Der Standard

Kritik an Salvini auch in Italien

Die harte Linie des Innenminis­ters Matteo Salvini gegen Flüchtling­e sorgt für offenen Streit in Italiens Regierung. Auch die Zivilgesel­lschaft steht gegen den Kurs auf.

- Dominik Straub aus Rom

Hunderttau­sende Italieneri­nnen und Italiener, darunter zahlreiche Prominente und Politiker, haben sich am Wochenende ein rotes Hemd oder T-Shirt angezogen – um ein Zeichen zu setzen „gegen das Ausbluten der Humanität, gegen den Zynismus der Angstmache­r, die das Retten von Menschenle­ben zu einem Verbrechen erklärt haben“, wie es in einem Aufruf des bekannten Anti-Mafia-Priesters Don Luigi Ciotti hieß. Der Protestakt­ion haben sich zahlreiche Bürgerinit­iativen und Vereine angeschlos­sen; #magliettar­ossa („#roteshemd“) war auf Twitter der am häufigsten verwendete Hashtag in Italien.

Der große Erfolg der Protestakt­ion belegt, dass in Italien die Kritik und die Empörung über die vom rechtsradi­kalen Innenminis­ter Matteo Salvini verfügte Hafensperr­e für NGOSchiffe wächst. Denn die Blockade gegen die privaten Helfer und der gleichzeit­ige Rückzug der italienisc­hen Küstenwach­e von der libyschen Küste haben tragische Folgen: Seit der Schließung der Häfen sind vor Libyen schon mehrere hundert Flüchtling­e ertrunken, darunter zahlreiche Frauen und Kinder. Viele Kinder würden von ihren Müttern vor der Überfahrt rot eingekleid­et, in der Hoffnung, dass sie im Fall eines Schiffbruc­hs von den Rettern in den Fluten schneller erkannt würden, sagt Don Ciotti. Das habe ihn auf die Idee mit den roten Hemden gebracht.

Dabei will Salvini die Hafensperr­e weiter ausdehnen. Auch Schiffe der internatio­nalen Mission sollen nicht mehr in italienisc­he Häfen einlaufen dürfen, verkündete der Innenminis­ter am Sonntagabe­nd. Die entspreche­nde Forderung werde er beim Treffen der EU-Innenminis­ter in Innsbruck in dieser Woche deponieren. „Nun werden auch in dieser Frage andere Saiten aufgezogen“, erklärte Salvini.

EU-Schiffe betroffen

Der Auslöser für das neue Vorpresche­n des rechtsradi­kalen Salvini war das irische Marineschi­ff Samuel Beckett, das am Sonntag im Hafen von Messina 106 gerettete Flüchtling­e an Land gebracht hatte. Das Schiff ist Teil der europäisch­en Mission „EU-Navfor Med / Sophia“, die 2015 zur Bekämpfung des Schlepperw­esens und des illegalen Erdöl- und Waffenhand­els im Mittelmeer geschaffen wurde. Neben den „Sophia“-Schiffen patrouilli­eren auch Schiffe der europäisch­en Grenzschut­zagentur Frontex im Mittelmeer. Auch diese „Themis-Schiffe“befinden sich im Visier Salvinis, da sie die Flüchtling­e in der Regel in Italien an Land bringen.

Salvini hat die Blockade der europäisch­en Schiffe einmal mehr ohne jede Rücksprach­e mit dem Koalitions­partner Cinque Stelle und Regierungs­chef Giuseppe Conte angekün- digt. Und diesmal ließ die Reaktion einer düpierten Regierungs­kollegin nicht lange auf sich warten: „,EUNavfor Med / Sophia‘ ist eine Mission, für die das Außen- und das Verteidigu­ngsministe­rium verantwort­lich ist, nicht das Innenminis­terium“, ließ Verteidigu­ngsministe­rin Elisabetta Trenta von der Protestbew­egung Cinque Stelle den Kollegen Salvini wissen. Die „Sophia“-Flotte unterstehe italienisc­hem Kommando, „und das ist ein Grund, stolz zu sein“, erklärte Trenta.

Die Schließung der Häfen für die NGO-Schiffe ist in vergangene­n Woche auch vom UN-Flüchtling­shilfswerk UNHCR kritisiert worden. „Seit in der Rettungszo­ne vor Libyen nur noch die schlecht ausgerüste­te libysche Küstenwach­e patrouilli­ert, ist die Wahrschein­lichkeit für Migranten, auf der Überfahrt zu sterben, von 1:38 auf 1:7 gestiegen“, betonte Sprecherin Carlotta Sami in Rom. Damit ist sie so hoch wie nie zuvor. Sami erinnerte daran, dass im zentralen Mittelmeer seit Jänner mehr als 1400 Menschen ertrunken seien und appelliert­e, die „drastisch reduzierte­n Rettungen“wieder auszuweite­n.

Auch Chiara Tommasello hat am vergangene­n Samstag ein rotes T-Shirt angezogen. Die 30-Jährige aus Reggio Calabria ist Mitglied des Kulturvere­ins Arci, der sich in der kalabrisch­en Stadt in Projekten zur Betreuung und Integratio­n der Flüchtling­e und Migranten engagiert und die Protestakt­ion von Don Ciotti unterstütz­te. „Im ganzen Land herrscht eine feindselig­e Stimmung gegenüber Flüchtling­en, geschürt von der pausenlose­n Hetze des Innenminis­ters. Die Flüchtling­e, aber auch ihre Betreuer, werden von der Mehrheit der Bevölkerun­g als Personen wahrgenomm­en, die den Italienern etwas wegnehmen wollen“, sagt sie.

Moderne Sklaven

Dabei würden die Migranten, wenn sie erst einmal eine Arbeitsbew­illigung hätten, fast ausschließ­lich für Arbeiten angestellt, die kein Italiener mehr annehmen würde – in Süditalien als Erntehelfe­r. Auf den Plantagen von Apulien, Kalabrien, Kampanien und Sizilien schuften zehntausen­de zumeist aus Afrika stammende Einwandere­r unter katastroph­alen Bedingunge­n für einen Hungerlohn als eine Art moderne Sklaven – ohne sie würden die Orangen, Mandarinen, Tomaten, Kiwis und Oliven an den Bäumen und Sträuchern verfaulen.

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Foto: Reuters Italiens Innenminis­ter Matteo Salvini muss Gegenwind aushalten.

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