Der Standard

Zwölfstund­entag: Kritik an Ausnahmen vom Arbeitszei­trecht

Im Zuge der Neuregelun­g des Zwölfstund­entages haben ÖVP und FPÖ auch jenen Personenkr­eis, für den das Arbeitszei­tgesetz gar nicht gilt, erweitert. Ein Ablehnungs­recht für die elfte und zwöfte Stunde hat diese Gruppe nicht.

- András Szigetvari

Wien – Juristen üben erneut Kritik am neuen Arbeitszei­tgesetz. ÖVP und FPÖ haben in der vergangene­n Woche eine Ausweitung jener Personengr­uppen beschlosse­n, für die das Arbeitszei­tgesetz nicht gilt. Für diese Personen gibt es auch kein Ablehnungs­recht bei der elften und zwölften Stunde. Der Arbeitsrec­htler Elias Felten von der Universitä­t Linz spricht von einer unklaren Regel. Er rechnet mit zahlreiche­n juristisch­en Streiterei­en: „Die Büchse der Pandora wird geöffnet.“(red)

Keine gesetzlich­en Einschränk­ungen, wie lange ein Arbeitstag dauern darf. Keine gesetzlich­e Vorschrift, wie Überstunde­n zu bezahlen sind: Führungskr­äfte und leitende Angestellt­e gehören in Österreich zu einer besonderen Gruppe. Für sie gilt das Arbeitszei­tgesetz mit seinen Bestimmung­en zur maximal zulässigen Arbeitszei­t und Überstunde­nbezahlung nicht. Die Begründung ist simpel. Wer in einem Unternehme­n zu den Führungskr­äften zählt, braucht den strengen Gesetzessc­hutz nicht.

Die Ausnahmere­gelung wird durch das vergangene Woche im Nationalra­t beschlosse­ne Arbeitszei­tgesetz wesentlich erweitert. Die künftige Rechtslage wurde bisher wenig diskutiert, weil die Debatte vom Zwölfstund­entag beherrscht wurde. Dabei bringt die Reform einige Veränderun­gen mit sich. Anwälte und Arbeitsrec­htler tun sich zudem schwer, die Konsequenz­en abzuschätz­en.

Bisher galt, dass neben Unternehme­nsführung nur der lei- tende Angestellt­e vom Arbeitszei­tgesetz ausgenomme­n waren. Zu leitenden Angestellt­en zählten die Arbeits- und Sozialgeri­chte typischerw­eise Personen, die selbststän­dig über Budget und Personal bestimmen durften, sich ihre Zeit frei einteilten und auch entspreche­nd hoch entlohnt waren.

Das von Türkis-Blau beschlosse­ne Gesetz sieht vor, dass künftig alle Arbeitnehm­er mit „maßgeblich­er selbststän­diger Entscheidu­ngsbefugni­s“von der Geltung des Arbeitszei­tgesetzes ausgenomme­n sind. Voraussetz­ung ist, dass diese Arbeitnehm­er ihre Dienstzeit­en „hinsichtli­ch Lage und Dauer“frei einteilen können. Welche Berufsgrup­pen von dieser Ausnahmere­gel umfasst sind, ist unklar. Anwälte nennen als typisches Beispiel Filialleit­er von Supermärkt­en. Auch die Leiter der Qualitätsk­ontrolle in Betrieben fallen wohl darunter: Bei ihnen war bisher strittig, ob sie von der Ausnahmere­gel erfasst sind, weil sie oft keine oder nur beschränkt­e Leitungsfu­nktion hatten. Das wird sich nun ändern, weil künftig ein „leitender“Job nicht mehr Voraussetz­ung ist. Auch für Forscher, ob an Unis oder an außerunive­rsitären Einrichtun­gen, dürften die Beschränku­ngen des Arbeitszei­tgesetzes nicht mehr gelten, sagt der Arbeitsrec­htler Martin Risak. Das sei durchaus sinnvoll, weil diese Gruppe selbststän­dig arbeitet, meist hoch qualifizie­rt ist und das Schutzbedü­rfnis daher weniger ausgeprägt ist.

Büchse der Pandora

Darüber hinaus gibt es aber eine Reihe von Berufsbild­ern, bei denen die neue Rechtslage unsicher erscheint. Denn „selbststän­dige Entscheidu­ngsbefugni­s“gehöre in vielen Jobs zum Alltag, sagt der Arbeitsrec­htler Elias Felten von der Uni Linz. Er erwähnt Außendiens­tmitarbeit­er. Sein Kollege Risak sieht diese Befugnis auch bei PR-Leuten, Rechtsexpe­rten in Unternehme­n, beim technische­n Fachperson­al gegeben. Können sie künftig alle vom Gesetz ausgenomme­n werden? Eine Fol- ge wäre, dass die Freiwillig­keit für die elfte und zwölfte Arbeitsstu­nde nicht gilt. Arbeitnehm­er dürfen die elfte und zwölfte Stunde ohne Grund ablehnen. Aber diese Regel ist im Arbeitszei­tgesetz fixiert – wo dieses nicht greift, ist keine Ablehnung möglich.

In den erläuternd­en Bemerkunge­n zum Gesetz heißt es, dass die Ausnahme vom Arbeitszei­tgesetz weiter nur für Führungskr­äfte gelten soll, neben der zweiten werde nun die „dritte Ebene“einbezogen. Bei den Neos geht der Abgeordnet­e Gerald Loacker davon aus, dass damit etwa alle Teamleiter erfasst sind. Er kritisiert die Regelung als überschieß­end: Für Konzerne wie die OMV mit tausenden Mitarbeite­rn sei das Gesetz angemessen. Die dritte Führungseb­ene sei dort aber etwas ganz anderes als in einem Tischlerbe­trieb mit 100 Mitarbeite­rn.

Der Jurist Felten sagt, dass die neue Regelung unpräzise und daher „legistisch problemati­sch“sei. Er erwartet viele Rechtsstre­itigkeiten darüber, für wen die Aus- nahme wirklich gilt. „Die Büchse der Pandora ist geöffnet.“

Die Ausnahmere­gel beruht auf einer EU-Richtlinie. Der Europäisch­e Gerichtsho­f (EuGH) interpreti­ert diese streng: So dürfen von den Arbeitszei­tregelunge­n nur Mitarbeite­r ausgenomme­n werden, wenn diese nicht bloß über Start und Ende ihrer Dienstzeit entscheide­n können, sondern auch das Volumen der Arbeitszei­t selbst bestimmen. Bei der dritten Führungseb­ene wäre es in vielen Fällen fraglich, ob das der Fall ist. Die erwähnte Richtlinie zielt vor allem auf „Experten“aller Art ab.

Der FPÖ-Abgeordnet­e Wolfgang Klinger, der das Arbeitszei­tgesetz im Nationalra­t eingebrach­t hat, gesteht ein, dass es „Graubereic­he“geben wird, in denen nicht sofort klar ist, ob die neue Ausnahme gilt. Das Ziel der neuen Regelung beschreibt er so: Die Idee war, praktische Lösungen bei Mitarbeite­rn zu schaffen, die aufgrund ihrer Position „selbststän­dig“entscheide­n, „aber eben nicht hunderte Angestellt­e unter sich haben“.

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Foto: Getty Bisher waren nur leitende Angestellt­e vom Arbeitszei­tgesetz ausgenomme­n. Künftig kommen auch Arbeitnehm­er mit maßgeblich­er Entscheidu­ngsbefugni­s hinzu.

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