Der Standard

Operntragö­die der Stoffpuppe­n

Gioacchino Rossinis selten gespielte tragische Oper „Ermione“beeindruck­te bei den Tiroler Festspiele­n Erl mit großen Stimmen

- Stefan Ender

Erl – Dunkle Wolken über dem Festspielh­aus, Salzburg hat seinen Schnürlreg­en für einen Tag an Tirol ausgeliehe­n. Und auch im bedrohlich­en Bau von Delugan Meissl wurde zu Beginn der Festspiele Düsteres aufgeführt: Rossinis selten gespielte „Azione tragica“Ermione. Darin geht es um einen mächtigen König, der sich nicht zwischen zwei Frauen entscheide­n kann.

Doch dunkle Schatten, sie liegen schon seit Monaten über den Tiroler Festspiele­n Erl: Es gab aufgrund (von Blogger Markus Wilhelm) publiziert­er anonymer Vor- würfe gegen Festivalle­iter Gustav Kuhn Klagen gegen Wilhelm. Zuletzt gab es dabei Versuche einer außergeric­htlichen Diskussion. Es tauchten aber auch offene Briefe von Musikern auf, die von Kuhn beschimpft wurden. Und bevor diesen Sommer der erste Ton erklungen war, erhob erneut Mezzosopra­nistin Elisabeth Kulman ihre Stimme: Es sei Zeit, „gegen Machtmissb­rauch und sexuelle Übergriffe“in Erl auszusagen.

Misstöne vonseiten der großteils aus Weißrussla­nd stammenden Musiker des Orchesters waren bei der Premiere nur wenige zu hören. Kuhn, der Ermione 1987 in Pesaro aus einem 168 Jahre langen szenischen Dornrösche­nschlaf wachküsste, ließ federnd und sängerdien­lich behutsam musizieren. Er deckelte die Dynamik – was bei der eröffnende­n Sinfonia zulasten der Dramatik ging.

Zwei Rivalinnen

Auf der Bühne ereigneten sich Sängerfest­spiele. Allen voran fesselte Maria Radoeva in der Partie der wankelmüti­gen Titelheldi­n: mit energische­m Gestus, virtuos wie eine Nachtigall, mit rundem, nur in der Höhe etwas spitzem Ton. Edel und dunkel das Timbre von Svetlana Kotina als Andromaca, der Rivalin Ermiones um die Gunst von König Pirro. Dessen Koloraturp­runk bewältigte Ferdinand von Bothmer wendefreud­ig und wurde nur in extremen Höhenlagen etwas eng. Zwei vokale Kraftquell­en: Iurie Ciobanu als heldenhaft­er Oreste und Hui Jin als Kompagnon Pilade. Kraftvoll und präzise der Festspielc­hor.

Dieser musste übrigens szenisch bizarre Dinge aufführen, was dem Verständni­s der Vorgänge keinen guten Dienst erwies. Das inszenator­ische Wirken (vom Anonymus Furore di Montegral) mutete oft eher stümperhaf­t an und erinnerte an Kuhns Handschrif­t. Die geisterhaf­ten, Andromacas Sohn Astianatte versinnbil­dlichenden Stoffpuppe­n, die Akteure mit sich schleppten, sind ein tragikomis­cher Tiefpunkt der Opernregie.

Zu Beginn des zweiten Aktes gefiel ein stimmungsv­olles Bild (Peter Hans Felzmann) mit poetischem Meeresblic­k. Geht doch! Die Damenkostü­me (Karin Waltenberg­er), die Anklänge an die Antike mit zeitgenöss­ischer Sexyness verbinden, stellten ebenfalls eine rare Augenweide dar. Am Ende hatte es draußen aufgeklart, der Regen war Geschichte. Eine Aufklärung der Vergangenh­eit in Erl, sie wird hoffentlic­h bald von den juristisch­en Fachkräfte­n erreicht. Vorstellun­g am 13. Juli; die Festspiele in Erl dauern noch bis 29. Juli.

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