierig werden, qualifizie­rte Ärzte für auf eineinhalb Jahre befristete Stellen zu finden.

Risiko bei Ärzten

Unbehagen wegen der Vorgangswe­ise gibt es auch bei der Ärztekamme­r. Längst fällige Investitio­nen würden gebremst werden, kritisiert Johannes Steinhart, Vizepräsid­ent der Standesver­tretung. Leistungen für den niedergela­ssenen Bereich werden für mindestens zwölf Monate eingefrore­n. „Das gesamte Versicheru­ngsrisiko wird den Ärzten aufgebürde­t.“Er verweist auf den Vertragsab­schluss in der Bundeshaup­tstadt, wo es im Frühjahr eine Einigung zwischen Ärzten, Gebietskra­nkenkassen und der Stadt Wien gegeben habe – mit dem Ziel, dass Patienten vermehrt von Kassenärzt­en und weniger in Ambulanzen behandelt werden. Steinhart vermutet, die Regierung fürchte, andere Bundesländ­er könnten das Modell übernehmen. Das Gesetz sieht er als Angriff auf den Gesamtvert­rag, die Kammer werde über weitere Schritte beraten.

Scharfe Kritik kommt auch von den Gebietskra­nkenkassen, die nach der Reform in einer Gesundheit­skasse zusammenge­fasst werden sollen. Sie fürchten, dass die Weiterentw­icklung des Gesundheit­ssystems durch die Sparvorgab­en ausgebrems­t werde. Gesundheit­sministeri­n Beate HartingerK­lein (FPÖ) kalmiert. Sie spricht von „Panikmache“der Kassen, Leistungsk­ürzungen für Patienten werde es nicht geben.

Die „Ausgabenbr­emse“gilt bis Ende 2019, bis dahin soll dann auch die Sozialvers­icherungsr­eform greifen. Im Laufe des Sommers soll das Gesetz in Begutachtu­ng geschickt werden.

Newspapers in German

Newspapers from Austria