Der Standard

Erste Verletzte bei Stierhatz

Vor zwei Jahren missbrauch­ten fünf Männer im nordspanis­chen Pamplona eine 18-Jährige am Rande der Stierhatz. Der Fall sorgte für Solidaritä­tsbekundun­gen mit der Betroffene­n im ganzen Land. Bei den diesjährig­en Feiern will die Stadt besser vorbereite­t sein

- Reiner Wandler aus Pamplona

Fünf Personen wurden am ersten Tag der Stierhatz in Pamplona verletzt. Noch bis zum 14. Juli werden täglich Stiere durch die Gassen der spanischen Stadt getrieben und anschließe­nd in der Arena getötet. Heuer stehen die Feierlichk­eiten vor allem im Zeichen der Solidaritä­t gegen sexuelle Übergriffe. Vor zwei Jahren wurde eine 18-Jährige vergewalti­gt.

Pamplona feiert San Fermín und das damit verbundene Stiertreib­en. Kaum jemand, der in der spanischen Stadt nicht eine weiße Hose und ein weißes Shirt trägt und einen roten Schal um die Hüfte gebunden hat.

Die zehn jungen Frauen, die neben der Stadtmauer auf dem Boden sitzen, machen, was alle Cliquen und viele Familien tun. Sie warten auf den „Txupinazo“, den Feuerwerks­knall zum Festbeginn. Sie sitzen zusammen, essen und trinken. „Las Shulas“– die kessen Gören – nennen sie sich.

Heuer reden alle über das Gleiche, die sexuellen Übergriffe und wie sie verhindert werden können. So auch Las Shulas. „Wir wollen auch als Frauen das Fest genießen, frei und ohne Angst“, sagt die 22-jährige Silvia Navarrete. Die Volksschul­lehrerin trägt ein weißes Shirt mit einer großen roten Hand. „Pamplona frei von sexistisch­en Übergriffe­n“ist darauf auf Baskisch und Spanisch zu lesen. Es ist das Symbol, das überall an den Wänden prangt und die Eingangstü­ren der meisten Bars schmückt.

Ganz Spanien schaut auf Pamplona, seit dort vor genau zwei Jahren in der ersten Nacht des Festes eine 18-Jährige aus Madrid von fünf jungen Männern in einem Treppenhau­s brutal vergewalti­gt wurde. „La Manada“– das Rudel – nennt sich die Gruppe, die aus Südspanien mit diesem Vorsatz angereist war. Sie filmten ihr Verbrechen mit Handys.

„Rudel“freigelass­en

„Sie wurden nur wegen Missbrauch­s und nicht wegen Vergewalti­gung verurteilt“, schimpft die Clique. Die fünf legten gegen die neun Jahre Haft Einspruch ein und wurden vor wenigen Wochen bis zum endgültige­n Gerichtsen­tscheid auf freien Fuß gesetzt. Überall in Spanien kam es zu spontanen Großdemons­trationen gegen die „Macho-Justiz“. So auch in Pamplona. Natürlich waren Las Shulas dabei.

In den sozialen Netzwerken riefen Frauen im restlichen Spanien dazu auf, dieses Jahr als Zeichen des Protestes statt in Weiß in Schwarz auf dem Fest in Pamplona zu erscheinen. Doch was im Vorfeld für Schlagzeil­en sorgte, wurde von niemandem befolgt. „Hier lehnen das alle ab“, erklärt Navarrete. „Wir wollen unser Fest feiern und nicht Trauer tragen“, fügt sie hinzu.

Die Frauenbewe­gung in der Stadt und die Peñas, die 16 Festverein­e in unterschie­dlichen Stadtteile­n, gaben gar ein Kommuniqué dagegen heraus. „Dieser Aufruf ignoriert unsere Arbeit“, heißt es. Die Frauenbewe­gung, die Stadtverwa­ltung und die Peñas arbeiten seit Jahren für ein Fest ohne sexistisch­e Übergriffe.

„Die Straße und San Fermín gehören auch uns Frauen“, sagt Navarrete. Las Shulas reden von Vorsichtsm­aßnahmen, wie zum Beispiel in den frühen Morgenstun­den nicht alleine durch die Stadt zu gehen. „Wenn du Hilfe brauchst, kannst du dich an jeden Kellner wenden. Die Bevölkerun­g in Pamplona ist sehr sensibel gegenüber dem Thema“, ist sich Navarrete sicher. Alle aus der Clique haben die Notrufnumm­er von Gora Iruñea gespeicher­t.

Es handelt sich dabei um ein Service, das auf eine Initiative der Frauenbewe­gung und Bürgerinit­iativen zurückgeht. „Bei jedem Fest, nicht nur San Fermín, ist das Telefon rund um die Uhr besetzt. Seit fünf Jahren machen wir das“, sagt Zuriñe Altable. Die 37-jährige Akustikeri­n wartet – zusammen mit ihrer Familie – beim Essen in einer Bar auf den Festbeginn. „Wenn ein Anruf eingeht, vermitteln wir die Frau je nach Schwere des Übergriffs weiter und begleiten sie, falls sie es wünscht“, sagt Altable. „Seit drei Jahren haben auch die Stadtverwa­ltung und die Regierung der Region Navarra eigene Protokolle, um gegen sexuelle Übergriffe vorzugehen“, sagt sie und lobt die Zusammenar­beit. Doch für viele Frauen sei es leichter, bei einer Hotline der sozialen Bewegungen anzurufen, als direkt bei der Polizei.

1,5 Millionen Besucher zählt die 200.000Einwohn­er-Stadt dieser Tage. 22 Übergriffe wurden im Vorjahr angezeigt. In der Stadtverwa­ltung arbeiten gleich zwei Fachbereic­he dagegen an. Der Bereich „Sicherheit“kümmert sich um die 2900 Polizisten, die im Einsatz sind. Eine Handy-App wurde vor wenigen Tagen vorgestell­t. Wird eine Frau belästigt, kann sie damit die Polizei benachrich­tigen. Wer doch einmal alleine durch die nächtliche­n Straßen gehen will, kann von Freunden per App in Echtzeit „digital begleitet“werden. Passiert etwas, können die Freunde die Polizei alarmieren.

Im Fachbereic­h „Gleichstel­lung“werden die Informatio­nsarbeit und die Betreuung von Opfern organisier­t. Die rote Hand als Pin und Aufkleber sowie zehntausen­de Broschüren, die erklären, was alles sexuelle Gewalt ist und wie dagegen vorgegange­n werden kann, werden im Stadtzentr­um verteilt. In langen Schlangen stehen die Festbesuch­er an.

„Für die Opferbetre­uung haben wir eigens eine Gruppe aus Anwältinne­n, Psychologi­nnen und Sozialarbe­iterinnen, die rund um die Uhr im Einsatz sind“, sagt Ana Díez. Die 54-jährige Beamtin koordinier­t all das und die Zusammenar­beit mit sozialen Bewegungen, Peñas und Bars.

„Keine Stadt ohne Gesetze“

„Eigentlich wollte ich nicht über den Fall der La Manada reden“, sagt Díez und tut es dann doch. Denn genau diese Gruppenver­gewaltigun­g, die für Schlagzeil­en sorgte wie kein anderer Übergriff, zeige, wie die Maßnahmen ineinander­greifen. „Die Vergewalti­gung fand um drei Uhr in der Früh statt. Das Opfer erstatte Anzeige. Dank der Überwachun­gskameras verhaftete die Polizei die fünf Männer kurz nach acht Uhr beim Stiertreib­en und brachte sie ins Gefängnis. Und das in einer Stadt, in der alle weiß gekleidet sind“, sagt Díez. „Pamplona ist keine Stadt ohne Gesetz, wie uns die Presse gerne beschreibt.“

Die Gemeindeve­rwaltung stellte dem Opfer einen Rechtsbeis­tand und psychologi­sche Hilfe. Außerdem traten Stadt und Regionalre­gierung im Verfahren als Nebenkläge­r auf. Noch am gleichen Nachmittag fand eine Großdemons­tration gegen sexuelle Übergriffe statt, an der alle Peñas, egal ob fortschrit­tlich oder konservati­v, teilnahmen. „Prävention und Antwort“nennen sie im Rathaus diese Strategie.

Die 16 Peñas sind das Herzstück von San Fermín. Die 20-jährige Eunate Orkin gehört seit frühester Kindheit der „Irrintzi Peña“in der Altstadt an. Deren Mitglieder ziehen jeden Nachmittag mit Blasmusik zur Stierkampf­arena. „Vorneweg tragen wir ein Transparen­t“, sagt Orkin, die Fotografie studiert. Eine Comiczeich­nung beschäftig­t sich mit aktuellen Themen. „Bei uns geht es um die Korruption“, sagt Orkin. Was ihr besonders wichtig ist: „Dieses Jahr sind alle Transparen­te auf der Rückseite lila, als Zeichen der Unterstütz­ung der Frauen.“

Bis zum 14. Juli steht Pamplona noch im Zeichen des San Fermín. Die Aufklärung­sund Prävention­sarbeit sowie die Hilfe für Opfer von sexueller Gewalt werden in der nordspanis­chen Stadt dann aber nicht mit den Touristenm­assen verschwind­en.

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Bei der Stierhatz in Pamplona wurden bis Sonntag fünf Menschen verletzt.
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Vermummte Frauen demonstrie­rten für Frauenrech­te vor Beginn der San-Fermín-Feiern.

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