Zwölfstundentag: Kritik an Ausnahmen vom Arbeitszeitrecht
Im Zuge der Neuregelung des Zwölfstundentages haben ÖVP und FPÖ auch jenen Personenkreis, für den das Arbeitszeitgesetz gar nicht gilt, erweitert. Ein Ablehnungsrecht für die elfte und zwöfte Stunde hat diese Gruppe nicht.
Wien – Juristen üben erneut Kritik am neuen Arbeitszeitgesetz. ÖVP und FPÖ haben in der vergangenen Woche eine Ausweitung jener Personengruppen beschlossen, für die das Arbeitszeitgesetz nicht gilt. Für diese Personen gibt es auch kein Ablehnungsrecht bei der elften und zwölften Stunde. Der Arbeitsrechtler Elias Felten von der Universität Linz spricht von einer unklaren Regel. Er rechnet mit zahlreichen juristischen Streitereien: „Die Büchse der Pandora wird geöffnet.“(red)
Keine gesetzlichen Einschränkungen, wie lange ein Arbeitstag dauern darf. Keine gesetzliche Vorschrift, wie Überstunden zu bezahlen sind: Führungskräfte und leitende Angestellte gehören in Österreich zu einer besonderen Gruppe. Für sie gilt das Arbeitszeitgesetz mit seinen Bestimmungen zur maximal zulässigen Arbeitszeit und Überstundenbezahlung nicht. Die Begründung ist simpel. Wer in einem Unternehmen zu den Führungskräften zählt, braucht den strengen Gesetzesschutz nicht.
Die Ausnahmeregelung wird durch das vergangene Woche im Nationalrat beschlossene Arbeitszeitgesetz wesentlich erweitert. Die künftige Rechtslage wurde bisher wenig diskutiert, weil die Debatte vom Zwölfstundentag beherrscht wurde. Dabei bringt die Reform einige Veränderungen mit sich. Anwälte und Arbeitsrechtler tun sich zudem schwer, die Konsequenzen abzuschätzen.
Bisher galt, dass neben Unternehmensführung nur der lei- tende Angestellte vom Arbeitszeitgesetz ausgenommen waren. Zu leitenden Angestellten zählten die Arbeits- und Sozialgerichte typischerweise Personen, die selbstständig über Budget und Personal bestimmen durften, sich ihre Zeit frei einteilten und auch entsprechend hoch entlohnt waren.
Das von Türkis-Blau beschlossene Gesetz sieht vor, dass künftig alle Arbeitnehmer mit „maßgeblicher selbstständiger Entscheidungsbefugnis“von der Geltung des Arbeitszeitgesetzes ausgenommen sind. Voraussetzung ist, dass diese Arbeitnehmer ihre Dienstzeiten „hinsichtlich Lage und Dauer“frei einteilen können. Welche Berufsgruppen von dieser Ausnahmeregel umfasst sind, ist unklar. Anwälte nennen als typisches Beispiel Filialleiter von Supermärkten. Auch die Leiter der Qualitätskontrolle in Betrieben fallen wohl darunter: Bei ihnen war bisher strittig, ob sie von der Ausnahmeregel erfasst sind, weil sie oft keine oder nur beschränkte Leitungsfunktion hatten. Das wird sich nun ändern, weil künftig ein „leitender“Job nicht mehr Voraussetzung ist. Auch für Forscher, ob an Unis oder an außeruniversitären Einrichtungen, dürften die Beschränkungen des Arbeitszeitgesetzes nicht mehr gelten, sagt der Arbeitsrechtler Martin Risak. Das sei durchaus sinnvoll, weil diese Gruppe selbstständig arbeitet, meist hoch qualifiziert ist und das Schutzbedürfnis daher weniger ausgeprägt ist.
Büchse der Pandora
Darüber hinaus gibt es aber eine Reihe von Berufsbildern, bei denen die neue Rechtslage unsicher erscheint. Denn „selbstständige Entscheidungsbefugnis“gehöre in vielen Jobs zum Alltag, sagt der Arbeitsrechtler Elias Felten von der Uni Linz. Er erwähnt Außendienstmitarbeiter. Sein Kollege Risak sieht diese Befugnis auch bei PR-Leuten, Rechtsexperten in Unternehmen, beim technischen Fachpersonal gegeben. Können sie künftig alle vom Gesetz ausgenommen werden? Eine Fol- ge wäre, dass die Freiwilligkeit für die elfte und zwölfte Arbeitsstunde nicht gilt. Arbeitnehmer dürfen die elfte und zwölfte Stunde ohne Grund ablehnen. Aber diese Regel ist im Arbeitszeitgesetz fixiert – wo dieses nicht greift, ist keine Ablehnung möglich.
In den erläuternden Bemerkungen zum Gesetz heißt es, dass die Ausnahme vom Arbeitszeitgesetz weiter nur für Führungskräfte gelten soll, neben der zweiten werde nun die „dritte Ebene“einbezogen. Bei den Neos geht der Abgeordnete Gerald Loacker davon aus, dass damit etwa alle Teamleiter erfasst sind. Er kritisiert die Regelung als überschießend: Für Konzerne wie die OMV mit tausenden Mitarbeitern sei das Gesetz angemessen. Die dritte Führungsebene sei dort aber etwas ganz anderes als in einem Tischlerbetrieb mit 100 Mitarbeitern.
Der Jurist Felten sagt, dass die neue Regelung unpräzise und daher „legistisch problematisch“sei. Er erwartet viele Rechtsstreitigkeiten darüber, für wen die Aus- nahme wirklich gilt. „Die Büchse der Pandora ist geöffnet.“
Die Ausnahmeregel beruht auf einer EU-Richtlinie. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) interpretiert diese streng: So dürfen von den Arbeitszeitregelungen nur Mitarbeiter ausgenommen werden, wenn diese nicht bloß über Start und Ende ihrer Dienstzeit entscheiden können, sondern auch das Volumen der Arbeitszeit selbst bestimmen. Bei der dritten Führungsebene wäre es in vielen Fällen fraglich, ob das der Fall ist. Die erwähnte Richtlinie zielt vor allem auf „Experten“aller Art ab.
Der FPÖ-Abgeordnete Wolfgang Klinger, der das Arbeitszeitgesetz im Nationalrat eingebracht hat, gesteht ein, dass es „Graubereiche“geben wird, in denen nicht sofort klar ist, ob die neue Ausnahme gilt. Das Ziel der neuen Regelung beschreibt er so: Die Idee war, praktische Lösungen bei Mitarbeitern zu schaffen, die aufgrund ihrer Position „selbstständig“entscheiden, „aber eben nicht hunderte Angestellte unter sich haben“.